Schüler führen eine Testwahl durch (Quelle: rbb)

- Testwahl unter Erstwählern: Wie rechts ist die Jugend in Ostdeutschland?

Die DVU ist mit 12,9% in den Landtag von Sachsen-Anhalt eingezogen. Vor allem Jung- und Erstwähler gaben den Rechtsextremen ihre Stimme. KONTRASTE wollte wissen, wie sich brandenburger Jungwähler entscheiden würden. Ergebnis: Rechtsradikale liegen auch hier im Trend.

Guten Abend, meine Da-men und Herren, willkommen bei Kontraste.

Ist der Wahlerfolg der Rechtsradikalen in Sachsen-Anhalt - 12,9 % für die DVU - eine Eintagsfliege? Am 27. September wird wieder in einem ostdeutschen Bundesland gewählt, in Mecklenburg-Vorpommern, zeitgleich mit der Bundestagswahl. In Sachsen-Anhalt konnten die Flügelstürmer auf Rechtsaußen besonders die Jungen, die Erstwähler beeindrucken. Anlaß für Kontraste zu einem Test.
Christiane Baumann und John Goetz sind mit einer Wahlurne nach Brandenburg gezogen, und sie haben junge Leute vorab frei und geheim wählen lassen. Daß es sich dabei um keine Spielerei handelt, werden Sie gleich sehen.


"Erstwähler" nennt man sie - junge Frauen und Männer im Alter von 18 bis 20, Schüler, Studenten, Lehrlinge. Die, die im Land Brandenburg bald zum ersten Mal wählen, waren Kinder von neun oder zehn Jahren, als die Mauer fiel.
"Wen soll man wählen?", eine wichtige Frage unter den jungen Leuten, besonders seit den Magdeburger Ergebnissen. Bei den meisten, die wir befragten, ist der politische Standpunkt eindeutig, keineswegs konfus.

KONTRASTE
"Was würden Sie wählen, wenn Sie morgen wählen könnten, was würden Sie wählen?"

Antwort
"Na, die DVU."

KONTRASTE
"Warum würden Sie DVU wählen?"

Antwort
"Weil es 1,9% zuviel Ausländer gibt, die Arbeitsplätze wegnehmen."

"Ich würde SPD wählen."

"Auf keinen Fall die Grünen."

KONTRASTE
"Warum nicht die Grünen?"

Antwort
"Steuer, Benzin, alles drum und dran, die sind die letzten Kunden."

"Wenn ich wählen würde, würde ich DVU wählen. Aber ich wähle nicht, weilŽs sowieso keinen Zweck hat."

"Die NPD würde ich wählen, weil die irgendwo gegen Arbeitslosigkeit, und in der Ausländerpolitik die Fragen richtig beantworten."

"Höchstens die Grünen..."

KONTRASTE
"Warum?"

Antwort
"Na, weil sie für die Umwelt sind."

"KZ und so möchte ich nicht haben, ich sag, wie es ist, nur klare Ziele, also richtig, daß was klar geschaffen wird."

Sind das vereinzelte Meinungen? Wir wollten es wissen und haben in vier Klassen an drei Orten in Brandenburg Testwahlen gemacht. Knapp einhundert Jugendliche beteiligten sich.

Hier unser Wahlergebnis:
Die PDS erhielt 14% der Stimmen.
Bündnis 90/die Grünen bekamen 10%.
Die SPD ging mit 42 % als stärkste Partei aus der Testwahl hervor.
Also eine klare Mehrheit links von der Bonner Koalition.

Auffallend niedrig die Werte für FDP und CDU: Beide passierten nur knapp die 5%-Hürde. Erschreckend die hohen Stimmenanteile für DVU, Republikaner und NPD: 23% der Schülerstimmen.

Im Jugendforschungsinstitut der Universität Potsdam verfolgt man das Anwachsen rechtsradikaler Haltungen schon über Jahre.

Dr. Dietmar Sturzbecher, Universität Potsdam:
"Die Zahlen stimmen sehr gut mit unseren Zahlen auch überein. Wir haben in einer anonymen landesrepräsentativen Befragung im höchsten Segment - also bei den extrem Rechtsextremen - ungefähr 7 % der Jugendlichen und im weiten Segment - das sind alle die, die tendenziell rechtsextrem eingestellt sind - nocheinmal 14 %. Wir haben also die gleichen Zahlen gefunden wie Sie."

Chor:
"DVU... DVU."

Hier bei den angehenden Kfz-Mechanikern holten die Rechtsradikalen 52%. An anderen Orten erbrachte unsere Testwahl völlig andere Ergebnisse.

Zwei Türen weiter, zum Beispiel, in der gleichen Berufsschule: eine Klasse von Orthopädie-Mechanikern. Ihre Aussichten auf einen Arbeitsplatz sind nicht schlecht, nur 5% stimmten rechtsradikal, die Mehrheit wählte SPD.

Unsere dritte Testklasse: angehende Krankenheilpfleger an einer Fachschule. In der Klasse, in der mehrheitlich junge Frauen studieren, gab es keine einzige Stimme für rechtsextreme Parteien.

