Hinweisschild (Quelle: rbb)

- Provozierendes Imponiergehabe: Lehrerinnen machtlos gegen Mobbing?

Alltag an deutschen Schulen: Anmache und Pöbeleien gegen Lehrerinnen nehmen drastisch zu. Ein Tabu-Thema, wenn die Täter ausländischer Herkunft sind.

Unser nächstes Thema ist ein Tabu-Thema. Lehrerinnen, die ihrer Schüler nicht "Herr" werden. Schüler, die es hier schon schwer genug haben, weil sie als Einwanderer viel zu lange für unerwünscht erklärt wurden. Die nun ihren Frust im Großstadtghetto abreagieren. Vor allem die engagierten Pädagoginnen tun sich schwer, sich zu wehren, auf ihre Nöte aufmerksam zu machen. Aber - Weggucken ist kein Zeichen von Toleranz oder politischer Korrektheit. Es schadet dem Zusammenleben von Kulturen, Generationen und Geschlechtern.

Marlinde Krebs hat Lehrerinnen aufgesucht, die mutig genug sind, das Tabu zu brechen, vor unserer Kamera. Ihre Kollegen, ihre Schulleiter hatten davon nichts hören wollen: keine Zeit, keine Lust, keinen Mut.


Alltag an deutschen Schulen.

Vier Berliner Schüler haben für uns den Terror an der Schule nachgespielt. Vor allem an den Haupt-und Realschulen in Großstädten kommt es immer wieder zu sexuellen Beleidigungen. Die Opfer: Lehrerinnen. Sie müssen sich verbale Belästigungen und Pöbeleien gefallen lassen. Aber das ist ein Tabuthema. Denn: viele Täter sind ausländischer Herkunft.

Frauke Homann, Sozialarbeiterin an Haupt- und Realschulen:
"Also ich selber wurde auch schon mal als alte Fotze beschimpft oder es wurde mir gedroht, daß mal `ne Bombe vor meiner Tür liegt."

Elsbeth Wagner, Realschullehrerin:
"Dann hieß es, Sie haben wohl Störungen, Bewußtseinsstörungen oder auch : blöde Funz, ich möchte Sie ficken. Ich sag das extra auf Kölsch- das ist nicht mein Vokabular."

Christel Nadler, Haupt- und Realschullehrerin:
"Ununterbrochen spucken sie aus, ob ich daneben geh oder vor oder hinter ihnen - das find ich entsetzlich".

Frauke Homann, Sozialarbeiterin an Haupt- und Realschulen:
"Fick dich doch ins Knie."

Elsbeth Wagner, Realschullehrerin:
"Morddrohungen."

Christel Nadler, Haupt- und Realschullehrerin:
"Sich anmachen, sich in den Schritt fassen, gegenseitig sich an den Hintern fassen. Das machen sie dann vor meinen Augen, und das empfinde ich auch als Grenzüberschreitung."

Die meisten Lehrerinnen sind hilflos.

Besonders türkische und arabische Jungen überschreiten Grenzen. Sicher: nur eine Minderheit, aber sie gibt den Ton an.

Frauke Homann, Sozialarbeiterin:
"Dann kommt hinzu, dass man nicht als ausländerfeindlich gelten möchte. Das ist ja bei uns ein ganz wunder Punkt mit Rassismus. Aber ich finde, da muss man dann auch die Stirn hinhalten und sagen: bis hierher und nicht weiter; das hat nichts damit zu tun, dass du Türke bist, ein Jugoslawe oder ein Deutscher. Es geht nicht. Ich möchte nicht, daß du mit mir so umgehst. Es verletzt mich."

Christel Nadler, Haupt- und Realschullehrerin:
"Man muss stark sein, um sich durchsetzen zu können. Wir haben Gott sei Dank noch ein paar ausländische Lehrer oder Lehrer ausländischer Herkunft: die werden am meisten respektiert. Dann: unsere Lehrerinnen ausländischer Herkunft, die werden auch respektiert, wie eben eine Tante oder eine Mutter. Dann kommen unsere männlichen Lehrer, und dann wir Lehrerinnen. Wir sind wirklich zuletzt."

Christel Nadlers Lebensgefährte Musa Özdemir ist Lehrer an derselben Berliner Schule. Er kommt aus der Türkei. Er weiß: für viele Jungen sind Frauen Menschen zweiter Klasse.

Musa Özdemir, Haupt- und Realschullehrer
"Die Kinder kriegen natürlich mit, dass die Mütter - ich sage mal - als zweitklassiger Mensch oder Person in der Familie sind, und dementsprechend denke ich, versuchen sie, das was sie da mitbekommen haben, zu realisieren. Das hat selbstverständlich damit zu tun."

Professor Christian Pfeiffer, heute Justizminister in Niedersachsen. Schon vor Jahren hat der Kriminologe das Verhalten jugendlicher Türken wissenschaftlich erforscht.

