Zentrale RWE (Quelle: rbb)

- Gestern abgewählt, heute eingekauft – wie Politiker schamlos ihr Insiderwissen vermarkten

Wer als Spitzenpolitiker Karriere macht, kann sich im Anschluss an die aktive Laufbahn eine goldene Nase verdienen. Ex-Politiker sind gefragt als Berater, Lobbyisten und Türöffner in der globalisierten Wirtschaft. Problematisch und moralisch fragwürdig wird das Ganze allerdings, wenn man hinterher dort sein Geld verdient, wo man vorher politischer Wegbereiter war. Steffen Mayer und Susanne Opalka über das Geben und Nehmen in der deutschen Politik.

Immer dann, wenn es um Selbstkontrolle geht, fallen Politiker ins Entscheidungskoma. Ja, ist es denn so schwer, endlich eine Regelung zu finden, die es ein für alle mal klärt: Es gehört sich nicht, dass deutsche Politiker, kaum aus dem Amt, bei Unternehmen anheuern, für die sie eben noch politisch zuständig waren. Steffen Mayer und Susanne Opalka über Politiker ohne politisches Gewissen.

Der Genosse der Bosse wird selber einer. Er wird Chef der Gaspipelinegesellschaft. Die gehört zwar der russischen Gazprom. Aber mit den russischen Genossen, die bei der Firma was zu melden haben, versteht sich Schröder doch blendend. Praktisch für den Ex-Kanzler: Erst hat er den Gaspipeline-Deal mit seinem Kumpel Putin eingefädelt und dann wird er Chef des Aufsichtsrats.

Große Aufregung im Bundestag

Wolfgang Gerhard (FDP), Bundestagsabgeordneter
„Gerhard Schröder pfeift auf die Prinzipien.“
Matthias Berninger (Bündnis 90/Die Grünen), Bundestagsabgeordneter
„Und ich finde es unanständig.“
Bodo Ramelow (DIE LINKE.), Bundestagsabgeordneter
„Wir würden Herrn Schröder auffordern, das Mandat nicht anzunehmen.“

Schröders SPD dagegen sieht gar kein Problem.

Klaus Uwe Benneter (SPD), Bundestagsabgeordneter
„Ich sehe keine Irritation, ich sehe auch keine Verärgerung darüber, wie sich der Bundeskanzler a. D. hier verhalten hat.“

Und der Bundesregierung ist das sowieso alles egal.

Franz Müntefering (SPD), Vizekanzler
„Die Haltung der Bundesregierung dazu kann ich Ihnen nicht sagen, weil die Bundesregierung sich dazu keine Haltung und Meinung gemacht hat.“

Ach so.

Eine klare Meinung zu Schröders Wechsel hat sich Professor von Arnim gebildet. Er fordert seit Jahren mehr Anstand und klare Regeln in der Politik.

Prof. Hans Herbert von Arnim, Staatsrechtler, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Speyer
„Das ist eine Verluderung der Sitten. Es ist zwar legal, weil bisher die nötigen Gesetze fehlen, die hat man, weil solche Gesetze die Politiker in eigener Sache machen müssen, bisher unterlassen.“

Da freute sich auch Wolfgang Clement. Als Wirtschaftsminister hat er sich für die Energiewirtschaft stark gemacht. Die bläst viel Kohlendioxid in die Luft. Diese Umweltverschmutzung sollte eigentlich ganz teuer werden. Denn Kohlendioxid ist ein Klimakiller. Doch das wusste Clement zu verhindern. Und kaum ist er abgewählt, geht er in die freie Wirtschaft. Genau: nämlich zum Stromproduzenten RWE, der in ganz Europa am allermeisten Kohlendioxid ausstößt.

Clements neuer Aufsichtsratposten, wieder Aufregung im Bundestag.

Reinhard Loske (Bündnis 90/Die Grünen), Bundestagsabgeordneter
„Was aber nicht geht, ist der unmittelbare Wechsel aus Regierungsämtern in Vorstände und Aufsichtsräte von Energiekonzernen, mit deren Regulierung man vorher selbst direkt zu tun hatte.“
Joachim Pfeiffer (CDU), Bundestagsabgeordneter
„Es ist schon eine Frage der Sensibilität, ob und wann ich politisches oder auch sonstiges Insiderwissen in bare Münze umwandle.“
Gesine Lötzsch (Die Linke.), Bundestagsabgeordnete
„Das ist eine Form von Korruption, die in Deutschland leider legal ist.“

Harte Vorwürfe. Korruption.

Da denkt man sofort an Geheimtreffen, Geldkoffer, Versprechungen und Pöstchen als Dankeschön. Aber Korruption ist doch verboten, da gibt es doch ein Gesetz dagegen. Strafgesetzbuch, Paragraph 331, Vorteilsannahme. Der läuft allerdings ins Leere. Das erklärt der renommierte Strafrechtsprofessor Peter Alexis Albrecht von der Universität Frankfurt seinen Studenten und auch uns:

Prof. Peter-Alexis Albrecht, Kriminologe und Strafrechtler, Universität Frankfurt/Main
„Das sind Dinge, die werden vorher abgesprochen oder im Hinterzimmer vereinbart und verhandelt und jeder weiß, was verboten und was erlaubt ist. Und ein Staatsanwalt hat einfach nicht die Möglichkeit und die Methoden, den Nachweis zu führen, dass es vorher abgesprochen war. Insofern ist die Justiz entmachtet.“

Das wissen auch die Herrschaften im hohen Haus. Sie wissen genau, dass sie der Staatsanwalt im Fall des Falles eher nicht erwischt. Schnelle Wechsel vom Ministerposten in die Wirtschaft haben eine lange Tradition.

