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- Chaostage bei Linken in Brandenburg – wie viel schluckt die SPD?

In Brandenburg versinkt die Partei Die Linke immer mehr im Chaos. Beinahe täglich gibt es einen neuen Stasi-Fall in der Fraktion. Der Koalitionspartner SPD hält bislang still und wehrt Attacken der Opposition ab. Was steckt dahinter?

Keine vier Wochen alt ist die rot-rote Koalition in Brandenburg und schon steht sie vor einer Zerreissprobe: Die Stasi-Verstrickungen von Linken-Abgeordneten im Landtag setzen vor allem Ministerpräsident Matthias Platzeck immer mehr unter Druck. Eine Enthüllung jagt die nächste. Gestern wurde ein weiterer Stasi-Fall bekannt, morgen will Platzeck eine Regierungserklärung zu der Affäre abgeben. - Wir zeigen Ihnen schon heute, was im Einzelnen dahinter steckt und erklären auch, warum sich die Bundes-SPD eigentlich bislang so dezent zurückhält. Detlef Schwarzer über die Chaostage in Brandenburg.

Der brandenburgische Landtag – 20 Jahre nach der Wende. An seinem Turm – fast wie ein Kainsmal – noch deutlich zu sehen – das SED-Parteiemblem, notdürftig übermalt nach der Wende. Hier war früher die SED-Kreisleitung. Auch im Landtag heute ebenso dürftig die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit.
Hier jubelten sie noch SPD und Linke Anfang November. Glückwünsche für die erste rot-rote Koalition .Umarmungsstrategie. Ministerpräsident Platzeck sprach von Versöhnung – ein Zeichen auch für den Bund.

Matthias Platzeck (SPD) Ministerpräsident Brandenburg 18.11.2009
„Hier haben sich zwei Parteien nüchtern auf koalitionsvertraglicher Grundlage zusammengetan, um Probleme im Lande zu lösen , und so vielen Menschen wie möglich eine bessere Zukunft zu ermöglichen.“

Zwei Wochen später Ernüchterung. Immer neue Stasifälle bei der Linken belasten die Koalition.

Matthias Platzeck (SPD) Ministerpräsident Brandenburg
„Das ist für uns, was da im Moment passiert, ausgesprochen schmerzlich. Viele, auch ich selber, fühle mich von den Kollegen Hoffmann und Adolph getäuscht.“

In der Bundes-SPD demonstrative Gelassenheit. Die SPD habe alles richtig gemacht.

Sigmar Gabriel, (SPD) Parteivorsitzender
„Das ist eine Debatte , die in Brandenburg stattfindet, und es ist vor allen Dingen ein Problem der Partei Die Linke.“

Die Fraktionsvorsitzende der Linken, Kerstin Kaiser, war IM. Sie hat sich wie einige andere Landtagsabgeordnete und Parteifunktionäre auch vor der Wahl dazu bekannt.

Nun treten aber laufend neue Fälle auf, Abgeordnete, die sich bisher gar nicht oder nicht in vollem Umfang offenbart haben.

Vorläufig letzter Fall - erst gestern aufgeflogen – Michael –Egidius Luthardt. Er hat 3 Jahre beim Wachregiment „Felix Dzierzynski“ gedient, war damit automatisch hauptamtlicher Mitarbeiter der Staatsicherheit. Geredet hat er darüber erst gestern, nachdem seine Akte aufgetaucht war. An Rücktritt denkt er nicht, er sei nur einfacher Soldat gewesen.

Michael Egidius Luthardt (Die Linke), Landtagsabgeordneter .
„Ich habe meinen Wachdienst, meinen Wehrdienst dort abgeleistet beim Wachregiment. Also ich habe es nicht vor mir hergetragen, aber auf Anfragen, wo es nötig war, habe ich es auch immer gesagt.“

Doch laut Akte versah er einen besonderen Dienst. Er bewachte ein Gebäude der AGM „S“, der Arbeitsgruppe des Ministers Sicherheit.

Jochen Staadt, Forschungsverbund SED-Staat, FU Berlin
„In dem ohne ausgewählten Kreis der Leute, die im „Felix Dzierszynsky Dienst hatten, gehörte er ohne Zweifel zu den besonders zuverlässigen, weil er ein hochgeheimes Objekt bewachte, nicht nur einfach ein Ministerium oder ein offizielles Gebäude, sonder ein Gebäude der am meisten abgeschirmten Einheit, die Terroreinsätze in der Bundesrepublik vorbereitet hat.“

Der Abgeordnete Gerd-Rüdiger Hoffmann wurde vor zwei Wochen als IM „Schwalbe“ enttarnt. Plötzlich kommt auch seine Erinnerung wieder.

