Bernd Gäbler

- Otto-Brenner-Stiftung füllt das Sommerloch

Bernd Gäbler, früher mal Leiter des Grimme-Instituts, hat sich mit den politischen Magazinen der ARD beschäftigt, genauer von September bis Dezember 2014. Seine persönlichen Auffassungen dazu hat er jetzt in Form einer Otto-Brenner-Studie verbreitet. Sein Fazit: nach vier Kontraste-Ausgaben, die Gäbler geschaut hat, fordert er nun, Kontraste solle - wie auch Fakt - nur im Regionalprogramm verbreitet werden und nicht mehr im Ersten. Da es daraufhin im Blätterwald heftig rauschte, hier für alle eine kleine Aufarbeitung, was da genau zum Füllen des Sommerlochs eingesetzt wurde.

Wir haben den Originaltext und unsere Meinung dazu im Text voneinander abgesetzt.

4.2.4 Kontraste (ARD/rbb)
Sobald die Beiträge dieses politischen Magazins eine Länge von siebeneinhalb bis neuneinhalb Minuten haben, passen nur noch drei in eine Sendung. Bei bloß 13 Beiträgen in 4 Sendungen ist die thematische Vielfalt also etwas eingeschränkt. Die thematische Zuordnung gliedert sich wie folgt:

Themenbereich Beiträge
Gesundheit 4
Innenpolitik 4
Geschichte 1
Soziales 1
Bundeswehr 1
Flüchtlinge 1
Verkehr 1

Wie bei Fakt gibt es auch in diesem Magazin mit der ausgewiesenen Ost-West-Tradition ein Geschichtsthema. Zum Jahrestag des Mauerfalls wird an DDR-Oppositionelle der ersten Stunde erinnert, die dann ins Abseits gerieten (9.10.).

Spürbar ist aber erneut die Dominanz der Gesundheitsthemen. Als Missstand wird angeklagt, dass Alkoholkranken eine neue Leber verweigert wird (18.9.), ein Problem, das doch etwas speziell wirkt.

Die Redaktion: Hier zeigt sich, Gäbler hat eine auf klassische (partei-) politische Themen beschränkte Sichtweise auf die Magazine. Die Kategorie Ethik fehlt bei ihm völlig. Das Thema "Welches Leben ist erhaltenswert und welches nicht?" geht über eine medizinische Berichterstattung weit hinaus, ist also kaum als "Gesundheitsthema" zu betrachten. Angesichts des Mangels an geeigneten Organen für Transplantationen ist die Frage, wer unter welchen Bedingungen Anspruch auf eine Organtransplantation hat, ein Berichtsgegenstand von gesellschaftspolitischer Bedeutung.

Das gilt auch für das dargestellte soziale Problem: Strafgefangenen wird ihre Arbeit nicht für die Rente angerechnet (30.10.).

Die Redaktion: Auch hier geht es um eine ethische, in diesem Fall rechtspolitische Fragestellung, die außerhalb des Themenkanons und Interesses von Bernd Gäbler angesiedelt zu sein scheint. In dem Beitrag wird eine Grundrechtsdiskussion aufgeworfen, denn Zwangsarbeit ist verfassungswidrig. Die Frage der Entlohnung von Strafgefangenen sowie die Abführung von Sozialbeiträgen für diese ist ein Grundsatzproblem, das übrigens einige Woche später auch im Bundestag aufgegriffen wurde.

Das Thema "Social Freezing" (das vorsorgliche Einfrieren befruchteter Eizellen ohne medizinisch gegebenen Grund) war gerade in aller Munde, von Kontraste wird es eher essayistisch – angereichert durch einige Pro-Stimmen – bearbeitet. Die Informationen sind nicht neu, das Stück wirkt aber überlegt und rund.

Die Redaktion: Stimmt. Aber auch hier wieder ein eher ethisches als gesundheitspolitisches Thema.

Der selbst schwer erkrankte Autor Benedikt Maria Mülder kritisiert heftig die im Sommer 2014 überaus populäre, sogenannte "Ice-Bucket-Challenge", die angeblich auf die Krankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose, eine degenerative Erkrankung des Nervensystems aufmerksam machen sollte, tatsächlich aber nur der Selbstdarstellung der Teilnehmenden diene (9.10.). Dieser Ansatz könnte als recht originell gewertet werden, hätte dasselbe nicht bereits drei Wochen zuvor (16.9.) im Tagesspiegel gestanden.

Die Redaktion: Der Aufsatz von Benedict Mülder fand leider nur regional Widerhall, überregional gab es ausschließlich eine breite positive Berichterstattung über die so genannte Charity Aktion "Ice bucket-Challenge". Ein interessantes – aber eben auch wieder eher ethisches als im gäblerschen Sinne politisches Thema - mit einer Bedeutung, die weit über die Region hinausgeht. Kontraste hat hier erstmals bundesweit einen Kontrapunkt gesetzt und dabei Zuspruch von vielen Betroffenen erhalten, die diese Form der "Unterstützungsaktion" ablehnen.

