Dorfansicht (Quelle: rbb)

- In Italien verurteilter Kriegsverbrecher als Nachbar – Dorfbewohner verteidigen ehemaligen SS-Mann

Er lebt unbehelligt in dem Brandenburgischen Dorf Wollin. Karl Gropler, 82 Jahre alt, in Abwesenheit von einem italienischen Militärgericht in erster Instanz zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er als Angehöriger der 16. SS-Panzerdivision am Massaker von Sant Anna di Stazzema beteiligt war. Alte, Frauen und Kinder wurden damals ermordet. In Wollin aber stehen viele hinter Karl Gropler. Damals sei doch Krieg gewesen, heißt es. Eine Reportage von René Althammer und Sascha Adamek.

Recht schweigsam sind wir bis heute über unseren Vernichtungskrieg, über Kriegsverbrechen, die bis dahin nicht bekannt waren. Über 60 Jahre her? Stimmt. Vorbei und vergessen? Geht nicht. Nicht für die Opfer, nicht für die Täter. Auch wenn viele von den Tätern das gern und trotzig glauben möchten. Das Schweigen und der Trotz werden immer dann besonders laut, wenn wieder einer, der beteiligt war, ein Gesicht bekommt. Der Nachbar, der Onkel oder der Großvater. Wenn die abstrakten Verbrechen aus dem Geschichtsbuch in die eigene Familie, ins eigene friedliche Dorf zurück kommen. Sascha Adamek und René Althammer über einen alten Mann in einem kleinen Dorf in Brandenburg, der 1944, als junger Mann in einem kleinen Dorf in Norditalien war.

Dorfbewohner
„Der Mann ist 82 Jahre und nach 62 Jahre brauch man mit so watt nich mehr anfangen. Also wir halten hier im Dorf auch alle zusammen. Und dass man…“
Dorfbewohnerin
„Der hat uns doch nichts getan.“
Dorfbewohner
„…dass man nach so einer Zeit mit so einem Fax noch anfängt, das tut mir echt leid.“
KONTRASTE
„Was sagen Sie denn zu den Verbrechen, die ihm vorgeworfen werden?“
Dorfbewohner
„Was soll ich dazu sagen. Es war Krieg.“
Dorfbewohnerin
„Ach, das sagen wir nichts zu.“
Dorfbewohner
„Da sagen wir gar nichts mehr weiter zu. Es war Krieg.“
KONTRASTE
„Es wurden unschuldige Zivilisten, Frauen und Kinder hingerichtet.“

Diese Kinder sind Opfer eines Kriegsverbrechens. 1944 wurden sie in Italien von einem Bataillon der Waffen-SS ermordet. 150 Kinder - das jüngste war gerade zehn Wochen alt. Einer der wenigen Überlebenden erinnert sich:

Enio Mancini, Überlebender des Massakers von Sant’Anna
„In diesem Haus hinter mir ist es zu einem grauenvollen Ereignis gekommen. Die Soldaten hatten etwa 70 Menschen, Frauen, Kinder, alte Leute in die Ställe im untersten Stock gepfercht. Kaum waren sie drinnen, warfen die Nazi-Soldaten Handgranaten rein und dann zündeten sie das ganze Haus an. Fünf Kinder aber entkamen.“

Doch das will hier kaum einer hören. Wollin, ein Dorf in Brandenburg. Hier lebt ein ehemaliges Mitglied des SS-Bataillons, dem die Kinder zum Opfer fielen. Karl Gropler, 82 Jahre, scheut die Öffentlichkeit. Er wurde in Italien bereits von einem Militärgericht verurteilt.

Im Juni letzten Jahres wurde Gropler und anderen hier der Prozess gemacht, wegen Zitat:
„fortgesetzter gemeinschaftlicher Gewaltanwendung gegen Zivilpersonen mit Todesfolge“.
In Abwesenheit wurde Gropler
Zitat:
„Verurteilt zu lebenslanger Freiheitsstrafe…“.

Sant’Anna, ein kleines Bergdorf in der Toskana. Am Morgen des 12. August 1944 stürmte ein Bataillon der Waffen-SS, zu dem auch Karl Gropler gehörte, das Dorf. Die Soldaten waren auf der Suche nach Partisanen, doch im Dorf treffen sie nur Frauen, Kinder und einige alte Männer.

Nach dem Krieg kehrt der ehemalige Unteroffizier der Waffen-SS nach Wollin zurück.

Dorfbewohner
„Also ich kenne ihn als korrekten Kollegen.“
Dorfbewohnerin
„Eigentlich ist er ein ruhiger Beamter, so wie ich ihn kenne.“

Wir erfahren: Gropler war in der Freiwilligen Feuerwehr. Und er arbeitete hier in der ehemaligen LPG. Doch was denken die Menschen im Dorf über seine Verurteilung als Kriegsverbrecher? Allein die Frage empört die meisten:

Dorfbewohner
„Da bin ich eben der Meinung: In den Medien ist er als ‚Mörder von Wollin’, als ‚Kriegsverbrecher von Wollin’ dargestellt worden, und in Deutschland ist er nicht rechtskräftig verurteilt. Also ist das nicht so gerechtfertigt. Das ist meine Meinung dazu.“
Dorfbewohner
„Das war so früher.“
Dorfbewohner
„Es gab ja hier mehrere im Betrieb, die in der SS waren, ob freiwillig, oder gezogen, gab es ja nachher auch. Also gezogen: Die konnten gar nichts dafür.“
KONTRASTE
„Also, Sie wussten, dass er bei der SS war.“
Dorfbewohner
„Ja.“
KONTRASTE
„Sie müssen doch eine Meinung dazu haben, wenn jemand solcher schwerer Verbrechen beschuldigt wird.“
Dorfbewohner
„Nein, dazu will ich mich nicht äußern.“

Wen wir auch fragen, niemanden scheint das Kriegsverbrechen in Italien betroffen zu machen.

