Schulklasse (Quelle: rbb)

- Streit um Kopftuch und Kruzifix - wieviel Religion verträgt das Klassenzimmer?

Darf eine Lehrerin, eine Muslimin, an einer staatlichen Schule mit Kopftuch unterrichten? Die meisten Bundesländer sagen nein. Hier endet die Religionsfreiheit - zum Schutz der Kinder. Das gilt jedoch nur für Muslime. Denn christliche Ordensschwestern dürfen sehr wohl in ihren schwarzen Kleidern mit Haube an staatlichen Schulen unterrichten. In vielen Klassenzimmern hängen Kruzifixe, der Staat zieht die Kirchensteuer ein und hohe Amts- und Würdenträger schwören auf die Bibel. Anja Dehne über die zwei Seiten derselben Medaille.

Es ist ein Glaubensstreit ausgebrochen. Darf eine moslemische Lehrerin an einer staatlichen Schule mit Kopftuch unterrichten? "Nein.", sagen die meisten Bundesländer, zum Schutz der Kinder. Hier endet die Religionsfreiheit.

Aber was ist mit Ordenskleidern und jüdischen Kopfbedeckungen? Anja Dehne in einer Schule in Berlin und über zwei Seiten derselben Medaille.


Zweite Stunde an der staatlichen Grundschule in Berlin Wedding. In der Klasse 1b ist kein einziges Kind deutscher Herkunft. Auf dem Studenplan stehen an diesem Vormittag die Grundlagen der deutschen Sprache. Kaum ein Schüler hier spricht richtig deutsch.

Derya Ulas, die Lehrerin ist Muslimin, ein Kopftuch trägt sie dennoch nicht. Sie ist auch froh, dass keine ihrer Schülerinnen in dieser Klasse Kopftuch trägt. Derya Ulas will ihre Schüler zu toleranten, weltoffnenen Menschen erziehen, frei von religiösen Zwängen. Das Kopftuch steht da im Weg, sagt sie.

Derya Ulas, Grundschullehrerin:
"Wir als Vermittler, als Lehrer, Vorbilder dieser Gesellschaft sollten das Private herauslassen. Die Kinder, die ich unterrichte, haben unterschiedliche Religionen und wenn ich ein Symbol einer Religion an mir habe, könnte ich sie beeinflussen und das möchte ich nicht. Das denke ich, ist auch nicht unsere Aufgabe."

Die Grundschule in Berlin Wedding, eine Ghettoschule. 90 Prozent der Kinder sind nicht deutscher Herkunft. Es gibt Ausgrenzung. Manche muslimische Eltern wollen nicht, daß ihre Kinder mit auf Klassenfahrt fahren, sie melden sie vom Biologie- und Sportunterricht ab, mit standardisierten Begründungen.

In einem Formular, das eine Berliner Moschee für deutsche Schulen verfaßt hat, heißt es: "Die weiblichen Angehörigen des Islam dürfen sich ohne islamische Bekleidung auch untereinander nicht sehen lassen." Und deshalb dürften die muslimischen Mädchen eben den Sportunterricht nicht mitmachen.

Derya Ulas, Grundschullehrerin:
"Ich finde das abstrus, weil man dadurch Kinder ausgrenzt und sie nicht versucht in diese Gesellschaft zu integrieren."

Der organisierte Rückzug aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft, auch dafür ist das Kopftuch ein Symbol. Und im Streit um die Religionsfreiheit kommt es oftmals zu bizarren Argumentationen.

Der ehemalige Vorsitzende der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen, der Islamgelehrte Amir Zaidan erstellte ein Rechtsgutachten, die sogenannte Kamel Fatwa.

Darin heißt es: Eine mehrtägige Reise mit Übernachtung außerhalb der elterlichen Wohnung ist für muslimische Frauen ohne die Begleitung eines Mahram, eines Blutsverwandten, nicht erlaubt und verstößt gegen islamische Regeln." Eine Muslimin dürfe sich höchstens 81 Kilometer von zu Hause entfernen, denn das sei genau die Strecke, die eine Kamelkarawane in 24 Stunden zurücklegen kann.

Für dieses Prinzip zeigte das Oberverwaltungsgericht Münster sogar Verständnis. Im Januar vergangenen Jahres befreiten die Richter ein Mädchen der 10. Klasse von der Klassenfahrt. Ihre Eltern wollten sie ohne Blutsverwandten nicht fahren lassen. Ihre Ängste, sich ohne Kopftuch vor Klassenkameraden zeigen zu müssen, seien der einer "partiell psychisch Behinderten vergleichbar", heißt es in der Urteilsbegründung.

