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Polizisten auf Streife | Bild: rbb

- Polizisten als Gewaltopfer – Wenn der Staat zum Angriffsziel wird

In Teilen Kreuzbergs und Neuköllns haben sich so genannte No-Go-Areas herausgebildet. Wenn die Polizei hier ihren Pflichten nachkommen will, trifft sie auf heftigen Widerstand. Eine eigene Subkultur beherrscht die Viertel. Ist der Staat machtlos?

Dass einzelne Polizeibeamte gelegentlich in die Schlagzeilen geraten, weil sie bei Einsätzen unverhältnismäßig reagieren, sprich: Gewalt anwenden, weiß man. Weniger bekannt ist das umgekehrte Phänomen: Gewalt gegen Polizisten. Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei ist der Widerstand gegen Polizeibeamte in den letzten zehn Jahren bundesweit um rund 31 Prozent gestiegen. Auch in Berlin nimmt dieses Problem dramatisch zu. In Neukölln und Kreuzberg etwa trauen sich uniformierte Beamte kaum noch allein auf die Straße. Was lässt sich dagegen tun? Welche Antworten haben die Politiker? Andreas Jörens hat recherchiert.

Berlin-Pankow. Bereitschaftspolizisten im Einsatz. Wenn er hier Autofahrer kontrolliert, ist das aus Sicht von André Baudach ein entspannter Job. Die Schutzweste immer an. Für André Baudach gehört sie zur Ausrüstung.
Ortswechsel: Berlin Kreuzberg, Wrangelkiez. Ein Stadtteil, in dem zwei Drittel der Menschen aus Einwandererfamilien stammen. Eine Gegend, die für Polizisten als No-Go-Area gilt. Allein, sagt André Baudach, geht er hier nur in Zivil rein. In Uniform dagegen nur mit mehreren Kollegen als Verstärkung.

André Baudach, Gewerkschaft der Polizei
„Wir haben das oft, dass Sie, wenn Sie in einer Straße wie dieser nur mal ein Knöllchen aufschreiben wollen, dann haben Sie schwupp die wupp einen Mob von 15 Personen um sich, der das auch mit Gewalt verhindern will. Und wenn Sie hier auch noch Festnahmen machen wollen, können Sie das eigentlich nur noch im Gruppenrahmen oder Zugrahmen machen.“

So haben das auch diese Polizeibeamten erlebt, als sie zwei jugendliche Räuber festnehmen wollten. Innerhalb von wenigen Minuten kamen bis zu hundert Menschen zusammen, wollten die Festnahme zu verhindern. Nur - diese und andere Beamte gehen nicht vor die Kamera.

Ein Kiez, der den Staat ablehnt? Das sieht der Bürgermeister komplett anders.

Franz Schulz (B90/Grüne), Bezirksbürgermeister Friedrichshain-Kreuzberg
„Was sicherlich über die vielen Jahr gewachsen ist in der Bevölkerung ist, dass sie nicht jedes polizeiliches Eingreifen oder auch ordnungsrechtliches Eingreifen per se für richtig halten. Sondern gewachsen ist das Bewusstsein, dass nachgefragt wird, auch genauer nachgefragt wird, wofür und wozu dieser Einsatz ist. Es ist ja eigentlich ein sehr positiver Prozess, dass die Menschen ihre Bürgerrechte intensiver und bewusster wahrnehmen.“

Widerstand gegen die Staatsgewalt – für Kreuzbergs grünen Bürgermeister eine bewusste Wahrnehmung von Bürgerrechten. Angriffe auf Polizisten sieht er nicht.

Neukölln – die gleiche Situation. Der Norden eine Gegend mit einem extrem hohen Anteil türkisch- und arabischstämmiger Bewohner. Hier macht sich verstärkt das Faustrecht breit, gehört Gewalt zum Alltag vieler junger Männer, meint Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky – der dem rechten Flügel der SPD zugerechnet und in seiner Partei häufig kritisiert wird.

