Polizist im Schießstand, Quelle: rbb

Tödliche Sparwut - Berliner Polizisten mit krebserregendem Antimon vergiftet

Über Jahre sparte die Berliner Polizei an der Wartung und Sanierung maroder Schießstände. Die Folge: unzählige Polizisten, zumeist Schießtrainer und Angehörige von Spezialeinheiten, wurden durch Antimon vergiftet, weil die Abluftanlagen nicht ordnungsgemäß arbeiteten. Obwohl Gutachter vor den Gesundheitsgefahren warnten, geschah jahrelang nichts.

Anmoderation: Was heute in Berlin geschehen ist, ist einmalig: Schießlehrer der Berliner Polizei sind in den Streik getreten. Dabei ging es nicht um Geld oder mehr Urlaub, nein. Sie streiken, weil sie Angst um ihre Gesundheit und die Gesundheit der Polizeischüler haben, die sie ausbilden sollen. Der Grund: die Schießstände der Berliner Polizei sind marode. Über Jahre hinweg wurden Polizisten dort während des Trainings durch gefährliche Schadstoffe vergiftet. Gabi Probst hat die Hintergründe seit Monaten recherchiert und mit erkrankten Polizisten gesprochen.

Diese Berliner Polizisten glauben, dass ihr Leben während ihres Dienstes aufs Spiel gesetzt wurde. Sie glauben, dass sie durch ihr Schießtraining krank wurden.

O-Ton Jörg S., Schießtrainer Polizei Berlin
"In der Untersuchung, die jetzt gemacht wurden, sind weitere Verdachtsmomente
aufgetreten, die lasse ich jetzt klären und dann muss ich weitersehen."

Frage Kontraste
"Sie wollen es geklärt wissen?"

Jörg S.
"Ja."

Frage Kontraste
"Können Sie reden?"

Jörg S.
"Ja."

Frage Kontraste
"Was bedrückt Sie?"

Jörg S. ist 44 Jahre alt. Er ist Schießtrainer. Seine Lunge ist geschädigt.

O-Ton Uwe S., Schießtrainer Polizei Berlin:
"An der Seite der Schilddrüse, da wuchsen dann eben noch andere Gewächse, die da
nicht hingehörten. Und da konnte der Prof. in meinem Krankenhaus auch nicht
erklären, warum die so schnell gewachsen sind. Und da waren die dann 6,1 und 37
Gramm schwer. Und damit kann man auch nicht mehr atmen. Dann hat man auch nicht
nur die Kurzatmigkeit innerhalb der Lunge, sondern auch hier oben war ein Engpass."

Frage Kontraste
"Wären Sie fast erstickt?"

Uwe S.
"Ja, definitiv."

Uwe S. ist 52 Jahre alt. Schießtrainer. Jetzt hat er auch noch chronischen Husten und eine Zyste an der Lunge.

Stefan L. und Tom K. sind auch krank. Sie haben aber ihren Kollegen eines voraus: Sie
besitzen das Ergebnis einer Blutuntersuchung schon schriftlich, der sich alle vier vor ein paar Wochen unterzogen haben. Der Schock: Bei allen ist das Blut vergiftet - mit Antimon.

Antimon steckte früher in der Munition, ist ein Schwermetall und krebserregend.
Wissenschaftler und die Weltgesundheitsorganisation, WHO bescheinigen Antimon
mindestens seit 2003 eine "Giftwirkung".

Das krebserregende Antimon wurde beim Schießen freigesetzt und die Polizisten waren dem fast täglich ausgeliefert.

Erstes Beispiel: Im Berliner Landeskriminalamt wurde 1996 ein Schießstand errichtet, dessen Lüftungsanlage schon damals nicht den technischen Standards entsprach. Eine solche Belüftung war in anderen Bundesländern längst nicht mehr zugelassen.

War anfänglich die Anlage auf eine Distanz zur Schießscheibe von 25 Meter ausgerichtet, verkürzte sich diese dann auf bis zu fünf Meter. Auch erhöhten sich die Schusszahlen. Das alles hatte Folgen. Die Zuluft von der Decke und den Seitenwänden führte zu Luftverwirbelungen.

