Schulklasse (Quelle: rbb)

- Es war einmal… Was an deutschen Schulen von der DDR übrig bleibt

15 Jahre nach dem Zusammenbruch ist die Geschichte der DDR kein Thema mehr, es ist nicht einmal mehr Thema im Geschichtsunterricht an deutschen Schulen. Die Deutsche Demokratische Republik verkommt zur Fußnote im historischen Weltgeschehen. Vielen Schülerinnen und Schülern kommt es heute vor, als sei die DDR eine Erfindung aus dem Märchenbuch. Schuld daran tragen auch die Lehrer, die die deutsch-deutsche Geschichte verklären, verkitschen oder schlicht ignorieren.

Es rumort in Deutschland. War denn alles so schlecht, damals, als die Mauer noch stand?

Aus Einheitsglück wurde Vereinigungsfrust. Heute hätte die DDR ihren 55. Geburtstag. Den letzten hat sie vor 15 Jahren mit Pomp gefeiert. Dann löste sich der Staat auf. Geschichte. Die zu kennen jeden Tag wichtiger wird. Denn es knirscht zwischen Ost und West.

Doch was wissen die jungen Leute, noch geboren als Bürger der DDR, von ihrer eigenen Geschichte? Roland Jahn und Michael Beyer haben den Praxistest gemacht.

Berlin - heute vor 15 Jahren. Die DDR wird 40. Staats- und Parteichef Erich Honecker kurz vor seinem Sturz.

Erich Honecker:
"Auf den 40. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik!"

Der 7.Oktober 1989 wird zum letzten Jahrestag der DDR. Diese Jugendlichen sind in der DDR geboren. Wir sind an einer Hauptschule im Osten Berlins. Was wissen die Schüler der 10.Klasse über die DDR? Kennen sie den Staats- und Parteichef Erich Honecker?

KONTRASTE:
"Haben Sie eine Idee?"
Schülerin:
"Keine Ahnung."
Schüler:
"Edmund Stoiber."
KONTRASTE:
"Können Sie was mit dem Namen anfangen?"
Schüler:
"Nicht wirklich."
Schüler:
"Nee. Sagt mir nischt."

Keine Ahnung vom Staats- und Parteichef Honecker. Wir stellen den Schülern andere Fragen zur DDR-Geschichte. Zum Beispiel: Wie hieß die größte Partei der DDR? Fast alle wissen es nicht, so heißt es statt SED - SPD. Wir fragen auch: Wann wurde die Mauer wurde gebaut?

Schülerin:
"Die Frage, wann ist die Mauer gebaut und wann ist sie wieder gefallen wusste ich gar nicht."

1961 - das Jahr, in dem die Mauer gebaut wurde, wissen nur 2 Schüler der Ostberliner Klasse. Selbst auf die Frage: Was verbinden Sie mit dem Begriff "Berliner Mauer" finden nur sechs Schüler eine Antwort, wie Grenze zwischen Ost und West. Mit dem Begriff "Berliner Mauer" kann mehr als die Hälfte gar nichts anfangen. Im Lehrerzimmer der Schule konfrontieren wir die Pädagogen mit den katastrophalen Testergebnissen. Eigentlich steht die DDR auf dem Lehrplan.

KONTRASTE:
"Sehen Sie da eine Verantwortung für sich?"
Lehrerin:
"Ja klar, wir wissen gar nicht, wie wir der Sache Herr werden und gerecht werden sollen. Im Deutschen, in Mathe, in Grundrechenarten."
KONTRASTE:
"Was können Sie da, was wollen Sie da machen?"
Lehrerin:
"Wir werden versuchen das natürlich im Unterricht einzubauen, so gut es geht. Aber das Problem ist einfach auch, aufgrund des Zeitmangels, den wir haben."

Keine Zeit für die DDR - die Direktorin ist aufgebracht, doch per Anweisung kann sie die Wissenslücken nicht schließen.

Karla Werkentin, Direktorin:
"In der Tat, da sind Wissenslücken, die sind ganz extrem. Ich kann nur bitten, dass man dieses immer mal wieder im Geschichtsunterricht durchnimmt."

Und so liegt es in der Hand der Lehrer, wie sie den Lehrplan zur DDR-Geschichte erfüllen. Und nicht nur hier. Wir fahren nach Brandenburg. Hier befragen wir eine 11. Klasse der Abiturstufe: Was wissen diese Schüler über die DDR?

Schülerin:
"Wenn ich an die DDR denke, denke ich an Trabis, Plattenbauten, FDJ."
Schüler:
"Volkseigene Betriebe."
Schülerin:
"Keine Arbeitslosigkeit."
Schülerin:
"Man durfte damals halt kein Staatsfeind sein und nichts gegen den Staat sagen und dann hat man ein gutes Leben gehabt."