Christian Pfeiffer, Kriminologe:
"Wir hatten 15000 Jugendliche repräsentativ befragt, in meiner alten Rolle als Wissenschaftler, und da kam raus, dass männliche junge Türken, ganz anders als weibliche, höhere selbst berichtete Gewaltraten hatten als Deutsche oder andere, und sichtlich beeinflußt waren von dieser Kultur männlicher Dominanz, aus der sie herkommen. Auf Deutsch gesagt haben wir offensichtlich Machokulturen importiert in unser Land, und müssen das nun austragen - im Wege einer ehrlichen, offenen Auseinandersetzung, was das richtige Verhalten von Jungen und Mädchen ist und was das Falsche."

Männliche Lehrer werden auch rüde behandelt, aber nicht sexuell angepöbelt. Viele von ihnen unterstützen ihre Kolleginnen nicht. Die Schulleitungen fürchten oft um den guten Ruf der Schule und meiden eine offene Auseinandersetzung.

Elsbeth Wagner, Realschullehrerin:
"Was macht man als nächstes? Schulleitung hat ja Fürsorgepflicht, das ist ja die nächste Stufe. Ja, und wenn man dann da nun überhaupt keinen Rückhalt erfährt, die Kollegen auch nicht solidarisch sind, dann ist man schon wirklich in einer sehr schwierigen Situation, die es auch ganz vielen nicht gelingt, zu meistern."

Meist sind Täter auch Opfer. Jeder fünfte türkische Jugendliche ist selbst misshandelt worden; jeder dritte hat beobachtet, dass sich die Eltern prügeln. Die Jungen sehen die Arbeitslosigkeit in der eigenen Familie: fehlender Schulabschluss, keine berufliche Perspektive.

Früher hat die Großfamilie ihnen Halt und Sicherheit gegeben. Für die dritte Generation der Türken, die bei uns lebt, gibt es die traditionelle Gesellschaft nicht mehr, in der neuen sind sie noch nicht angekommen - Ghettoleben.

Frauke Homann, Sozialarbeiterin:
"...die Familien sind auch auseinandergedriftet. Der Zusammenhalt und dieser Ehrenkodex, den es damals noch gab, der ist nicht mehr so vorhanden. Die meisten Väter und auch Mütter sind arbeitslos. Die Väter sitzen den ganzen Tag in den Teehäusern. Es gibt diese Familien auch nicht mehr als Familien im Familienverband."

Die Respektlosigkeiten gegen die Lehrerinnen sind oft gar nicht persönlich gemeint. Viele Jugendliche haben selbst keine liebevolle Achtung erfahren. Sie geben nur das weiter, was sie zu Hause erlebt haben.

Frauke Homann, Sozialarbeiterin:
"Aber es gibt bei uns genauso Väter, die bei uns aggressiv werden oder ganz hilflos sind. Die dann sagen, was soll ich denn machen, soll ich ihn totschlagen? Also es ist eine allgemeine Hilflosigkeit da auf seiten der Eltern. Und unser Problem ist, daß die Eltern eigentlich zunehmend weniger Partner werden, Erziehungspartner."

Einer, der die Problem türkischer Eltern kennt, ist der Schulpsychologe Ali Ucar:

Ali Ucar, Schulpsychologe:
"Ich denke zum Beispiel, dass man diese schulische Arbeit, oder Elternarbeit, zweisprachig machen kann, in der Muttersprache, und dass die kulturellen Hintergründe von diesen Familien auch im schulischen Rahmen stattfinden, das heißt, die Schule nach außen öffnen, und dass die ausländischen Eltern und Migrantenfamilien auch Zugang zu der Schule finden - und beteiligen am schulischen Geschehen, in verschiedenen Formen und mit verschiedenen Inhalten. Und dass man auch eine gewisse, sagen wir, Erziehung über die Schule für die Eltern macht. Aufklärung. Und Erziehung. Und Beratung, in vielen verschiedenen pädagogischen, erzieherischen Bereichen."

Viele der türkischen Mütter kommen aus Anatolien. Sie wurden nach Deutschland verheiratet. Oft sind sie Analphabetinnen. Sie sprechen kein Deutsch und bleiben unter sich. Die Väter kümmern sich nicht um schulische Belange. Die Schule wird als etwas Fremdes, als notwendiges Übel, nicht als Chance erlebt. Sozialarbeiter, die türkisch sprechen, könnten vermitteln zwischen Schule und Familien. Doch für sie fehlt das Geld.

Christian Pfeiffer, Kriminologe:
"Die Mehrheit der Einwanderer ist ja so weit auf unserer Seite; akzeptiert nicht, dass man Frauen beleidigt deswegen, weil sie Frauen sind, dass man sie herabwürdigend behandelt. Also, da muss man an die Mehrheit in der Elternschaft appellieren: tragt das mit uns gemeinsam, dass wir uns solchen Verhaltensweisen widersetzen. Man hat auch die türkische Mehrheit hinter sich und gilt da nicht als Ausländerfeind, sondern als jemand, der mit Recht Regeln einfordert."

Rowdies - gleichgültig welcher Herkunft - Grenzen zu zeigen, das gehört so selbstverständlich auf den Lehrplan wie Deutsch und Mathe. Kein Geld für die Schule - ein schwaches Argument: Wenn es für die Investition in die Zukunft der Kinder nicht mehr reicht, dann können wir auch die Diskussion über Rentenmodell und Wachstumsprognosen beenden. Dann ist die Zukunft einfach zu teuer.