Der prominenteste Fall: Werner Müller, Ex-Wirtschaftsminister. Erst hat er bei der EU für die Steinkohlesubventionen gestritten und dann ist er Kohlenhändler geworden. Nämlich Chef der Ruhrkohle AG, RAG. Da wird er quasi mit den Subventionen bezahlt.

Der bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu handelte jahrelang mit der Bahn Verträge aus. Dann regelte er bei den Koalitionsverhandlungen noch schnell die Zukunft der Bahn. Und jetzt ist er bei der Bahn der Vorstand für politische Beziehungen.

Prof. Peter-Alexis Albrecht, Kriminologe und Strafrechtler, Universität Frankfurt/Main
„Vorher als Minister alle Erkenntnisse zu sammeln und hinterher als Privatmann im Eigeninteresse diese Erkenntnisse umzusetzen – dass das möglich ist, außerhalb des Strafrechts, das ist der eigentliche Skandal.“

Aber auch Staatssekretäre versilbern ihr Insiderwissen. Auch sie wechseln gern schnell in die Wirtschaft.

Caio Koch-Weser war im Bundesfinanzministerium auch für Kredite zuständig. Russland, zum Beispiel, schuldet uns ganz viel Geld. Und die Schuldscheine der Russen – sozusagen - wurden verkauft. Das durfte vor allem die Deutsche Bank machen. Der Bundesrechnungshof kritisierte: der Verkauf brachte über eine Milliarde Euro Verlust. Natürlich nicht für die Deutsche Bank, sondern für die Steuerzahler. Jetzt will Koch-Weser Vizevorsitzender und Berater werden – natürlich bei der Deutschen Bank.

Manfred Overhaus, langjähriger Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Zuständig für den Haushalt und damit auch für Subventionen. Und dann ging er flugs zum Hauptempfänger der Subventionen, zur RAG-Tochterfirma Deutsche Steinkohle.

Eigentlich müssen Politiker über ihr Insiderwissen ja schweigen.

Prof. Peter-Alexis Albrecht, Kriminologe und Strafrechtler, Universität Frankfurt/Main
„Das Hauptdilemma des Politikers in hoher Position ist, dass er zahlreiche Amtsgeheimnisse erfahren hat, die er nur als Politiker wissen darf. Und die er dann mit hinein nimmt in die Privatwirtschaft. Und dort wird er automatisch von diesen Geheimnissen Gebrauch machen müssen, weil der Mensch nun mal nicht zwei Hirnhälften hat, die getrennt sind.“

Nur verrät sie keiner, wenn sie die Geheimnisse verraten.

Hohe Politiker sollten nicht mehr sofort in die Wirtschaft wechseln können. Weil es moralisch höchst fragwürdig ist und nach Korruption riecht.

Da muss der Bundestag endlich ein ordentliches Gesetz beschließen. Stattdessen immer wieder Streit über Anstandsregeln, erst vor zwei Wochen wieder fruchtloses Palaver.

Jürgen Koppelin (FDP), Bundestagsabgeordneter
„Dann lasst uns doch mal jetzt so einen Ehrenkodex entwerfen.“

Reinhard Loske (Bündnis 90/Die Grünen), Bundestagsabgeordneter
„Was wir brauchen sind klare und kodifizierte Regeln.“

Garrelt Duin (SPD), Bundestagsabgeordneter
„Was kritisieren Sie eigentlich?“

Andreas Schmidt (CDU), Bundestagsabgeordneter
„Nicht alles, was nicht verboten ist, ist auch erlaubt.“

Steffen Kampeter (CDU), Bundestagsabgeordneter
„…keine zusätzlichen gesetzlichen Regelungen haben.“

Norbert Geis (CSU), Bundestagsabgeordneter
„Wir können uns nicht nur auf ungeschriebene Regelungen verlassen.“

Ein Ehrenkodex wird nicht helfen.

Prof. Hans Herbert von Arnim, Staatsrechtler, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Speyer
„Ein bloßer Ehrenkodex reicht nicht. Wenn die Politiker Ehre hätten, dann würden sie es ja jetzt schon nicht machen. Nein, da muss meines Erachtens ein verbindliches Gesetz her.“

Ein Gesetz muss endlich verabschiedet werden. Dazu fehlen nur noch die richtigen Volksvertreter.

Ja, und die brauchen es nicht einmal neu zu erfinden, andere Länder machen es vor. In Großbritannien zum Beispiel entscheidet eine Kommission, wann ein ehemaliger Politiker einen Job in der Wirtschaft annehmen darf. Und je enger die Beziehung zwischen Amt und der neuen Aufgabe ist, desto länger muss er warten.