Gerd Rüdiger Hoffmann (Die Linke), Landtagsabgeordneter:
„Ich bin bereit, mich jetzt mit meiner Biografie zu beschäftigen. Ich muss akzeptieren, dass ich offensichtlich jetzt ein sehr wichtiges Detail nicht mehr wusste.“

Ein Detail? 180 Seiten stark ist seine Stasi-Akte. Er bespitzelte Mitschüler und später Kameraden bei den Grenztruppen am Brandenburger Tor. Sein Mandat will er nur niederlegen, wenn es alle ehemaligen IMs im Brandenburger Landtag tun.

Und dann ist da Gerlinde Stobrawa –IM Marisa - bis zum letzten Wochenende Landtagsvizepräsidentin. Das Amt gab sie nun auf. Bekannt war schon 1991, dass sie als IM geführt war. Nun ist aber eine Opferakte aufgetaucht, nach der sie noch kurz vor der Wende detailliert als „Marisa“ über Arbeitskollegen berichtet haben soll.

Gerlinde Strobawa (Die Linke), ehemalige Landtagsvizepräsidentin
„Ich habe nicht gewusst, dass es solche Berichte in ein einer Opferakte gibt, weil ich wirklich davon ausgehe: Ich habe keinen Bericht geschrieben! Ich war auch nie als IM Marisa bewusst abgeschöpft oder ausgehorcht…was auch immer.“

Laut Stasi-Akte meldet “Marisa“ über ihren Arbeitskollegen etwa
„Ausgeprägt sind besonders solche Charaktereigenschaften wie Überheblichkeit, Egoismus und übersteigertes Geltungsbedürfnis“

und er hätte gesagt.
„Der Parteisekretär des Rates des Bezirks ist ein Arsch“

Strobawa zweifelt diese Berichte an. Ihr Landtagsmandat zurückgeben will sie deshalb nicht, Unterstützung erhält sie von ihrer Fraktionschefin. Sie hat da Erfahrung, schließlich selber jahrelang an die Stasi berichtet.

Kerstin Kaiser (Die Linke), Fraktionsvorsitzende Landtag Brandenburg
„Ich bin die allerletzte , die den Akten wirklich glaubt, weil diese Akten sind erstellt worden auch mit einem bestimmten Ziel. Der hauptamtliche Mitarbeiter, der wiederum für das MFS gearbeitet hat und seine eigenen Arbeitsergebnisse abrechnen musste, hatte auch seine Motive, seine Akten so zu erstellen, dass es auch für ihn okay war.“

Ganz anders sieht das Jochen Staadt in diesem Fall, er ist Experte für Stasi-Unterlagen. Vieles spreche für die Echtheit der Tonbandabschriften.

Jochen Staadt, Forschungsverbund SED-Staat, FU Berlin
„Die Tonbandabschrift ist wie ersichtlich aus den vorliegenden Aktenzeichen von einer anderen Person angefertigt worden .Andere Dokumente sind von einer andern Schreibkraft abgeschrieben worden zum gleichen Vorgang. Das macht es unwahrscheinlich, das der Führungsoffizier das alles erfunden hat die ganzen Abschriften, weil man sich beim MFS auch gegenseitig kontrolliert hat. . Eine Schreibkraft hat beiden Auch gegenseitig kontrolliert hat.“

Strobawa war 1991 von der Ehrenkommission des Landtags – zwei Vertretern der Kirche - auf Stasi-Kontakte überprüft worden. Die Aktenlage war dürftig, sie wurde als Grenzfall eingestuft und seitdem nie mehr überprüft. Dann kam die Debatte um die Stasi-Kontakte von Ministerpräsident Manfred Stolpe. Ergebnis: die Regelüberprüfung von Abgeordneten in Brandenburg wurde1995 ganz abgeschafft. Stephan Hilsberg, Mitbegründer der Ost-SPD hat das immer scharf kritisiert.

Stephan Hilsberg (SPD)
„Faktisch ist dieser Beschluss von 1995 das Ende der Aufklärung des eigenen Landtags. Das ist nicht nur eine Kapitulation gewesen, was der Landtag damals gemacht hat, sondern das war eine schiefe Sicht auf die DDR-Geschichte, was hier zu der aktuellen Politik geführt hat, die sich als ein schwerer Fehler herausgestellt hat.“

Platzeck aber hält fest an der rot-roten Koalition. Denn es geht um Macht. Die Bundes-SPD stärkt ihm weiter den Rücken für die Koalition mit der Linken.

Wolfgang Thierse, (SPD) Bundestagsvizepräsident
„Eine von den Wählern stark gewählte Partei mit in die Verantwortung zu nehmen für eine so schwierige Phase des Landes, wo es Finanznöte zu bewältigen gibt und erhebliche soziale Konflikte zu bestehen sind, Diese Argumente halte ich für richtig.“

Beschwichtigung. Die Erhaltung der Machtoption für eine rot-rote Regierung auch auf Bundesebene scheint der SPD wichtiger zu sein als ein paar Stasi-Fälle in Brandenburg.

Beitrag von Detlef Schwarzer