Sinti und Roma und Anwohner feiern am Sonntag (08.04.2012) im Stadtteil Neukölln in Berlin die Eröffnung des Ladens des Roma-Hilfsvereins Amaro Drom. (Bild: dpa)
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- Roma in Berlin - gekommen, um zu bleiben?

Nach der gezielten Abschiebung tausender Roma aus Frankreich und dem heftigen offenen Schlagabtausch darüber in der EU möchte KLARTEXT wissen: Wie gehen wir hier mit dieser Minderheit um? Jedes Jahr zieht es zahlreiche Roma nach Berlin. Und: Viele sind gekommen, um zu bleiben…

Roma in Berlin - fast täglich kann man ihnen begegnen. Wie viele genau hier leben und wo, niemand weiß es genau. Sie kommen, weil sie in ihren Heimatländern keine Perspektive sehen, doch Ihr Aufenthalt in Deutschland schafft auch Probleme. Wir wollten wissen: Wie geht die Politik mit den Roma in Berlin um? Ausgelöst hat diese Frage bei uns die Diskussion um die massenweise Ausweisung von Roma in Frankreich. Sie erinnern sich: Seit Juli hat Präsident Sarkozy mehr als 1000 Roma nach Bulgarien und Rumänien abschieben lassen. Heute hat die EU-Kommission Frankreich dafür offiziell kritisiert und rechtliche Schritte angedroht. Wie aber sieht die Situation der osteuropäischen Roma bei uns aus? Robert Frenz.

Eine Küche in einem Hinterhaus in Tiergarten. Hier treffen wir die 23-jährige Angela Michai und ihren Sohn David, Dumitru Lenutsa und ihre Mutter Venus. Den Zustand der Schlafräume möchten sie uns lieber nicht zeigen. Insgesamt leben drei Roma-Familien in den zweieinhalb Zimmern, für die sie 950 Euro Miete zahlen. Die Familien stammen aus einem Dorf im Süden Rumäniens. In ganz Europa waren sie unterwegs. Zuletzt in Spanien. Seit einem halben Jahr leben sie in Deutschland.

Angela Michai
„Wir wollen hier bleiben, damit unsere Kinder nicht betteln lernen müssen, wie wir. Wir wollen, dass sie eine Schule besuchen. Dass sie ordentliche Menschen werden. Dass sie nicht angewiesen sind auf‘s Betteln.“

Doch auch hier in Berlin sind sie auf‘s Betteln oder auf das Putzen von Autoscheiben angewiesen. Denn als EU-Bürger dürfen sie sich zwar in Deutschland aufhalten - aber eine Arbeitserlaubnis haben sie nicht.

Wir bekommen einen Hinweis, dass auch in diesem Haus in Neukölln Wohnungen zeitweise mit Wanderarbeitern aus Osteuropa belegt sind. Nachbarn haben sich über Lärm beschwert. Vor der Tür treffen wir einige Bewohner.

Hausbewohner
„Rumänien Katastrophe - keine Arbeit.“

Hier in Berlin arbeiten die Männer für wenig Geld auf Baustellen.

Hausbewohner
„Arbeiten - einen Monat. Bezahlen - eine Woche."

Rund 20 dieser Wohnhäuser gibt es in Berlin. Die Wohnungen sind regelrecht mit Menschen vollgestopft. Mit katastrophalen Folgen - für die Roma selbst und das gesamte Wohnumfeld. Den Neuköllner Migrationsbeauftragten Arnold Mengelkoch erreichen immer wieder Beschwerden von Nachbarn.

Arnold Mengelkoch, Migrationsbeauftragter Neukölln
„Da musste jemand auf‘s Klo, aber das Klo war besetzt. Also macht man in ein Behältnis und will das auch nicht in der Wohnung behalten. Also kommt‘s ins Treppenhaus oder fliegt aus dem Fenster. Das ist einfach so, wenn so viele Menschen in einer Wohnung sind. Das wird einfach sehr ungemütlich, und sehr unhygienisch und sehr bedenklich."

In der Neuköllner Okerstraße ist es einem engagierten Quartiersmangement gemeinsam mit Jugend- und Ordnungsamt gelungen, die Roma-Familien zu integrieren und überbelegte Wohnungen aufzulösen. Das Problem hat man so aber nur verschoben - nicht gelöst.

Arnold Mengelkoch, Migrationsbeauftragter Neukölln
„Wenn eins in den Griff bekommen ist, wandert die Szene weiter in das nächste Objekt. Oder teilt sich auf in einzelne Wohnungen in einzelnen Häusern. Das ist eine nicht fassbare Masse. Das ist sehr in Bewegung. Das ist sehr anpassungsfähig. Sehr, sehr anpassungsfähig. Da laufen wir ja immer hinterher."