Wir wollen es genauer wissen und stellen auch den Gymnasiasten konkrete Fragen. Wie hieß die größte Partei der DDR? Die Lösung SED wissen nur 67% der Schüler. Jeder Dritte weiß es nicht. Einer antwortet "FDJ", ein anderer sogar "NSDAP". Mit dem 17. Juni 1953, dem Tag des Arbeiteraufstands in der DDR kann nicht einmal die Hälfte der Klasse etwas anfangen. Erich Mielke, den Chef der Stasi kennen ganze zwei Schüler, dabei war Mielke, der Kopf des Unterdrückungsapparates.

Er gab die Befehle für Überwachung, Verfolgung und Inhaftierung von politischen Gegnern. Doch nicht nur bei Mielke, auch bei Begriffen wie "Staatssicherheit" oder "Stasi" herrscht Ratlosigkeit.

KONTRASTE:
"Wissen Sie, was Staatssicherheit ist?"
Schüler:
"Ja, nicht genau."
KONTRASTE:
"Wissen Sie, was Staatssicherheit ist?"
Schülerin:
"Nee, weiss ich auch nicht."
KONTRASTE:
"Stasi - wissen Sie was das ist?"
Schülerin:
"Nein, hatte ich auch noch nicht im Unterricht."

11. Klasse und DDR-Geschichte noch nicht behandelt. Dabei warten die Schüler darauf. Die 18jährigen wollen endlich mehr wissen über das Land ihrer Eltern.

Schülerin:
"Wir hatten ja Bismarck, 1. Weltkrieg, dann Weimarer Republik und dann noch den Anfang vom 2. Weltkrieg und deshalb wurde die DDR nicht mehr geschafft."
Schüler:
"Ich find das wichtiger, als den Augsburger Religionsfrieden. Ick finde, das muss einfach mehr behandelt werden. Das ist einfach unsere Geschichte. Das finde ich einfach viel wichtiger. So was muss man wissen."

Die Lehrbücher liegen im Schrank - dem Geschichtslehrer waren andere Themen wichtiger.

Andreas Wening, Lehrer:
"Man möchte, dass die Kinder sowohl Bescheid wissen über Antike Geschichte, über Französische Revolution, über den Augsburger Religionsfrieden, den einer ansprach, der meinte, warum muss ich das lernen. Und am besten noch über das, was gestern war. Und das geht nicht."

Und es geht doch, wenn die Lehrer es nur wollen.

Wir fahren weiter nach Mecklenburg - in eine Berufsschule. Eine Extrastunde zur DDR steht an. Die Geschichtslehrerin hat die Bürgerrechtlerin Freya Klier eingeladen. Die Lehrerin hat Angst, ihre Schüler könnten mit einem falschen DDR-Bild die Schule verlassen.

Karin Packhäuser, Lehrerin:
"Diese Klischees und diese Verklärung, das ist momentan eine sehr starke Tendenz bei Schülern."
Schüler:
"Ich habe mich gestern mal mit meinen Eltern unterhalten und die haben mir mal so einige Dinge erzählt. Sie fanden die DDR positiv und ich glaube ihnen auch."
Schülerin:
"Also, meine Mutti hat mir gestern noch erzählt, dass sie so begeistert war, dass eine Streuselschnecke zehn Cent gekostet und dass eine Dreiraumwohnung noch 50 DM gekostet hat."
Schülerin:
"Wenn ich in die Zeit hineingeboren wäre, denke ich auch, dass mir das auch gefallen hätte."

Die Regisseurin Freya Klier präsentiert einen Film: über die Flucht von DDR -Bürgern in den Westen. Das Kontrastprogramm macht die Schüler nachdenklich. Klier erzählt aus ihrem Leben: Berufsverbot, Stasiterror und Gefängnis.

Freya Klier, DDR-Bürgerrechtlerin:
"Wenn du in der DDR ein Transparent hochgehalten hast, bist du in den Knast gewandet. Erst mal hast du den Knüppel gespürt und dann bist du verschwunden."
Schüler:
"So wie sie das schildern, stellt sich das ja so raus, als wenn die DDR ein Horrorstaat gewesen ist."
Freya Klier, DDR-Bürgerrechtlerin:
"Wenn ihnen jemand sagt, die DDR das war alles nett und schön, dann stellen Sie sich einfach die Frage: 'Warum sind die Leute dann massenhaft geflohen?'."

Wie war die DDR wirklich? Schon eine Stunde mit einer Zeitzeugin bringt das DDR-Bild der Schüler ins Wanken.

Schülerin:
"Ich hab jetzt einen ganz anderen Eindruck. Auch was Frau Klier sagte, waren viele Sachen, die ich überhaupt nicht wusste."
Schüler:
"Mich hat das nicht überzeugt. Meine Eltern erzählen auch, dass es positive Seiten gab."
Schülerin:
"Ich hab sehr viel gelernt, dass die Meinungen der Eltern doch nicht immer die Richtigen sind und dass es mehr gibt und auch die schlechten. Ich habe nicht gewusst, dass es so viele schlechte Dinge gibt, die da passiert sind."

Wir wünschen uns allen zum nächsten Tag der deutschen Einheit, dass 17jährige Schüler den Unterschied zwischen SED und NSDAP dann gelernt haben. Den Lehrern wünschen wir viel Erfolg und vor allem viel Motivation!