- Das Wissen des Schwarms

Di 22.04.14 | 08:29 Uhr | Von Anna Behrend

Ein Igel im heimischen Komposthaufen, ein Wildschwein in Nachbars Vorgarten – die Schilderung solcher Beobachtungen war bisher vor allem dazu geeignet, Freunde und Familie zu unterhalten. Doch auch immer mehr Wissenschaftler interessieren sich für diese Art von kollektivem Wissen. Mit buergerschaffenwissen.de gibt es jetzt eine Internetplattform, die interessierte Hobbyforscher und hauptberufliche Wissenschaftler zusammenbringen soll.

Welche Stechmückenarten kommen wo in Deutschland vor? Wie viele Igel leben in Berlin? Und wie dunkel ist der Nachthimmel über Brandenburg? Um Fragen wie diese zu beantworten, benötigen Wissenschaftler erhebliche Mengen von Daten. Daten, die die Forscher oftmals alleine nicht erheben können, die aber im kollektiven Wissensschatz der Bürger schlummern. Aus diesem Gedanken heraus hat sich die sogenannte "Citizen Science", also die Bürgerwissenschaft entwickelt. Die Idee: Interessierte Laien teilen Wissenschaftlern ihre Beobachtungen mit oder helfen bei der Auswertung von bereits erhobenen Daten.

Mit der Internetplattform buergerschaffenwissen.de wollen die Initiative "Wissenschaft im Dialog" (WiD) und das Museum für Naturkunde Berlin eine zentrale Anlaufstelle für interessierte Bürgerinnen und Bürger sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schaffen, sagt Thorsten Witt, Projektleiter der Plattform. Im angelsächsischen Bereich sei das Thema "Citizen Science" schon wesentlich etablierter so Witt. Doch mit dem technischen Fortschritt, insbesondere der immer stärkeren Verbreitung von Smart-Phones, werde diese Art der Forschungskooperation auch in Deutschland stärker beachtet. So hat beispielsweise das Bundesministerium für Bildung und Forschung zugesagt, die neue Plattform bis mindestens Ende 2016 zu fördern.

buergerschaffenwissen.de  startet vorerst mit zehn Projekten, die sich in Form von Texten, Bildern und Videos vorstellen. Viele davon widmen sich dem Beobachten und Zählen von Tieren, wie etwa Wildschweinen, Igeln, Mücken oder anderen Insekten. Doch auch ein kunstgeschichtliches Projekt ist dabei: Beim Online-Spiel ARTigo vergeben die Hobbywissenschaftler möglichst passende Schlagworte zu Kunstwerken. Punkte gibt es für solche Schlagworte, die auch andere Spieler zu diesem Bild genannt haben. Der Clou für die Wissenschaftler des ARTigo-Projekts: Mit Hilfe der Schlagworte können sie aus den mehr als 30.000 Kunstwerken ihrer Datenbank gezielt Bilder mit bestimmten Kriterien heraussuchen.

"Größenordnungen wie in den USA, wo teilweise hunderttausende Laien an wissenschaftlichen Projekten mitwirken, erreichen Citizen-Science-Projekte in Deutschland noch nicht", sagt Projektleiter Thorsten Witt. Doch einige Projekte sind bereits sehr erfolgreich. So sind deutsche Hobbyforscher beispielsweise besonders aktiv beim Projekt "Verlust der Nacht", das weltweit per Handy-App Daten über die Helligkeit des Nachthimmels sammelt und von Berliner Forschern koordiniert wird. Mehr als 10.000 Datensätze wurden innerhalb eines Jahres hochgeladen, 45 Prozent davon in Deutschland.

Gemma Jones, Lehrerin für Naturwissenschaften an der "Berlin Bilingual School", hat sich mit ihren Schülerinnen und Schülern an dem Projekt beteiligt. "Für mich ist es wichtig, dass die Schüler Wissenschaft im Kontext erfahren können", sagt die gebürtige Engländerin. Insbesondere Teenager verlören sonst angesichts der abstrakten Konzepte in den Naturwissenschaften leicht die Neugier und Ehrfurcht, die sie als kleine Kinder hatten. "Ich bin sicher, dass dieses Projekt geholfen hat, Naturwissenschaften ein bisschen mehr 'real' zu machen", sagt Gemma Jones.

Doch längst nicht alle Daten, die von Bürgerforschern erhoben werden, lassen sich auch verwenden. Laut Christopher Kyba, Mitarbeiter im Forschungsprojekt "Verlust der Nacht", waren nur bei etwa 15 Prozent aller hochgeladenen Daten perfekte Messbedingungen, wie etwa ein wolkenloser Himmel, gegeben. Entscheidend für den Erfolg eines Projekts ist also nicht nur eine große Teilnehmerzahl, sondern auch die Qualität der erhobenen Daten.

Beim Tagfalter-Monitoring-Projekt des Zentrums für Umweltforschung in Halle wird die Qualität der Daten durch Betreuer im ganzen Bundesgebiet gewährleistet. Sie sind für die Laien fachkundige Ansprechpartner wenn beispielsweise eine unbekannte Falterart gefunden wird. Rotraud Krüger aus dem oberfränkischen Landkreis Forchheim ist seit 2007 als ehrenamtliche Betreuerin und Zählerin beim Tagfalter-Monitoring dabei. Für die Biologin ist es ein "richtiges Hobby" wenn sie einmal in der Woche in die Natur geht und auf dem immer gleichen 200 Meter langen Weg alle Falter und Pflanzen am Wegesrand notiert. Neben der Freude an der Naturbeobachtung ist für Rotraud Krüger auch der Naturschutz eine wichtige Motivation. "Wenn man etwas kennt, dann schützt man es eher", sagt sie.

Vorerst wird es auf buergerschaffenwissen.de  nur solche Projekte geben, die von Wissenschaftlern initiiert wurden. Es sei langfristig aber auch denkbar, so Projektleiter Thorsten Witt, dass Laien Projekte anstoßen.  "Für den Begriff 'Citizen Science' gibt es derzeit keine einheitliche Definition", erklärt Witt. Denkbar sind also zukünftig verschiedenste Formen der Zusammenarbeit zwischen Hobby- und Profiforschern.

Beitrag von Anna Behrend