Lariam
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- Riskante Malaria-Prophylaxe - Wie die Bundeswehr die Gefahren verharmlost

Depressionen, Panikattacken und Psychosen: die Liste der besonderen Nebenwirkungen des Anti-Malaria-Medikaments Lariam ist lang. Trotzdem hat die Bundeswehr nach einem Kontraste-Bericht mitgeteilt, das Medikament weiter bei Tausenden von Soldaten in Afghanistan einzusetzen. Dabei behauptete sie, den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin zu folgen. Doch Kontraste-Recherchen zeigen ein anderes Bild.

Viel Wirbel gab es nach unserer letzten Sendung, in der wir über den Einsatz des umstrittenen Anti-Malaria-Mittels Lariam bei der Bundeswehr berichtet hatten. Die Bundeswehr hat alle unsere Vorwürfe bestritten - doch unsere Autoren Caroline Walter und Bertram von Boxberg recherchierten weiter und fanden heraus, dass die Bundeswehr Politiker und offenbar mit falschen Informationen getäuscht hat.

Das könnte mitten im Einsatz in Afghanistan passieren - Gleichgewichtsstörungen, Halluzinationen, Psychosen, Panikattacken, Paranoia bis hin zu Depressionen. Psychische Nebenwirkungen des Anti-Malaria Medikaments Lariam.

Zwischen 2.000 und 10.000 Bundeswehrsoldaten erhalten jedes Jahr Lariam zur Malaria-Prophylaxe in Afghanistan - das bestätigte jetzt die Bundeswehr. KONTRASTE hatte über das Gesundheitsrisiko durch Lariam berichtet. Und über irische Soldaten wie Tony Moore, deren Psyche und Gesundheit durch Lariam offenbar zerstört wurden.

Tony Moore
„Manchmal bin ich wochenlang total depressiv, dann wieder bekomme ich diese Aggressionen, wo man Leuten etwas antun will."

Mittlerweile haben sich Hunderte von betroffenen Soldaten weltweit zusammengeschlossen. Das Medikament Lariam steht sogar im Verdacht, dauerhafte Hirnschäden zu verursachen.

Trotzdem verkündet das Verteidigungsministerium: es bleibt beim Einsatz von Lariam.
Es behauptet sogar: Lariam werde, Zitat:
„gemäß den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit (DTG) eingesetzt".

Doch das ist falsch.

Was empfiehlt die Fachgesellschaft DTG wirklich für Afghanistan? - sie ist die Instanz in Sachen Reisemedizin. Einer der Vorsitzenden ist Prof. August Stich, führender Tropenmediziner.

Prof. August Stich
Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin (DTG)

„Ich denke grundsätzlich, alle die in Afghanistan zu tun haben - und da schließe ich ausdrücklich die normalen Bundeswehrsoldaten mit ein - müssen keine Chemoprophylaxe mit irgendeinem Wirkstoff nehmen. Das ist ein Land, wo das Malaria-Risiko tatsächlich überschaubar gering ist. Und es ist eine Malariaform, die dort vorherrscht, die nicht lebensbedrohlich ist."

Dass die Bundeswehr massenhaft Lariam zur Malaria-Prophylaxe in Afghanistan einsetzt, war für Prof. Stich neu.

Prof. August Stich
Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin(DTG)

„Wenn die Zahlen stimmen dass 2.000 bis 10.000 Soldaten jedes Jahr in Afghanistan Lariam bekommen, dann muss man feststellen, dass das nicht auf den Empfehlungen der Deutschen Tropenmedizinischen Gesellschaft basiert."

Andere Armeen wie die Norwegische haben längst den Einsatz von Lariam gestoppt - weil ihnen das Risiko für ihre Soldaten zu hoch ist. Gegenüber KONTRASTE berichten nun auch Bundeswehrsoldaten vertraulich, wie Kameraden unter dem Mittel starke Aggressionen entwickelten.

Nach Studien kommt es unter Lariam häufig zu neuropsychischen Nebenwirkungen. Jeder Fünfte hat damit Probleme, so Tropenmediziner Stich.

Deshalb empfiehlt die Fachgesellschaft: Lariam bei bestimmten Berufsgruppen gar nicht einzusetzen.

Prof. August Stich
Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin(DTG)

„Wir schließen eigentlich grundsätzlich Leute aus, die ein besonderes Risikoprofil haben. Piloten, Taucher zum Beispiel, Leute, die ein verstärktes räumliches Sehen brauchen und Leute, die gefährliche Dienste tun, also an Baustellen beispielsweise, auf Kränen arbeiten. Und ich denke, auch jemand, der an einer Waffe tätig ist, den würde ich auch in so ein Risikoprofil einordnen."