Karl Gropler ist mit seinen 82 Jahren noch gut zu Fuß. Als er allerdings die Kamera entdeckt, klammert er sich an die Stalltür. An das Massaker kann er sich angeblich nicht mehr erinnern. Wohl aber an eine Kirche in einem italienischen Ort:

KONTRASTE
„Haben Sie denn gesehen, was mit den Zivilisten passiert ist?“
Karl Gropler, ehemaliger SS-Mann
„Ich habe gar nichts gesehen, ich war in der Kirche, weil ich wahrscheinlich zu doof war, weiß ich nicht.“

Das ist nach Meinung der italienischen Militärrichter die Kirche, von der Gropler spricht. Hier soll Gropler dabei gewesen sein, als dutzende Dorfbewohner zusammengetrieben und danach erschossen wurden. Um die Spuren ihrer Mordtaten zu verwischen, schleppten die SS-Männer anschließend die Kirchbänke heraus, türmten sie über die Leichenberge und setzten alles in Brand.

KONTRASTE
„Dort wurden ja alle Menschen, die zusammengetrieben waren, umgebracht…“
Karl Gropler, ehemaliger SS-Mann
„Da habe ich nichts von gesehen, von so was, dass die da... Deswegen bin ich ja so erstaunt, dass ich hier… So einen Massenmord habe ich nicht gesehen.“

Im Jahre 2003 wurde Gropler erstmals vernommen. Damals gestand er gegenüber den Ermittlern ein, Zivilisten in einem Dorf mit zusammengetrieben zu haben. Auf Befehl habe er sie auch mit seiner Waffe bedroht:
Zitat:
„Eine Person der Gruppe wollte nach rechts gehen, obwohl sie nach links gehen sollte…Dann habe ich zu der Person ‚si nistra’ gesagt. Hierbei habe ich meine Pistole auf ihn gerichtet. Er ist dann auch nach links gegangen und ich konnte meine Pistole wieder einstecken.“

In Wollin können viele nicht verstehen, dass die Gerichte noch heute gegen einen Kriegsverbrecher vorgehen.

Dorfbewohnerin
„Aber das jetzt gerade wieder aufzurollen und dann so einen alten Mann, das ist mir alles nicht begreiflich.“
Dorfbewohnerin
„Und was so früher war. Weiß ich, was mein Großvater gemacht hat. Keine Ahnung. Oder was er machen musste. Das weiß doch kein Mensch.“
Dorfbewohner
„Ich sage bloß: Den Mann sollte man in Ruhe lassen. Es waren mehrere gewesen.“

Karl Gropler selbst spricht nicht über das, was er damals im Einzelnen tat. Er verweist auf Befehle, denen er sich angeblich nicht widersetzen konnte.

Karl Gropler, ehemaliger SS-Mann
„Was hatte man denn da zu sagen: Gehorchen oder an der Wand stehen, eines hat es doch früher bloß gegeben bei dem Verein.“
KONTRASTE
„Also Sie wären an die Wand gestellt worden?“

Für den Historiker Wolfgang Wippermann ist das eine typische Schutzbehauptung.
Immer wieder führen die Täter an, es habe „Befehlsnotstand“ geherrscht, sie hätten um ihr eigenes Leben gefürchtet.

Prof. Wolfgang Wippermann, Historiker FU Berlin
„Befehlsnotstand bedeutet, wenn ich verweigere, Verbrechen zu begehen, werde ich selber getötet oder hart bestraft. Das hat es einfach nicht gegeben. Das war dann eine Schutzbehauptung nachträglich in den Prozessen, die in allen Fällen nicht belegt werden konnte.“

Das weiß auch Enio Mancini. Die SS hatte den damals 6jährigen kleinen Jungen, seine Eltern und Verwandte auf einem Hof unweit der Kirche zusammengetrieben. Er überlebte nur, weil ein SS-Offizier die geplante Erschießung abbrach.

Enio Mancini, Überlebender des Massakers von Sant’Anna
„Direkt vor uns, auf einem Gestell hatten sie ein Maschinengewehr aufgebaut. Und das luden sie mit Munitionsbändern. Wir mussten aufstehen und warten. Es vergingen zehn, fünfzehn Minuten, die uns wie eine Ewigkeit vorkamen. Weil wir schon begriffen hatten, dass sie nun auf uns schießen würden. Wir warteten und wussten nicht, warum wir noch warten mussten. Dann kam ein Soldat, ein Vorgesetzter, wahrscheinlich der Offizier, der die Gruppe anführte. Er sah uns und fing an Befehle auf Deutsch zu brüllen, er rief immer ‚Raus! Schnell! Raus! Schnell!’.“

Solche historischen Tatsachen sind in Wollin kaum bekannt. Stattdessen verteidigen viele Dorfbewohner ihren Nachbarn.

Karl Gropler kann als deutscher Staatsbürger nicht an ein anderes Land ausgeliefert werden. Und die Staatsanwälte hier? Haben nach ihm nie gesucht. Würden die alten Männer doch wenigstens sprechen! Damit die Jungen fragen können nach dem blinden Gehorsam oder nach der „Kameradschaft“ - mit Verbrechern, zum Beispiel.