Marktplatz in Mügeln (Quelle: rbb)

- Mügeln – eine Stadt wäscht sich rein

Über einen Monat nach der Hetzjagd auf Inder will man im sächsischen Mügeln nichts mehr von dem Skandal hören. Stattdessen macht man inzwischen die Opfer zu Tätern. Es heißt, die Inder wären selbst Schuld an der Schlägerei gewesen. Sie hätten Deutsche verletzt. Doch was passierte wirklich in der Nacht? Wer hat wann wen verletzt? Angesichts vieler Merkwürdigkeiten und Vertuschungsversuche haben sich Caroline Walter und Alexander Kobylinski auf Spurensuche begeben.

Kommen Sie aus den neuen Bundesländern? Vielleicht sogar aus Sachsen? Heißt Ihre Heimatstadt Mügeln? Na dann, gute Nacht. Seit dem ausländerfeindlichen Überfall auf acht Inder vor einem Monat steht Mügeln mitsamt seinen 5.000 Einwohnern unter Generalverdacht. Das glauben jedenfalls die Mügelner selbst. Jetzt will die Stadt ihr schlechtes Image loswerden. Doch das dürfte schwierig sein. Denn KONTRASTE hat Zeugen gefunden, die in jener Nacht selbst dabei waren, und etwas ganz anderes berichten, als das, was gerade in Sachsen verbreitet wird. Caroline Walter und Alexander Kobylinski.

Heute morgen – Markt in Mügeln. Auch die indischen Markthändler haben ihre Stände aufgebaut. Sie wollen nicht mit uns reden - das tun schon andere – über sie.

Bürger
„Soweit mir bekannt ist, haben die Inder im Festzelt angefangen zu stänkern. Und dass sie dann auf ne Reaktion rechnen müssen, das ist klar.“
„Ich würde sagen, die sind doch selber schuld die Leute sind doch selber schuld, weil die haben ja theoretisch angefangen.“
„Derjenige, der angefangen hat und so wie ich’s gehört habe, waren’s die Inder.“


Die Inder sind nicht mehr nur Opfer, sondern auch Täter. Sie hätten Deutsche auf dem Fest mit Flaschen verletzt. Das wollen viele in Mügeln glauben. Was wirklich passiert ist, interessiert kaum einen mehr.

Selbst Sachsens Ministerpräsident Milbradt hat beschlossen, sich mehr ums Image des Landes zu sorgen als um die Wahrheit.

Georg Ministerpräsident (CDU), Ministerpräsident Sachsen
„Liebe Freunde, ich weiß genau, wie sich die Mügelner fühlen. Es gab nämlich keine Hetzjagd in Mügeln, sondern auf Mügeln und die Mügelner.“

Schuld sind auf einmal die Medien, und die Ausländer. Aber was war wirklich los in dieser Nacht in Mügeln?

KONTRASTE liegen erstmals Aufnahmen aus dieser Nacht vor, ein Handyvideo.
Das Video zeigt, wie die Polizei versucht, die Lage in Mügeln in den Griff zu bekommen.

Doch was war bis dahin eigentlich passiert?

Wir finden zwei Augenzeugen von dieser Nacht, die nicht länger schweigen wollen. Es sind zwei Deutsche aus Mügeln. Sie waren unmittelbar dabei. Sie haben Angst offen zu reden - nicht ohne Grund.

Augenzeugin
„Ein Bekannter hat einen Anruf gekriegt, weil er der Presse was gesagt hat. Der hat schon eine Stunde später Drohungen per Telefon bekommen: Dich kennen wir jetzt. Dich kriegen wir noch.“

Trotzdem wollen die Zeugen uns jetzt berichten, was sie gesehen haben. Sie halten es nicht mehr aus, wie die Wahrheit inzwischen verdreht wird.

Es ist Samstag, der 18. August gegen Mitternacht. Das Festzelt von Mügeln. Drinnen tanzen die Inder ausgelassen. Es ist friedlich, so die Zeugin.

Augenzeugin
„Meiner Meinung nach ist im Zelt überhaupt nichts passiert. Da waren keine Streitereien. Die haben nur getanzt.“

Die Inder tanzten auch mit einer deutschen Frau. Irgendwie kippt die Stimmung. Den Indern wird gedroht: „Wenn sie jetzt nicht aus dem Zelt abhauen, gibt es Ärger.“ Was die Inder nicht ahnen: Sie laufen in eine Falle, so haben es die Zeugen gesehen.