Der beim Schuss entstehende toxische Pulverdampf wurde nicht abgesaugt, sondern zum Schützen zurückgeführt. Sie atmeten die Gifte ein.

Verantwortlich über die Jahre waren mindestens zwei Polizeipräsidenten: Dieter Glietsch und Margarete Koppers. Doch sie griffen nicht ein. Mit uns darüber reden wollen beide nicht.

Zweites Beispiel: Diese Schießanlage in Berlin-Reinickendorf mit mehreren Hallen war
eigentlich für das Schießen mit Gewehren ausgelegt. Auf 50 Meter Entfernung. Doch nach der Wende wurde vor allem mit Pistolen geschossen, aus kurzer Distanz und mit vielfach erhöhter Schusszahl. Und wie beim LKA landeten die Gifte letztlich in den Lungen der Schützen. Betroffen waren vor allem die Schießtrainer und die Spezialeinheiten.

O-Ton Jörg S., Schießtrainer
"Wir hatten alle die Probleme gehabt, wenn wir aus der Halle gekommen waren, uns die Nase geputzt haben, dass wir dreckige, schwarze Taschentücher hatten. Wir hatten Augenreizungen, Hustenanfälle, wie gesagt, es ist kein Einzelfall gewesen."

Der Schießtrainer Tom K. leidet seit Jahren an schwere Herz- und Lungenkrankheit. Sein Antimonwert: 2,3. Der Grenzwert ist zweieinhalbfach überschritten.

O-Ton Tom K., Schießtrainer Polizei Berlin
"Mein Hauptthema ist im Moment zuhause, nachdem meine Ärzte mir gesagt haben, das hat sich höchst wahrscheinlich bei dir in den Knochen abgelagert. Wer innerhalb der Familie wäre denn bereit mir Rückenmark, Knochenmark, um hier vielleicht eine aufkommende Leukämie, und darauf läuft es hinaus, im Vorfeld bekämpfen zu können. Oder wenn es ausgebrochen ist, zu meinen schon vorhandenen Gesundheitsbildern."

Deshalb lässt sich Tom K. von dem Spezialisten Prof. Witt in der Charité behandeln. Erst
durch unsere Recherche wurden viele Polizisten auf Antimon aufmerksam und ließen sich testen. Bislang 45. Das Ergebnis erschreckend.

O-Ton Prof. Christian Witt, Pneumologe, Charité Berlin
"Die Antimonwerte von 45 Patienten, was ich jetzt, heute übersehe, sind nur bei zwei Patienten, nur bei zwei die Werte normal, alle andern sind erhöht, mehrfach erhöht."

Mit diesem Ergebnis rechnete selbst der Experte nicht. Er sieht inzwischen einen Zusammenhang zwischen dem giftigen Dämpfen und den hohen Antimonwerten.

O-Ton Prof. Christian Witt, Pneumologe, Charité Berlin
"Zweifelsfrei sehe ich den Zusammenhang, zweifelsfrei, und bin auch als Arzt fast betroffen, dass in dieser Klarheit die Aussage ist. Ich habe damit gerechnet, es sind vielleicht 50 Prozent erhöht und die anderen nicht. Die haben nicht alle gleich viel exponiert. Gibt es Leute mit vielleicht 100 Millionen Schuss Exposition und es gibt welche, die haben weniger, aber die haben alle erhöhte Werte."

43 von 45 Polizisten haben also erhöhte Antimonwerte - wie diese vier. Demnächst werden sich 50 weitere Polizisten testen lassen. Dass Polizisten ihr Blut untersuchen lassen, kam nur durch unsere Recherche in Gang.

Stefan L.'s Zeit als Schießtrainer beim SEK liegt neun (!) Jahre zurück. Trotzdem hat er heute einen Antimonwert im Blut von 3,5 - ein Wert, der den Grenzwert um das Vierfache überschreitet!

O-Ton Stefan L, ehemaliger Schießtrainer SEK Berlin
"Ich fühle mich meines Lebensglücks beraubt. Definitiv. Ich weiß auch nicht, ob das noch mal wieder so werden kann. Es kann ja nicht mehr wieder so werden. Ich habe jetzt diesen Antimonwert im Körper, der sich für mich persönlich anfühlt, wie eine tickende Zeitbombe."

