- Die Polizei und das Gesetz: Kein Rechtstaat für Radikale?

Danny Dahlig, 15 jähriger Schüler aus Angermünde, mußte 4 Tage in den Knast. Eine vorbeugende Maßnahme. Grundlage: Das Brandenburgische Polizeigesetz. Der Beitrag untersucht die fragwürdige Aktion und zeigt die Argumente der Beteiligten.

Jüngste Meldung aus dem Land Brandenburg: Drei Jugendliche werden in Eisenhüttenstadt unter dem Verdacht festgenommen, zwei libanesische Asylbe-werber überfallen zu haben. Eine Meldung unter vielen. Brandenburg sorgt sich um seinen Ruf. Das Land möchte nicht mit den hier besonders umtriebigen gewaltbereiten Rechtsradikalen identifiziert werden. Zu diesem Zweck wird zum Brandenburgischen Polizeigesetz von 1996 gegriffen und das hat Folgen, die Roland Jahn an einem konkreten Fall schildert.


Die "Rechten" und der Rechtsstaat - Was darf die Polizei?

Danny Dahlig:
"Ich denke National. Ich halte was vom Rechtsstaat. Nur wenn ich sehe, daß ich als national denkender Jugendlicher vom Rechtsstaat so ungerecht behandelt werde, dann muß ich doch am Rechtsstaat anfangen zu zweifeln."

Danny Dahlig aus Angermünde in Brandenburg. 15 Jahre alt. Er versteht sich als Rechter. Vor einem Monat: Dahlig wird in Polizeigewahrsam genommen. Er ist einer von insgeamt elf. Die rechte Szene steht in dem Verdacht eine Demonstration stören zu wollen. Polizeigewahrsam als Vorbeugung. Laut Gesetz in Brandenburg für vier Tage möglich. Gewahrsam kann angeordnet werden:

"...wenn das unerläßlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung ... einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit,.... zu verhindern..."

Das Polizeigewahrsam hat eine Vorgeschichte.

Januar 98: Ein Brandanschlag auf ein alternatives Café in Angermünde. Vier Täter aus der "Rechten Szene" werden festgenommen. Auch Dahlig war in der Nähe des Anschlags.

Danny Dahlig:
"Ick war bei dem Anschlag nicht dabei und das ist das was zählt meines Erachtens nach. Und ich hab gesagt, ich mach da nicht mit."

Februar 98: In einem Wald bei Angermünde greift die Polizei eine Jugendgruppe auf, beschlagnahmt verbotenes Propagandamaterial.

Danny Dahlig:
"Wir waren da sechs Mann die da angehalten wurden bei zwei Leuten wurden Hakenkreuze und andere faschistische Zeichen gefunden Reichskriegsflagge, Schlagstöcke und so und zwei Mann die hatten nichts bei und ich hatte auch nichts dabei."

März 98: Der Schülerrat an Dahligs Schule plant eine Demonstration. Der Gewalt der "rechten Szene" soll ein tolerantes gewaltfreies Angermünde entgegengesetzt werden.

Danny Dahlig
"Wenn sie gegen Gewalt marschieren da ist das in Ordnung, wenn die aber anfangen gegen rechte Gewalt marschieren, dann marschieren wir gegen linke Gewalt."

Seit dem Brandanschlag kontrolliert die Polizei verstärkt die Treffpunkte der rechten Szene. Mehrere Dutzend Jugendliche werden durch die Kripo vernommen. Auch zu der geplanten Demonstration.

Eckard Braun, Kriminalpolizei
"In den Vernehmungen wurden von verschiedenen Personen ausgesagt, mit konkreter Namengebung welche Personen dort an dieser Veranstaltung teilnehmen wollten, diese auch stören wollten."

Die Einsatzzentrale erhält die Namen der möglichen Störer, von der Kripo übermittelt. Ohne Überprüfung des Wahrheitsgehaltes ordnet der Leiter Gewahrsam an, auch für Dahlig.

Günther Trettin, Polizei-Einsatzleiter
"Gewahrsamnahme Zweifels ohne kann ich verantworten. Im Blinden oder im Vertrauen auf die Zuarbeit andere Bereiche der Polizei."

Am Vorabend der Demonstration. Dahlig wird von zu Hause abgeholt.

Danny Dahlig
"Ick hab dann gesagt warum den, ick will doch gar nichts machen oder so. Ick bin doch selber auf dem Gymnasium ick hab doch alles mitgekriegt wie das organisiert wird. Ick hätte mich da schon zu Wort melden können, wenn ich was dagegen gehabt hätte."

Dahligs Aussagen finden keine Beachtung. In welcher Art und mit welchen Mitteln die Demonstration gestört werden soll, weiß niemand. Die Polizeidokumente berufen sich nur auf die Behauptung eines Informanten aus der rechten Szene.

Günther Trettin, Polizei-Einsatzleiter
"Es geht um Gefahrenvermutung, reiner Fakt, daß fünf Personen einen harten Kern darstellen, von denen Störung zu erwarten sind und da war die betreffende Person mitgenannt. Punkt."

