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- Sittenwidrig: Enteignung von Bodenreformland in Brandenburg

Zwangsenteignung und Verstaatlichung – das verbindet man für gewöhnlich mit totalitären Regimes, nicht aber mit einer Demokratie! Doch genau das ist in Brandenburg geschehen: Weil tausende Erben von Bodenreformgrundstücken angeblich nicht ermittelt werden konnten, hat das Land sich im Jahr 2000 einfach selbst als Eigentümer ins Grundbuch eintragen lassen. Für den Bundesgerichtshof ein Fall von Sittenwidrigkeit.

Wie in der letzten Sendung versprochen, liebe Zuschauer, wollen wir uns heute auch noch mal die Enteignungs-Affäre in Brandenburg genauer ansehen: Zwangsenteignung und Verstaatlichung – das verbindet man für gewöhnlich mit totalitären Regimen, aber, bitte schön, nicht mit einer Demokratie! Doch genau das ist in Brandenburg geschehen: Weil tausende Erben von Bodenreformgrundstücken angeblich nicht ermittelt werden konnten, hat das Land sich im Jahr 2000 einfach selbst als Eigentümer eintragen lassen. Für den Bundesgerichtshof ein Fall von Sittenwidrigkeit, der an die Praxis in der ehemaligen DDR erinnere. Katrin Aue und Joachim Rüetschi.

Die Akte „Bodenreform“. Zeugnis einer spektakulären Affäre des Landes Brandenburg. Von der Staatsanwaltschaft Potsdam nicht weiter verfolgt. Zurzeit kein Ermittlungsbedarf.

Doch geklärt ist damit ist noch längst nicht alles: Jetzt ist das Parlament am Zug. Seit vergangener Woche versucht ein Untersuchungsausschuss, das unschickliche Vorgehen des Landes aufzuarbeiten.

Kerstin Kaiser (Die Linke), Fraktionsvorsitzende Brandenburg
„Zunächst müssen wir auch feststellen, wer trägt hier die politische Verantwortung. Und die liegt bei der Landesregierung in Gänze.“

Zehn Hektar Ackerland im Oderbruch. Dies ist das Grundstück, das die Affäre auslöste: Sein Grundstück. Horst Netzel aus Strausberg hat es sich erstritten. Netzel gegen das Land Brandenburg. Sechs Jahre hat das gedauert. Bis ihm der Bundesgerichtshof schließlich Recht gab. Bald gehört ihm der Acker wieder, den er einst von seinem Vater geerbt hatte. Bodenreformland.

1945 wurden Großgrundbesitzer in der sowjetisch besetzten Zone systematisch enteignet. 82.000 Ländereien gingen an Flüchtlinge und Landarbeiter. „Junkerland in Bauernhand“, so die Idee der Bodenreform. Nach der Wende war dann heftig umstritten, wem die Bodenreformflächen zustehen. Dem Staat oder aber den Erben der Bauern von damals. Der Bundestag fand dafür folgenden Kompromiss.

Wenn ein Bodenreformgrundstück zur Wendezeit von den Erben landwirtschaftlich genutzt wurde, durften die ihr Land behalten. Konnten die Behörden aber nachweisen, dass die Erben ihr Grundstück nicht mehr landwirtschaftlich nutzten, fiel der Boden an die öffentliche Hand zurück. Also an das Land Brandenburg. Diese Regelung aber war befristet bis zum Oktober 2000. Danach sollten alle Erben ihr Land behalten dürfen. Egal ob sie landwirtschaftlich tätig waren oder nicht.

Rund ein Jahr vor Ablauf der Frist: Torschlusspanik bei der Landesregierung. Bei rund 10.000 Grundstücken waren die Erben noch immer nicht ermittelt. So auch bei Netzels Acker im Oderbruch. Den hat das Land dann einfach in Besitz genommen und sich selbst ins Grundbuch eingetragen. Netzel war sein Grundstück los. Enteignet vom Land Brandenburg. Und zwar wider geltendes Recht. Gemerkt haben die Netzels das erst später. Als sie ihr Land verkaufen wollten.

Horst Netzel, Rentner
„Zwei Jahre danach ist plötzlich das Land weg. Und ohne uns was zu sagen. Das ist das Schlimmste.“

Angeblich waren die Netzels als Erben nicht aufzufinden. So die Version des Amtes. Ein Rätsel – wohnen sie doch seit 65 Jahren im selben Haus. Aber sei’s drum. Für den Fall, dass die Erben nicht gefunden werden, hätte für die Behörden ohnehin gegolten: Hände weg von den Grundstücken. Doch das Land Brandenburg langte trotzdem zu. Und das war »sittenwidrig«, sagte der Bundesgerichtshof in seinem Urteil.