Trotz aller Beschwerden fanden die Polizisten bei ihrer Führung kaum Gehör. Tom K. war auch für den Arbeitsschutz zuständig, er kennt fast alle Schießstätten und er hat...

Tom K.
"...dort entsprechend technische Mängel vorgefunden, die ich immer wieder angemahnt habe, immer wieder in schriftlicher Form, immer wieder die zuständigen Stellen angerufen habe, bin über Jahre immer wieder nur in einen Bereich gestoßen, wo es verschlossene Türen gegeben hat. Es hat uns keiner geholfen."

Stefan L. und ein Kollege schrieben 2009 über ihre "Kurzatmigkeit nach dem Schießtraining", und "Hautreizungen" Dienstunfallanzeigen. Zwei Jahre kämpften sie mit dem Dienstherrn um ihr Recht und die Anerkennung. Erfolglos. Stattdessen mussten alle mit dieser Belüftung weiterschießen und Stefan L. und sein Kollege wurden zur Kommandoführung zitiert:

O-Ton Stefan L., ehemaliger Schießtrainer Polizei Berlin
"...die uns in einem Acht-Augen-Gespräch damals gefragt haben, ob wir uns über die Konsequenzen dieser Meldung im Klaren wären und naiv wie wir damals waren, haben wir das bejaht. Wir sind davon ausgegangen, dass jetzt endlich was passiert in den Hallen und zwei Wochen später wurde uns mitgeteilt ohne Angaben von Gründen, wir müssten uns eine neue Dienststelle suchen, unsere Zeit beim SEK wäre vorbei."

Inzwischen wissen wir, dass rund 150 Gutachten bei der Berliner Polizei zu den Schießständen vorgelegen haben, die aber jahrelang kaum Folgen hatten, obwohl auch immer wieder von unzureichender Lüftungsanlage die Rede ist.

In einem KONTRASTE exklusiv vorliegenden, internen Bericht zu den Schießständen wird festgestellt:

"Allein für die dringend notwendige Modernisierung einiger Abluftanlagen wurden bereits 2010 zehn Millionen Euro (...) veranschlagt, begleitende Maßnahmen sind hierbei nicht berücksichtigt."

Dringend notwendig, analysiert 2010! Trotzdem ließ man die Polizisten noch mindestens drei weitere Jahre weiterschießen und krank werden, ehe die meisten Schießstände geschlossen wurden.

Dieter Glietsch war bis 2011 Polizeipräsident. Trotz der vielen Gutachten und der Beschwerden seiner Polizisten gab es unter ihm keine Untersuchung zu Antimon oder zu anderen krankheitsauslösenden Faktoren durch die Schießstände. Heute schweigt er und lässt die Polizisten offensichtlich wieder im Stich.

Magarete Koppers war bis 2013 Polizeipräsidentin, seitdem Vizepolizeipräsidentin. Nach dieser internen Email wusste sie spätestens ab Anfang Dezember 2012 zumindest über die Lüftungsproblematik des Schießstandes im LKA Bescheid. Eine Untersuchung zu den Folgen setzte aber auch sie nicht in Gang. Infolge unserer Recherche ermittelt nun die Berliner Staatsanwaltschaft und eine Sonderkommission der Polizei.

O-Ton Silke Becker, Oberstaatsanwältin Berlin
"Wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen und wegen Vergehens gegen das Chemikaliengesetz."

Der ehemalige SEK Polizisten Stefan P. hätte sich eine Aufklärung früher gewünscht. Er Ist todkrank. Andere Schießtrainer sind inzwischen an Krebs gestorben.

Stephan P.
"Also mein Krebs ist nicht heilbar. Er ist zu minimieren, das ist möglich, man kann die Zeit, man kann es ein bisschen langsamer machen."

Abmoderation: Erst allmählich beginnt auch die Politik, sich mit dem Fall zu beschäftigen: der Berliner Innensenator hat eine Expertengruppe eingesetzt. Nach Meinung der Schiesstrainer geht die Aufklärung jedoch viel zu langsam voran.

Beitrag von Gabi Probst