Also: Lariam ist ungeeignet für Soldaten, die im Gefecht stehen, ihre Feinmotorik und Aufmerksamkeit brauchen.

Doch diese Empfehlungen ignoriert das Verteidigungsministerium. Stattdessen wird behauptet: die Soldaten würden umfassend über die Risiken von Lariam informiert.

Doch auch das ist falsch.

Nach unseren Recherchen ist die Aufklärung mangelhaft. KONTRASTE wurde jetzt die aktuell gültige Weisung der Bundeswehr zugespielt - die bestimmt, wie die Aufklärung aussehen soll.

Soldaten erhalten dieses Aufklärungsblatt - aber darin werden die Nebenwirkungen geradezu verharmlost. Nur wenige, milde Formen werden überhaupt erwähnt, und dazu noch der Satz:
„Diese können jedoch sehr häufig auch andere Gründe haben oder einsatzbedingt sein."

Keine Warnung vor schweren psychischen Störungen wie Depressionen oder Psychosen.

Trotzdem muss der Soldat unterschreiben, dass er umfassend über Lariam informiert wurde.
Es heißt sogar, Zitat:
„Eine Verweigerung der Prophylaxe stellt eine Pflichtverletzung dar, die disziplinare und gegebenenfalls strafrechtliche Konsequenzen haben kann."
Außerdem könnten versorgungsrechtliche Nachteile entstehen.

Dr. Reinhard Erös war über 20 Jahre Truppenarzt bei der Bundeswehr. Heute leitet er die Kinderhilfe Afghanistan. Er ist oft in dem Land unterwegs, und nimmt kein Lariam. Wir fragen ihn, was er von dem Aufklärungsbogen der Bundeswehr hält.

Dr. Reinhard Erös
Oberstabsarzt a.D.

„Es ist eine Aufklärung, die den Soldaten hinterher genauso klug belässt wie er vorher war. Der weiß nicht, er kann sagen: ‚Ich habe das im Einsatz bekommen oder bekomm das jetzt, hat das was mit Lariam zu tun oder nicht?' Die schwersten Störungen, die werden gar nicht angesprochen und die registriert er deshalb unter Umständen auch gar nicht. Das würde ich so nicht machen."

Dabei gibt es noch ein weiteres Problem: die psychischen Nebenwirkungen von Lariam sind sehr ähnlich den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung - kurz PTBS. Einer psychischen Erkrankung, unter der Soldaten nach Einsätzen leiden.

In der US-Armee hat man diese Problematik bereits erkannt - dass sich die Symptome ähneln, und dadurch eindeutige Diagnosen erschwert werden. Vor dem Lariam-Einsatz wird deshalb gewarnt.

Und die Bundeswehr? Dr. Reinhard Erös sieht Grund zur Sorge.

Dr. Reinhard Erös
Oberstabsarzt a.D.

„Wir haben in den letzten Jahren, bei den in Afghanistan eingesetzten Soldaten eine dramatische Entwicklung der Zahlen von PTBS-Patienten, von posttraumatischen Belastungsstörungs- Patienten. Wir müssen alles tun, um deren Anzahl zu stabilisieren und zu reduzieren. Ein erster Schritt, ein wichtiger Schritt wäre es, deshalb mein Appell, auf Lariam zu verzichten."

Doch das Verteidigungsministerium nimmt das nicht ernst - informiert nicht darüber.

Omid Nouripour ist Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Weder er noch der Ausschuss wussten um all die Risiken von Lariam für Soldaten und vom Handeln anderer Armeen. Er will das Thema jetzt in den Ausschuss bringen.

Omid Nouripour (Bü 90/Grüne)
Mitglied Verteidigungsausschuss

„Das Verhalten des Verteidigungsministeriums im Falle Lariam ist schlicht verantwortungslos und hat mit Fürsorgepflichten nichts zu tun. Wenn es diese Gefahr gibt, dann muss man die Soldaten schützen, wo es geht. Das passiert nicht."

Wir haben das Verteidigungsministerium erneut um konkrete Zahlen und ein Interview gebeten - trotz mehrfacher Anfragen keine Reaktion. Stures Aussitzen statt handeln, scheint die Devise.

Warum die Bundeswehr aber bei dieser Haltung bleibt, das ist für uns unverständlich.