- Wikileaks und Afghanistan - Pressefreiheit oder Kampagne?

Das Internet-Portal Wikileaks rühmt sich, geheime Informationen publik zu machen. Der jüngste „Coup“ war die Veröffentlichung tausender US-Akten zum Krieg in Afghanistan. Was Wikileaks als Großtat feiert, gefährdet in Wahrheit das Leben von afghanischen Informanten und stärkt die Taliban. Berichte über deren Terrorakte? Fehlanzeige!

Der Krieg in Afghanistan. Wie stehen Sie dazu? 61 Prozent der Deutschen meint: Die Bundeswehr soll sofort raus aus Afghanistan. Das zeigt eine aktuelle Umfrage von infratest/dimap, die KONTRASTE in Auftrag gegeben hat. Die Stimmung wendet sich immer mehr gegen den Krieg, angeheizt auch durch die jüngste spektakuläre Veröffentlichung geheimer Dokumente beim Internetportal „Wikileaks“. Sie wissen, das ist eine Plattform im Internet, die brisante Dokumente anonym veröffentlicht. Aber: Trägt das veröffentlichte Material im Fall Afghanistankrieg zu einer Lösung bei oder richtet es sogar Schaden an? Wo bleibt hier die journalistische Verantwortung? Caroline Walter und Alexander Kobylinski.

Julian Assange, seit kurzem kennen viele sein Gesicht und seine Internetplattform Wikileaks. Assange hat gerade über 70.000 Berichte des amerikanischen Militärs über den Einsatz in Afghanistan ins Internet gestellt – geheim eingestufte Papiere mit Details über militärische Operationen – für jeden zugänglich. Wikileaks feiert es als große Leistung auf vielen Fernsehkanälen. Gemeinsam mit drei ausgewählten Medien, darunter dem Spiegel, verkauft Wikileaks diese Unmenge an militärischen Einzelheiten als die Enthüllung schlechthin.

Julian Assange, Wikileaks-Chef
„Das Material zeigt die wahre Natur des Krieges. Die Menschen in Afghanistan und anderen Nationen können sehen, was los ist.“

In den Medien beginnt das Rennen um die lauteste Schlagzeile. Der Spiegel kommt mit einer Titelstory über die Spezialeinheit 373 und Amerikas angeblich geheimen Krieg. Geheim? Über diese Einheit hat der Spiegel schon vor einem Jahr berichtet, sogar dass sie im Gebiet der Bundeswehr Taliban- und Terroristen jagt. Egal – die anderen Medien springen auf. „Die schmutzige Wahrheit des Krieges“ – „Krieg, enthüllt“.

Damit ist die Sache scheinbar klar. Von wegen - kritisiert Elke Hoff. Die Bundestagsabgeordnete kennt die Lage in Afghanistan sehr genau – aus vielen Besuchen. Von dieser Art der Veröffentlichung auf Wikileaks hält sie nichts:

Elke Hoff (FDP), Mitglied Verteidigungsausschuss Bundestag
„Eine solch große Menge von unkommentierten und ungefilterten Dokumenten, die ja im Prinzip nur Momentaufnahmen darstellen, von einzelnen Personen zu ganz bestimmten Zeitpunkten, können natürlich kein umfassendes Bild einer Lage und einer bewaffneten Auseinandersetzung zeichnen. Deswegen ist es auch ein Stück weit verantwortungslos, das jetzt sozusagen als die letzte Wahrheit darzustellen.“

Wikileaks-Chef Assange spricht von Wahrheit, tatsächlich geht es um Stimmungsmache. Er sagt:

Julian Assange, Wikileaks-Chef
„Die gefährlichsten Männer sind diejenigen, die Krieg führen. Wir müssen sie stoppen.“

Er meint damit die Nato-Truppen in Afghanistan und verkehrt die Realität. Wer hier gegen wen Krieg führt, wird einfach vertauscht. Es sind die Taliban - die Krieg führen - auch gegen die afghanische Bevölkerung.