Augenzeugin
„Als die Inder raus kamen vors Zelt, waren gleich die Deutschen da und haben die Inder gleich attackiert, ohne Grund. Also angefangen haben vier, fünf Mügelner Jugendliche.“

Augenzeuge
„Ein Deutscher ist auf den einen Inder losgegangen, hat aus der Hosentasche Pfefferspray rausgeholt und hat dem das ins Gesicht gesprüht und in dem Moment hat er den Inder auch zu Boden getreten. Dann kamen noch andere Leute, haben Beifall geklatscht und haben zugejubelt.“

Das ist Marco K. Er ist mit dem Pfefferspray auf den Inder los. In den Medien hatte er sich tagelang danach als Opfer hingestellt. Dabei ist er Tatverdächtiger. Nach seiner Attacke stürzen sich immer mehr Schläger auf die Inder.

Augenzeuge
„Die Deutschen hatten Flaschen in der Hand gehabt, und haben versucht mit den Bierflaschen auf die Inder einzuschlagen. Erst mit Fäusten und dann mit Bierflaschen.“

Dagegen behaupten jetzt mehrere Deutsche, die Inder hätten sie mit abgebrochenen Bierflaschen verletzt, ihnen Schnittwunden zugefügt. Gegen einige Inder wird nun ermittelt.

Für die Zeugin unverständlich.

Augenzeugin
„Ich habe davon nichts gesehen, dass die Inder Bierflaschen in der Hand hatten. Also überhaupt nicht, das wäre aufgefallen, eigentlich sieht man so was, wenn die so was in der Hand haben.“

Was bisher nicht veröffentlicht wurde: 20 Minuten vor dem Übergriff auf die Inder gab es bereits eine Schlägerei – unter Deutschen und mit Verletzten. Das hat einer der Augenzeugen beobachtet.

Augenzeuge
„Bevor die Inder in das Zelt gegangen sind, gab’s schon davor eine Schlägerei, und da sind die Deutschen auf die Deutschen drauf und haben sich da schon verletzt, mit Bierflaschen oder was da rum lag. Und jetzt kommen die und sagen am Ende, das waren alles die Inder.“

Wir fahren zur zuständigen Staatsanwaltschaft nach Leipzig, wollen wissen, ob die Ermittler dieser Vorgeschichte nachgegangen sind.

KONTRASTE
„Bevor es zu dem Übergriff auf die Inder kam, gab es bereits eine Schlägerei unter Deutschen, mit Verletzungen. Das fand vorher statt. Ist Ihnen das bekannt?“
Ricardo Schulz, Staatsanwaltschaft Leipzig
„Diese Aussage ist mir jetzt nicht bekannt.“

Das sollte sie aber. In Mügeln halten jetzt viele zusammen. Unsere Zeugen bekommen mit, wie immer mehr vertuscht wird.

Augenzeugin
„Wie ich gehört habe, tun sich die Zeugen untereinander absprechen und dass dasselbe gesagt wird und die ganze Schuld auf die Inder geschoben wird.“

Absprachen, die verdecken sollen, was in dieser Nacht an Hass auf Ausländer ausgebrochen ist. Doch von einer Hetzjagd könne man nicht reden, heißt es jetzt. Schließlich hätten die Inder nur ein paar Meter laufen müssen.

Augenzeuge
„Ich hab gesehen, wie die Inder in die Pizzeria gerannt sind, weil 20 Deutsche hinterher gerannt sind.“
KONTRASTE
„War das knapp?“
Augenzeuge
„Das war eine Sekundensache am Ende.“

Ein Mob von 50 Leuten will den Laden stürmen. Rufe: „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen“. Polizisten werden aufgefordert, abzuhauen und den Weg in den Laden freizumachen. Drinnen Inder, die um ihr Leben fürchten.

Augenzeugin
„Das war schon Hass in den Stimmen und auch in den Gesichtern zu lesen. Das hat man schon gemerkt, dass sie richtigen Hass gegen Ausländer haben.“

Augenzeuge
„Wenn die Polizei nicht da gewesen wäre, wenn die da rein gekommen wären, die Leute, die hätten die Inder tot gemacht.“

Über eine Stunde brauchte die Polizei um die Randale vor dem Laden zu beenden.
Doch am nächsten Morgen geht das Stadtfest einfach weiter, „Freut euch des Lebens“, und der Bürgermeister eröffnet gut gelaunt die Ausstellung „Mügelner Augenblicke“. Als wäre nichts gewesen.

Mügeln – eine liebenswerte Kleinstadt in Sachsen. Das lässt man sich hier doch nicht kaputtmachen. Nicht von ein paar verprügelten Indern.