Derya Ulas, Grundschullehrerin:
"Ich finde es lächerlich, es hat für mich nichts mehr mit Religion zu tun. Ich sage auch, den Eltern muß ganz klar sein, wenn sie in dieser Gesellschaft leben, gibt es Gesetze, auch in der Schule, und eine Schülerfahrt ist Unterricht und das müssen sie einfach einsehen und da kann ich auch nicht verstehen, dass man dagegen spricht oder dass es ein solches Urteil gegeben hat."

In der Türkei sind Kopftücher an Schulen und Universitäten generell verboten, nicht nur für Lehrer, auch für die Schüler. Die Türkei ist wie Frankreich ein laizistischer Staat mit einer klaren Trennung von Staat und Religion.

In Deutschland wurde diese Trennung nur halbherzig umgesetzt. Nach dem Naziterror erwartete man von den Kirchen, daß sie die Deutschen auf den Pfad der Tugend zurückführen. So treibt der Staat Kirchensteuer ein, Kruxifixe in Klassenzimmern werden nur dann entfernt, wenn Eltern daran Anstoß nehmen und Politiker schwören bei ihrem Amtseid nicht selten: "So wahr mir Gott helfe"In Deutschland unterrichten an einigen staatlichen Schulen sogar Nonnen in der Ordenstracht. Zum Beispiel hier in Eichstädt, Bayern. Von achtzehn Lehrerinnen sind fünf Ordensschwestern. Auch die Direktorin, Schwester Fides, steht in ihrer Nonnentracht vor der Klasse. In Bayern und Baden Würtemberg soll Lehrerinnen jetzt nur das Kopftuch verboten werden, alle anderen religiösen Symbole nicht.

Schwester Fides, Rektorin:
"Auch an der staatlichen Schule hat dieses Ordensgewand sein Recht, denn es basiert ja auf der christlich-abendländischen Kultur."

Derya Ulas, Grundschullehrerin:
"Ich finde es nicht richtig, dass Menschen in religiösen Trachten vor der Klasse stehen und wenn das dann auch noch eine staatliche Schule ist, finde ich das erst recht nicht richtig. Ich denke, es geht mir sowohl um das Kopftuch, als auch um die religiöse Tracht eines Christen oder eines Menschen jüdischen Glaubens. An staatlichen Schulen finde ich es nicht richtig. An privaten Schulen können sie das gerne tun und da können Eltern auch gerne selbst entscheiden, wenn sie möchten, dass ihre Kinder religiös erzogen werden, dass sie ihre Kinder dort hinschicken."

Rütli-Oberschule in Berlin-Neukölln. Auch hier sind 70 Prozent der Kinder nichtdeutscher Herkunft. Die Schulleiterin hat eine klare Position: sie versucht, religiöse Symbole aus der Schule herauszuhalten. Sie redet mit muslimischen Eltern, macht ihnen klar, daß das Kopftuch an ihrer Schule nicht so gerne gesehen ist. Und mit dieser Position schafft sie sich Feinde. Sie wird bedroht, bekommt annonyme Briefe wie diesen.

"Wir warnen sie - wagen sie es nicht, das Kopftuch zu verbieten", heißt es da. "Wir setzen das Kopftuch durch und wir siegen. Unsere Religion ist die höchste Religion und daran haben sich die Deutschen zu halten."

Brigitte Pick, Schulleiterin:
"Es ist ein unglaubliches Flugblatt gewesen, was auch an meine Schule kam und zwar anonym. Wir waren entsetzt und ich nehme solche Drohungen auch durchaus ernst."

Auch die Bundestagsabgeordnete Lale Akgün wird massiv unter Druck gesetzt, denn auch sie ist gegen das Kopftuch für Lehrerinnen. Seit ein paar Monaten wird sie bedroht, in E-Mails, in Briefen und am Telefon.

Lale Akgün, MdB SPD:
"Ich habe keine Angst und ich werde den Mund nicht halten und werde immer meine Meinung sagen. Ich stehe zu meiner Meinung, die sagt: Schule muss ein neutraler Ort bleiben und Lehrerinnen dürfen kein Kopftuch tragen. Wenn schon diese, meiner Meinung nach bescheidene, eigentlich sehr umgrenzte Aussage solche Reaktionen hervorruft, dann können Sie sich ja vorstellen, mit was für Menschen wir es zu tun haben."

Eigentlich geht es nur um ein Stück Stoff, sagt Derya Ulas von der Grundschule in Berlin-Wedding. Aber sie hat Angst. Angst, dass sich an diesem Stück Stoff ein Kulturkampf in Deutschland entzündet.
Wir in Deutschland haben die Trennung zwischen Kirche und Staat nie wirklich konsequent vollzogen. Wir haben vor allem nicht damit gerechnet, dass neben den beiden christlichen Konfessionen andere Religionen in unserem Land Einfluß haben könnten. Es wird höchste Zeit, dass wir die Realität einholen und einlösen, was unsere Verfassung verspricht. Religion ist Privatsache, der Staat hat sich da nicht einzumischen. Erst recht nicht in der Schule.