Um die Konflikte zwischen Roma-Familien und ihren Nachbarn vor Ort in den Griff zu bekommen, setzt der Senat in diesem Jahr drei Streetworker ein. Aber diese sogenannte „Mobile Anlaufstelle" kann nur Einzelnen helfen. So besucht ein Großteil der Roma-Kinder aus Osteuropa noch immer keine Schulen oder Kitas. Ganze drei Kinder konnte die mobile Anlaufstelle seit Mai in Schulen unterbringen. Sei es, weil ihre Eltern sich den Behören entziehen oder keine Schulpflicht kennen.

Der Integrationsbeauftragte des Senats, Günter Piening, sieht sich beim Umgang mit den Roma aus Osteuropa dennoch auf einem guten Weg.

KLARTEXT
„Die Menschen leben in völlig überfüllten Wohnungen. Das ist bekannt und es passiert nichts."
Günter Piening, Intergrationsbeauftragter des Senats
„Ich bestreite, dass nichts passiert. Sondern wir haben sowohl durch die Sozialarbeiter in der Okerstraße, durch die enge Kooperation mit Polizei und Ordnungsämtern wie auch durch den runden Tisch Leopoldtplatz sehr viele Initiativen in diesem Bereich. Sie können höchstens sagen, es passiert nicht genug. Das wäre vielleicht eine Möglichkeit. Dem würde ich zustimmen. Aber dazu brauchen wir Instrumente. Und es ist ein privater Wohnungsmarkt, das heißt, wir brauchen Menschen, die Anzeigen erstatten, die dieses Spiel nicht mehr mitspielen."

Der Senat müsse mehr tun, um die Lebensverhältnisse vieler Roma aus Osteuropa in Berlin zu verbessern - fordert die Integrationspolitische Sprecherin der Grünen, Canan Bayram. Geschehe dies nicht, befürchtet sie eine neue Parallelgesellschaft.

Canan Bayram (Bü90/Grüne), Integrationspolitische Sprecherin
„Wenn wir ihnen keine Sprachkurse bieten, wenn wir ihnen keine Arbeitsplätze und keine anständigen Unterkünfte bieten, dann werden sie sich an denen orientieren, die schon länger hier sind, und ihnen diese Dinge ermöglichen. Das heißt: Wir haben eine Wiederholung dessen, was wir schon in der Gastarbeitergeneration versäumt haben, dass wir die Menschen an den Staat binden."

Aber genau darin liegt das Dilemma. Zwar hat bislang keine Initiative eine echte Verbesserung der Situation bewirkt. Aber mehr Hilfen, Sach- oder gar Geldleistungen könnten das Problem noch verschärfen. Denn so würde Berlin noch mehr Roma aus Osteuropa anziehen, sagt der Neuköllner Migrationsbeauftragte.

Arnold Mengelkoch, Migrationsbeauftragter Neukölln
„Es kann ja nicht sein, dass Neukölln der Retter der gesamten Problematik der Ethnienverfolgung in Bulgarien und Rumänien ist. Das kann ja nicht sein. Wir haben schon jetzt für die großen Gruppen der türkischen und arabischstämmigen Ungelernten die Jobs nicht. Also haben wir sie auch nicht für die Roma. Was soll daraus werden?"

Die Antwort auf diese Frage kann Berlin nicht allein geben. Die Zuwanderung aus Osteuropa ist und bleibt Realität. Berlin wird weiter an den Folgen arbeiten müssen. Eine Veränderung erhofft sich der Innensenator nur auf europäischer Ebene. Die EU müsse Druck auf die Heimatländer der Roma ausüben, damit sich dort die Lebensbedingungen der Minderheiten verbessern.

Ehrhart Körting (SPD), Innensenator
„Der Sache nach sollten wir ihnen die Möglichkeit eröffnen, in ihre Heimat zurückkehren und dort ihre Perspektive aufzubauen. Hier bei uns haben sie, wenn sie nur wenige Monate hier sind, keine Perspektive."

Berlin ist nicht Paris. Eine Ausweisung haben diese Roma-Familien nicht zu befürchten. Man wartet einfach und hofft, dass sie von alleine wieder gehen.

Abwarten, das Problem aussitzen? Das kann wohl nicht die Lösung sein, zumal sich die Situation noch verschärfen dürfte: Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass es spätestens ab Ende 2013 eine Masseneinwanderung geben könnte. Dann nämlich soll der deutsche Arbeitsmarkt auch für Rumänien und Bulgarien voll geöffnet werden.




Autor: Robert Frenz