Station Nummer 4: Eine 12. Klasse an einem ländlichen Gymnasium. Trotz ausführlicher Ausbildung in Politik und Geschichte stimmte jeder Dritte für Rechtsradikale.

Für das Wahlergebnis ihrer Klasse machen einige Schüler Arbeitslosigkeit und Ausländer verantwortlich.

1. Mädchen
"Wenn man durch Žne größere Stadt geht hier in der Umgebung, sieht man schon Arbeitslose, die nur mit einer Plastiktüte rumlaufen. Und denn sieht man wieder Ausländer, die nichts tun und mitŽm teuren Auto rumfahren und so. Und wenn man dann hört: Deutsche Wohnungen für Deutsche!, das is einfach ansprechend."

2. Mädchen
"Da sind nicht die Ausländer selbst dran schuld, sondern das ist einfach mal, die Systeme in allen Ländern, also geht alles nur noch um Geld, ist Kapitalismus und... Ich meine, wenn in den andern Ländern nicht so`ne Not wäre, sag ich mal, denn bräuchten die auch nicht hierherkommen, um hier zu arbeiten."

3. Mädchen
"Dies ist eindeutig die Schuld auch von der Regierung in der BRD. Hier in Brandenburg speziell gibt es nur noch ein produzierendes Gewerbe, hier im Kreis Märkisch-Oderland. Das muß man sich mal vorstellen. Wo sollen denn da die Arbeitsplätze herkommen. Und es ist dann auch nicht die Frage ...über die Ausländer. Meines Erachtens sind die Ausländer ein Sündenbock, so wie es früher die Juden waren."

Die Frage: "Rechtsextreme -- ja oder nein?" polarisiert die Klassen. Standpunkte werden unmißverständlich ausgetauscht

1. Junge
"Also die Mehrheit der Klasse findet den Nationalsozialismus bestimmt gut. Ich denke auch, daß sich ein Großteil daran erinnert, was eben Hitler für die Arbeitslosen getan hat. Ick meine, der hat allen Arbeit gegeben, da war ein ordentliches Programm drinne. War nich irgendwie... naja gut, Kriminalität war auch da, klar. Aber, ick sag mal, das hat sich noch im Limit gehalten. Und daß er denn -"

2. Junge
"Wie lange hatten sie denn Arbeit bei Hitler? Bis `39, bis er sie alle eingezogen hat, denn sind die Frauen und die Gefangenen in die Produktion gegangen. Und was hatten sie nach Ž45? Gar nischt mehr! Alles im Arsch! Hätten sie in den 50ern nicht die Ausländer gehabt, würde Deutschland jetzt immer noch am Boden liegen."

1. Junge
"Na, da geb ich Dir ja Recht."

2. Junge
"So kommt es doch genau wieder."

Die Kinder der Wende haben jetzt alle Chancen der neuen Freiheit. Die Demokratie aber ist ihnen fremd geblieben.

Mädchen
"Wo wird denn unsere Generation, wo ist die da präsent im Bundestag. Ist doch gar nischt. Und ich denke mal, das sieht man ja auch an den Meinungen, die hier waren, daß es eigentlich gar keine richtige Partei gibt, die unsere Interessen richtig vollkommen vertritt. Es sind immer nur Ansätze da, wo man sagen könnte: Ja, da stimme ich zu."

Bisher war Demokratie für sie nur Stoff im Unterricht. Im Herbst aber geben sie ihre Stimme zur Bundestagswahl.

Junge
"Also ich bin der Meinung, daß diese Parteien erstmal mehr Stimmen kriegen müßten als sonst, damit die größeren Parteien, die CDU und SPD einen Denkanstoß kriegen. Und in den vier Jahren, wo die DVU oder die Republikaner meinetwegen was bewirken können, können sie nicht so sehr viel bewirken, daß meinetwegen wieder das Hitlerregime oder sowas durchkommt ... Und in der Zeit werden denn wieder die CDU und SPD eben mitkriegen und hinterher auf die Interessen der Bürger und Wähler eingehen."

Die Wahl als Pokerspiel, und die Neonazis sind mit von der Partie. Was dabei riskiert wird, scheint den Schüler und andere junge Wähler wenig zu interessieren.



Genauso wenig lassen sich junge Leute von einem "Bündnis gegen Rechts" beeindrucken, das soeben der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt erfunden hat. Das ist für sie nichts anderes als ritualisierter Antifaschismus, Auschwitz aber haben sie schon als Geschichte archiviert. Wer diese jungen Leute gegen Parolen wie "Deutschland zuerst" und "Deutschland soll deutsch bleiben" immun machen will, der muß ihnen Erklärungen für die unübersichtliche, verwirrende und angstmachende Wirklichkeit anbieten. Das tun die demokratischen Parteien aber nicht. Deshalb ist die Wahl für die Rechtsradikalen eine Wahl gegen sie. Und dazu fällt ihnen nichts besseres ein, siehe der SPD-Innenminister von Niedersachsen, als ein Verbot der DVU zu verlangen. Das erinnert an den Arzt, der das Fieberthermometer zerschlägt, um "Fieberfrei!" verkünden zu können.