Heinz Buschkowsky (SPD), Bezirksbürgermeister Neukölln
„Sie sehen einen Feind, sie verstehen sich als Kämpfer und dann wird der Feind angegriffen. Das kann genauso gut eine Gruppe von anderen jungen Männern sein. Da werden dann Verletzungen in Kauf genommen, da wird gestochen, da wird getreten. Da sind keine Grenzen mehr da. Bei Polizeibeamten kommt sicherlich hinzu, dass sie die Autorität des Staates verkörpern und dass das ein besonderer Kick ist.“

Aber wie raus aus der Gewaltspirale? Kurzfristig hilft da nur, so Buschkowsky, ein konsequentes Durchgreifen von Polizei und Justiz.

Heinz Buschkowsky (SPD), Bezirksbürgermeister Neukölln
„Intensivtäter, Gewalttäter gehören weggesperrt. Die Gesellschaft muss sich auch schützen dürfen. Aber wir müssen doch den, den Nachwuchs stoppen. Das ist doch eigentlich das Entscheidende.“

Den Nachwuchs stoppen. Das schafft nur, wer an die Familien rankommt. Ein Offenbarungseid der bisherigen Integrationspolitik. Denn der Nachwuchs ist vielfach die dritte Generation hier lebender Einwanderer. Für Buschkowsky liegt in den Familien und deren Tradition die Ursache für Gewalt.

Heinz Buschkowsky (SPD), Bezirksbürgermeister Neukölln
„Man muss natürlich wissen, wie die Erziehungsmuster funktionieren. Und da werden eben Mädchen nach wie vor zur Reinheit, zur Keuschheit und zum Gehorsam erzogen und Jungen werden erzogen als Beschützer, zur Tapferkeit und zum Kämpfen. So werden sie von klein auf gedrillt. So. Und wenn die jetzt dann das entsprechende Alter haben, dann wollen sie auch kämpfen.“

Gefragt ist ein Wertesystem, das nicht auf Gewalt und Unterdrückung setzt. Und das wiederum lässt sich nur durch Bildung realisieren.

Beispiel: das Albert-Schweitzer-Gymnasium. 85 Prozent der Schüler stammen aus der Türkei oder dem arabischen Raum. Hier wurden Pädagogik-Studenten mit dem gleichen kulturellen Hintergrund eingesetzt. Sie betreuen die Schüler nachmittags. Seitdem schaffen immer mehr von ihnen das Abitur. Nur ein Modell.

Heinz Buschkowsky (SPD), Bezirksbürgermeister Neukölln
„Wir haben unsere Stadtteilmütter, die zu Familien hinter die Wohnungstür gehen, wo der Bürgermeister mit der Amtskette um Hals zehnmal klingeln kann, da macht kein Mensch die Tür uff, sondern die versuchen Eltern zu knacken, warum ist es wichtig, dass das Kind in Kindergarten geht, warum sollte man, auch wenn man 20 Jahre hier ist, noch mal zur Volkshochschule gehen, einen Deutschkurs machen, was ist gewaltfreie Erziehung.“

Stadtteilmütter – Frauen mit türkisch-arabischem Hintergrund. Sie sprechen die Sprache der Familien. Und finden so zu ihnen einen leichteren Zugang als Sozialarbeiter. Sie vermitteln ihnen, wie wichtig Bildung ist, welche Chancen sie bietet. Bisher haben die Stadtteilmütter 2500 Familien mit 10.000 Kindern angesprochen. Eine Investition in die Zukunft.

Denn für Buschkowsky ist klar: In zehn Jahren werden achtzig Prozent der Nord-Neuköllner aus Einwandererfamilien stammen. Und auch dann will der Bürgermeister die Polizei als Ordnungsmacht haben und nicht das Faustrecht. Und so plädiert der Neuköllner auch für eine stadtweite Kitapflicht. Sie soll helfen, ein entsprechendes Werte- und Bildungsfundament für alle zu schaffen.



Andreas Jörens