Mai diesen Jahres: Diese Mädchen wurden Opfer eines Anschlags auf ihre Schule bei Kunduz. Die Angreifer wollten sie gezielt mit Gas vergiften.

Afghanisches Mädchen
„Mein Lehrer kletterte aus dem Fenster, um nach seinem Baby zu sehen. Es war auch bewusstlos.“

In den letzten Monaten gab es eine ganze Reihe solcher Gasattacken auf Mädchenschulen.

Kabul im Januar: Taliban überziehen das afghanische Regierungsviertel mit Selbstmordanschlägen. Fünf Menschen, darunter ein Kind, sterben, es gibt zahlreiche Verletzte.

Diesem Mann schnitten die Taliban Nase und Teile der Ohren ab. Ein Afghane, der nur zur Wahl gehen und seine Stimme abgeben wollte.

Doch über solche Verbrechen der Taliban sprechen die Wikileaks-Macher auf ihren Pressekonferenzen nicht. Stattdessen geht es um eine Kampagne – gegen den Afghanistan-Einsatz. Den Afghanen selbst nützt die Veröffentlichung nichts. Im Gegenteil, sie befürchten falsche Konsequenzen, so wie dieser afghanische Abgeordnete:

Afghanischer Abgeordneter
„Man sollte ausgewogen berichten und nicht diese Veröffentlichung als Waffe benutzen, um die öffentliche Meinung in die falsche Richtung zu beeinflussen.“

Das ist nicht das einzige Problem. Der Wikileaks-Chef behauptet, durch die Veröffentlichung würde niemand gefährdet, man habe darauf geachtet. Das ist falsch. Wir haben in nur zwei Stunden zahllose afghanische Informanten mit ihren Namen gefunden – die wir schwärzen, wie in dieser Meldung, in der Afghanen eine Zusammenarbeit anbieten:

Zitat
„Sie sagten, sie wollen den Koalitionstruppen helfen, wo immer sie können.“

Und auch dieser afghanische Informant wird geoutet:

Zitat
„Er warnte die Patrouillen. Sie sollten nicht auf oder neben der Straße gehen, weil es sehr gefährlich ist. Die Aufständischen lauerten oberhalb auf sie…“

Die Taliban brauchen nur nachzulesen, wer mit den Nato-Truppen kooperiert, ihnen hilft. Hunderte Namen werden preisgegeben. Für diese Afghanen kann das den Tod bedeuten.

Wikileaks interessiert das anscheinend nicht, bei ihrer Stimmungsmache gegen den Afghanistan-Einsatz. Das eigentliche Ziel ist ja, Politiker unter Druck zu setzen, den Einsatz zu beenden. Das zeigt Wirkung: Zweifel am Mandat für Afghanistan, titeln die Medien.

Elke Hoff (FDP), Mitglied Verteidigungsausschuss Bundestag
„Zu versuchen über solche Veröffentlichungen politischen Druck aufzubauen, halte ich schon wirklich für abenteuerlich. Weil auch die Betreiber von Wikileaks nicht in der Lage sind, eine Alternative aufzuzeigen. Und wenn wir nicht den Afghanen, denen gegenüber wir uns ja verpflichtet haben, für sie Stabilität herzustellen und sie vor allem auch vor Terrorismus und auch vor einem Talibanregime zu schützen, wenn wir hier keine Alternative bieten und Hals über Kopf abhauen, dann ist das für mich moralisch verwerflich.“

Wikileaks weist alle Vorwürfe zurück. Uns gegenüber heißt es, man sei neutral in seiner Position. Doch davon merkt man nichts. Wikileaks macht es sich zu einfach mit der Verantwortung – viele Einzelheiten zu skandalisieren ergibt eben noch lange kein Gesamtbild.


Autoren: Caroline Walter und Alexander Kobylinski