Das Finanzministerium sah sich damals auf der sicheren Seite. Die Mehrheit der juristischen Berater gab grünes Licht.

Ingo Decker, Finanzministerium Brandenburg
„Das ist letztlich ein klassischer Fall von „Nachher ist man immer klüger“. Wenn man mit dem Stand von heute, sprich mit dem BGH-Urteil in der Tasche urteilen würde, im Blick auf damals, hätten wir es anders gemacht. Aber damals war das so nicht absehbar und nicht erkennbar.“

Dumm gelaufen. Dabei war der Rechtsbruch durchaus absehbar. Denn zuständig für die Grundbuchänderungen sind die Landkreise, und die gingen auf die Barrikaden. Schließlich sollten sie tausendfach die Grundbücher ändern. Auf rechtswidriger Basis. Darauf bot die Landesregierung den Kreisen einen Deal an. Ihr ändert die Grundbücher. Und wir übernehmen die Verantwortung. Den Landkreisen wurde eine so genannte Haftungsfreistellung angeboten. Wenn man so will: eine Lizenz zum Rechtsbruch. An die Intention dieser Erklärung erinnert man sich im Kreishaus Teltow-Fläming noch ganz genau.

Peer Giesecke (SPD), Landrat Teltow-Fläming
„Wenn man dann den Begriff hört, du wirst von jeder Haftung freigestellt, ist in erster Linie, was man sagt: Oh prima! Ich bin mit dem Rücken an der Wand, ich brauch nicht entscheiden. Andere entscheiden für dich. Auf der anderen Seite muss man sich dann aber die Frage stellen, wieso – wenn alles so rechtens ist, wie uns der Weg angeboten wird – warum ‚benötigt’ man dann – ‚benötigt’ in Anführungsstrichen – man überhaupt eine Haftungsfreistellung.“

Teltow-Fläming weigerte sich, die Bodenreformgrundstücke hinter dem Rücken der Erben auf das Land Brandenburg zu übertragen. Und stand damit ziemlich allein da. Denn alle anderen Landkreise machten mit. Eine Haftungsfreistellung ging auch an die Stadt Potsdam unter dem damaligen Oberbürgermeister Matthias Platzeck. Die weitere Recherche nach möglichen Erben sei verzichtbar. So die interne Aufforderung des Finanzministeriums damals.
Zitat:
„Ich wäre Ihnen daher sehr verbunden, wenn Sie bei den Landkreisen/kreisfreien Städten darauf hinwirken könnten, dass der Prüfungsumfang auf ein Minimum beschränkt wird“.

Keine weitere Suche nach Erben, aber gleichzeitig der Griff nach den Grundstücken.

„Eines Rechtsstaates unwürdig“, urteilte der Bundesgerichtshof. Und die Vertreter der Landesregierung stimmten artig mit ein.

Jörg Schönbohm (CDU), Innenminister Brandenburg
„Das sagt der Bundesgerichtshof zu einer Verwaltungspraxis des Landes Brandenburg. Und das beschämt mich. Um es ganz einfach zu sagen.“

Der Innenminister ist beschämt. Über die Praxis seines eigenen Hauses. Denn die Freistellungserklärung entstand unter reger Mithilfe des Innenministeriums. Das belegen interne Dokumente.

Das empört ihn hier. Thorsten Purps. Rechtsanwalt. Seit sechs Jahren beschäftigt er sich mit den Folgen der Bodenreform.

Thorsten Purps, Rechtsanwalt
„Ich sehe darin ein kollusives Zusammenwirken des Innenministeriums und des Finanzministeriums, die gemeinsame Sache gemacht haben und die ganz eindeutig nur eines verfolgt haben: Hier dieses Vermögen für das Land zu sichern.“

Genau das Gegenteil trat ein: Denn nun muss das Land alle 6.600 Grundstücke, die es sich geschnappt hat, an die Eigentümer zurückgeben. Und das völlig ohne Not.

Familie Netzel beispielsweise war zum Zeitpunkt der Wende gar nicht mehr in der Landwirtschaft tätig und hätte ihr Grundstück eigentlich verloren. Doch jetzt darf sie ihren Acker behalten. Bei Tausenden anderen Erben könnte das genau so sein. Und dem Land droht noch weiterer Schaden. Denn ein Teil der enteigneten Flächen ist bereits verkauft worden. Zum Beispiel hier in Diepensee. Sollten sich die rechtmäßigen Erben noch melden, müssen sie entschädigt werden. Natürlich mit Geld aus der Landeskasse.