Die Beiträge zur Innenpolitik wiesen zur Hälfte einen Berlin-Bezug auf: Über linksradikalen Terror im Kiez (18.9.) wird ebenso berichtet wie über Drogenhandel im Görlitzer Park (27.11.). Aber auch das ist kein Thema, auf das erst Kontraste aufmerksam gemacht hat. Zu diesem Zeitpunkt ist der "Görli" schon längst Gegenstand der überregionalen Berichterstattung. Zwar liefert das Magazin Aussagen eines anonymisierten Polizisten, der beklagt, wie schrecklich die Zustände dort seien, zeigt besorgte Anwohner und recht hilflose Verantwortliche, aber substanziell geht der Beitrag nicht über bereits anderswo gelieferte Informationen oder einen Film, wie er typisch für ein Regionalmagazin wäre, hinaus. Andere Berliner Themen, die von bundesweitem Interesse sein könnten, kommen nicht vor. So fällt in den Berichtszeitraum beispielsweise der Rücktritt des Bürgermeisters Klaus Wowereit. Könnte eine ernsthafte politische Bilanz seines 13-jährigen Wirkens an der Spitze der Metropole nicht auch Zuschauer außerhalb der Hauptstadt interessieren?

Die Redaktion: Im Umfeld des Rücktritts von Wowereit gab es bundesweit eine breite Berichterstattung in allen Formen. Ein darüberhinausgehender Ansatz war für ein Magazin, das nur alle drei Wochen erscheint, nicht mehr gegeben. Man hätte nur das allseits Verbreitete wiederholt und beim Zuschauer zu Recht den Eindruck: “Alles schon gesehen“ hinterlassen.

Wieder gibt es nur einen Beitrag, der auch etwas mit Parteipolitik zu tun hat: Der ehemalige Stasi-Mann Kuschel bringt als MdL die Linke an die Macht (27.11.). Diese "zentrale Figur" der Linken sei "parlamentsunwürdig", so wird die Ethikkommission des Landtags zitiert – und das ist auch der Tenor des Beitrags. Kuschel sei "ein Sadist", bezeugt ein Ehepaar, das in der DDR einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Er sei "arrogant", "ein Wendehals" und habe versucht, Leute für die Stasi anzuwerben. Dass er jetzt wieder mitmische, sei eine "Sauerei", sagt Herr Schramm via Skype aus Thailand. Ein ehemaliger Bürgerrechtler, der heute bei Bündnis 90/Die Grünen ist, plädiert für differenzierte Urteile und hält sogar einen "Läuterungsprozess" für möglich. Dieser O-Ton bleibt unverarbeitet wie ein Fremdkörper stehen.

Die Redaktion: Gäbler liefert hier eine sehr einseitige und vorurteilsbehaftete Interpretation des Beitrages. Der Beitrag greift angesichts der Diskussion um den ersten "linken" Ministerpräsidenten Deutschland die Frage auf, ob und wann auch ehemalige Stasi-Spitzel politisch tätig sein dürfen, ob es Läuterung geben kann und tätige Reue. Durch die Stellungnahmen von Zeitzeugen wird diese Diskussion aufbereitet und differenziert dargestellt.

Zur Bundeswehr wird ein weiterer Aspekt der Beschaffungskrise dargestellt: Zu Hause fehle, was ins Ausland geliefert werde (30.10.).

Die Redaktion: Zuerst ist das Sendedatum schlicht falsch. Gäbler meint wahrscheinlich einen Beitrag in der Sendung vom 09.10.2015. Er hat auch nicht zur Kenntnis genommen, dass Kontraste seit Jahren über die Beschaffungsprobleme bei der Bundeswehr berichtet und bei diesem Thema über eine beträchtliche Expertise verfügt. Diese wird auch regelmäßig im politischen Raum wahrgenommen und von anderen Medien nachberichtet und übernommen.  

Im Beitrag zu den Flüchtlingen imponiert besonders eine kurz porträtierte 76-jährige Helferin aus Schwetzingen.

Die Redaktion: Ja, dem stimmen wir zu! Aber dieser Beitrag konnte offensichtlich an der negativen Gesamtwertung nichts ändern.

Im Beitrag zur Verkehrspolitik wird moniert, dass Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) Bayern beim Straßenbau bevorzuge.

Die Redaktion: Dass dieser Beitrag unter der Kategorie "Verkehr" subsumiert wird, kann nur mit Humor genommen werden. Der Bericht ist ein Erzählstück über die engen Verflechtungen zwischen Verkehrsminister Dobrindt und den CSU-Politikern in seinem Wahlkreis. Bayrische Spezlwirtschaft in ihrer besten Form.
 