Zum ersten Mal in seinem Leben verbringt der fünfzehnjährige Danny Dahlig die Nacht in Gewahrsam der Polizei. Statt in der Schule, sitzt er auch am nächsten Tag in dieser Zelle.
Am Nachmittag, Dahligs Mitschüler demonstrieren für ein tolerantes, gewaltfreies Angermünde. Die Polizei ist mit sechzig Beamten im Einsatz. Zu den befürchteten Störungen durch die rechte Szene kommt es nicht. Dreihundert Angermünder Bürger schließen sich der Demonstration an.
Freitag, 16.00 Uhr, Ende der Demonstration, die Polizei zieht ihre Einsatzkräfte ab.
Dahlig bleibt eingesperrt.

Danny Dahlig
"Dann habe ich gefragt warum denn und so, ne da wurde gesagt das brauchen wir Ihnen garnicht zu sagen , das haben wir garnicht nötig. Ich sage das möchte ich aber gerne wissen. Die Demo ist ja nun vorbei, warum muß ich dann noch bis Montag hier sitzen?"

Die Kriminalpolizei hat bei Freunden von Dahlig ein Flugblatt sichergestellt, darin wird zu einer Party in eine Waldhütte eingeladen, einem bekannten Treffpunkt der rechten Szene.

Günther Trettin, Polizei-Einsatzleiter
"Sie wollten dort eine extrem antisemitische neofaschistische Winterparty halten und ich glaube daß der gesamten politischen Diktion des Landes Brandenburg entspricht, wenn wir bei Wissen so eines Vorhabens diese Veranstaltung schon gar nicht erst zulassen."

Polizeigewahrsam für Dahlig, obwohl bei ihm keine Einladung zur neonazistischen Party gefunden wurde. Auch wollte er an diesem Wochenende zu Hause bleiben, seine Mutter hatte Geburtstag.

Danny Dahlig
"Ick wollte Geburtstag feiern. Also?

KONTRASTE
"Aber das kann dir doch die Polizei nicht einfach so abnehmen?"

Danny Dahlig
"Ja, ich sag mal, ich muß denen nicht meine Unschuld beweisen, die müssen mir meine Schuld beweisen. Wo kämen wir da dahin, wenn das wieder zu Ostzeiten wird."

KONTRASTE
"Was hat Danny mit der geplanten Veranstaltung zu tun, daß er daran teilnehmen wollte?"

Günther Trettin, Polizei-Einsatzleiter
"Tscha, die konkreten Erkenntnisse der Art sind eventuell so zu interpretieren, daß nicht auszuschließen wäre, daß er daran teilnimmt. Aber warum bitte schön muß man zulassen, daß ein junger Mensch zum Straftäter wird."

Freiheitsentziehung als Vorbeugung.
Das Gesetz verlangt einen richterlichen Beschluß über die Zulässigkeit des Polizeigewahrsams. Die Einsatzleitung hat diesen kurzfristig erhalten.

Das zuständige Amtsgericht bestätigt die Freiheitsentziehung für vier Tage. Begründung: Die bevorstehende Begehung von Straftaten. Der Richter übernimmt die Argumentation der Polizei. Er erteilt einen Sammelbeschluß für elf Personen.

Danny Dahlig
"Wie können die sowas schreiben, die haben doch nicht ein vernünftiges Argument gegen mich auf dem ganzen Beschluß, der Richter hat nicht ein vernünftiges Argument gegen mich, der hat sich nicht mit mir unterhalten, der hat einfach angerufen, das hat man mir gesagt, der hat angerufen, daß ich dann noch bis Montag in Haft bleiben soll."

Peter Melzer, Richter, Amtsgericht Schwedt
"Die Aktionen, die stattfinden sollten an diesem Wochenende waren nicht in luftleeren Raum, sie waren in einer ja in einer fast lückenlosen Abfolge und standen nicht im Widerspruch zu dem was sich in der Vergangenheit Angermünde getan hat. von da an konnte die Entscheidung auch mit guten Gewissen rechtfertigen."

Der Jurist Martin Kutscha war bei der Entstehung des Brandenburger Polizeigesetzes als Gutachter tätig. Diese Art der Anwendung sieht er als Verletzung der Grundrechte.

Prof. Martin Kutscha, Polizeirechtler
"Ich vermisse in der Beschlußbegründung den konkreten Tatverdacht gegen diesen Danny Dahlig. Ich habe den Eindruck, daß er hier Opfer einer Art Sippenhaft geworden ist. Einer Art Gesamtzurechnung in dieser rechten Gruppierung und das reicht eben nicht den Kriterien des Rechtsstaates der Rechtsstaat verlangt, daß in jedem Fall der jeder einzelnen Personen genau geprüft wird, ob die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt wird."

Thomas Melzer, Richter / KONTRASTE
"Was gibt es an konkretem Tatverdacht gegenüber Danny Dahlig, daß er vier Tage lang in Gewahrsam war?"
(Schweigen)
Er sagt,er hatte mit der neonazistischen Winter-Party die geplant war, nichts zu tun!
(Schweigen)
"Moment mal."
(Schweigen)

Auch in den Akten zum Richterbeschluß finden sich keine konkreten, stichhaltigen Hinweise auf bevorstehende Straftaten des Danny Dahlig.



Eine Justiz, die es sich ansonsten dreimal überlegt, ob sie einen Jugendlichen, auch bei nachgewiesener Straftat, hinter Gitter steckt, weil sie aufs Resozialisieren vertraut, bei dem Fünfzehnjährigen, der sich einen Rechten nennt, hatte sie keine Hemmungen. Zweierlei Maß, der Junge wird sich das merken.