Zu den Themen Ukraine, Ebola, NSA-Spähaffäre, NSU, Digitalisierung und IS/islamistischer Terror gibt es keine Beiträge.
Gibt es ein Recherche-Highlight? Ja, am 27. November läuft ein fast zehnminütiger Beitrag über multiresistente Keime in Kliniken. Er soll eine umfassende Gefahrenanalyse bieten, nachdem es an einzelnen Krankenhäusern (Mannheim, Bremen) immer wieder zu Hygieneproblemen gekommen war. Ausdrücklich wird auf ein Dossier der Wochenzeitung "Die Zeit" verwiesen. Dieses war bereits eine Woche zuvor dort und in einer Reihe von Regionalzeitungen erschienen (20.11.; vgl. ZEIT 2014a und b). Es war die erste große Arbeit und umfassende Datenanalyse des neuen, gemeinnützigen "Rechercheteams Correctiv", das nur durch Spenden und Zuwendungen von Stiftungen finanziert wird. Zwanzig Reporter sollen daran gearbeitet haben. Die zentrale These lautet, dass viel mehr Menschen in Krankenhäusern an antibiotikaresistenten Keimen stürben, als die offizielle Statistik ausweise. Bis zu 400.000 Menschen steckten sich an, jährlich 7.500 bis 15.000 Menschen stürben. Im Magazin sagt die Moderatorin Astrid Frohloff: "Jedes Jahr sterben – nach Schätzungen – bis zu 30.000 Menschen im Krankenhaus an Infektionen durch Keime", und spricht dann von "Mängeln im System", auf die ihre Rechercheure gestoßen seien. Im folgenden Beitrag spricht ein Befragter sogar von einer Million Ansteckungen, eine konkrete Zahl von Toten wird aber nicht genannt. Stattdessen wird beklagt, dass es bei der Recherche nur Absagen und Ausreden gegeben habe, die Deutsche Krankenhausgesellschaft sich gegen Transparenz sperre und der Bundesgesundheitsminister kein Interview geben wollte. Das Problem: Längst ist klar, dass der Correctiv-Text seine zentrale These nicht halten kann. Schon zwei Tage vor der Sendung sind entsprechende Kritiken zu lesen (vgl. Maurin 2014). Das Team hat große Mengen von Krankenhausdaten gesichtet und bei der Auswertung herausgefunden, dass die Ärzte bei verstorbenen Patienten mehr als 30.000 Mal einen der drei häufigsten multiresistenten Keime entdeckt hätten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese auch die Todesursache waren, wie der Correctiv-Text unterstellt und die Kontraste-Moderatorin behauptet. Auch die Ausgangszahl der 7.500 bis 15.000 Toten bezieht sich nicht auf multiresistente Keime im Besonderen, wie suggeriert wird, sondern auf Krankenhausinfektionen insgesamt, also auch Grippeviren und andere. Niemand sollte das Problem der Krankenhaushygiene verniedlichen, aber hier ist es offenkundig im Verbund mehrerer Medien "hochgejazzt" worden – und überdies zu einem Zeitpunkt, als schon erste Kritiken an der ursprünglichen Recherche erschienen waren. Für einen eigenständigen Blick auf die Rechercheergebnisse reichte die Kraft von Kontraste offenbar nicht aus.

Die Redaktion: Die "Kraft von Kontraste" am Thema "Krankenhaushygiene" investigativ dranzubleiben, währt nun schon seit 2006. Die Autoren haben deshalb im Gegensatz zur Behauptung von Herrn Gäbler auch keine Fehler gemacht. Ihre Recherchen sind unabhängig von anderen Journalisten entstanden. Fehler in der Berichterstattung sind einzig bei der Recherchegruppe "Correctiv" aufgetreten, wie diese selbst einräumen musste. Die von Kontraste in der Moderation genannten Zahlen über mögliche Todesopfer durch Krankenhauskeime (darunter natürlich auch mit multiresistenten Keimen) wurden klar als Schätzungen eingeordnet, die Experten seit Jahren äußern. Im Beitrag selbst ging es deshalb auch nicht um neue oder skandalträchtige Zahlen, sondern um die fehlende Transparenz bei Infektionszahlen und um eklatante Mängel bei den Kontrollen durch die Behörden. Erstmals wurde übrigens auch eine neue Infektionsquelle in Kliniken, die Aufbereitung von Instrumenten, thematisiert. Dies ist Bernd Gäbler wohl nicht aufgefallen, anderen hingegen schon. Der Beitrag erregte Aufsehen und führte zu zahlreichen Reaktionen.