menschen am Messestand (Quelle: rbb)

- Gefährliche Heilpraktiker - Keine Kontrolle, keine Sanktionen

Wenn Heilpraktiker pfuschen, ist der Patient zumeist machtlos: Wort steht gegen Wort, denn der Heilpraktiker muss nichts dokumentieren. Und so haben auch die Gesundheitsämter kaum eine Möglichkeit, den gefährlichen Heilpraktikern die Zulassung zu entziehen. Ein Gesetz aus dem Jahr 1939 erlaubt fast jedem als Heilpraktiker zu arbeiten, eine Berufsordnung oder ein Standesrecht gibt es nicht. Heilpraktiker, die Patienten gefährden, müssen also kaum etwas befürchten. Caroline Walter berichtet über die Untätigkeit des Staates.

Zum Heilpraktiker zu gehen, das ist für viele Menschen nichts Besonderes. Vielleicht helfen ja Akupressur oder Globoli-Kügelchen bei dem einen oder anderen. Viele setzen jedenfalls ihre Hoffnung auf Heilpraktiker. Und die Hoffnung ist groß in Deutschland: Rund 20.000 sind gemeldet. Sie haben mehr Freiheiten als jeder Arzt, aber ihre Methoden hinterfragt keiner. Von Patientenschutz kann keine Rede sein. Behandlungsfehler gelangen kaum an die Öffentlichkeit. Caroline Walter und Alexander Kobylinski haben das deutsche Heilpraktikerwesen genauer unter die Lupe genommen.

Wenn Wilhelm Schmidt auf seinem Hof arbeitet, lauert überall Verletzungsgefahr. An den Spitzen des Gabelstaplers oder anderen Geräten verletzt er sich immer wieder. Denn er ist auf dem linken Auge praktisch blind.

Wilhelm Schmidt hatte einer Heilpraktikerin vertraut. Sie versprach ihm, seinen Augentumor zu heilen. Eine neue Hoffnung für ihn. Sein Augenarzt hatte ihm Medikamente gegeben, um den Druck im Auge niedrig zu halten. Durch den Tumor ist er viel zu hoch.

Doch die Heilpraktikerin interessierte das nicht.

Wilhelm Schmidt
„Die Heilpraktikerin hat gesagt, es gibt nur dann einen Heilungserfolg, wenn ich die schulmedizinischen Medikamente absetze und ihre Alternativmedizin, Globulis, anwende.“
KONTRASTE
„Hat sie verlangt, dass Sie die Medikamente absetzen?“
Wilhelm Schmidt
„Ja, das hat sie in einer ziemlich ultimativen Form von mir verlangt.“

Kurz darauf bekam er starke Sehstörungen. Er konnte nicht mehr lesen, irgendwann auf zwei Meter niemanden mehr erkennen. Die Heilpraktikerin behauptete, das gehöre zum Heilungsprozess.

Als er es mit dem Druck im Auge nicht mehr aushält, geht er wieder zum Augenarzt. Die schockierende Diagnose: Der Augendruck war dreimal so hoch wie normal und das hat den Sehnerv für immer zerstört.

Für Prof. Rieck, Spezialist an der Augenklinik der Berliner Charite, war die Behandlung der Heilpraktikerin grob fahrlässig.

Prof. Peter Rieck, Augenklinik Berliner Charité
„Ich finde es unverantwortlich, dass diese Heilpraktikerin den Patienten geraten hat, diese Medikamente abzusetzen, weil die Medikamente dafür da waren, das Augenlicht zu erhalten. Setze ich diese Medikamente ab, kommt es unweigerlich zu einem starken Wiederanstieg des Augeninnendruckes und damit eben zu einer irreversiblen Schädigung des Sehnerven.”

Wilhelm Schmidt hat sein Sehvermögen auf dem linken Auge verloren. Sein Alltag ist jetzt extrem eingeschränkt, beim Arbeiten auf dem Hof ist er oft auf Hilfe angewiesen.

Über die Heilpraktikerin hat er sich bei den Behörden beschwert.

Wilhelm Schmidt
„Nach dieser Erfahrung mit dem Auge habe ich dann, um Schaden von Dritten, von anderen Patienten, abzuwenden, mich an das Gesundheitsamt gewendet, mit der Bitte gegen solche Praktiken vorzugehen. Ich bin heute enttäuscht darüber, dass die Gesundheitsämter offensichtlich oder anscheinend keine Möglichkeiten haben, gegen so was vorzugehen.”

Die Heilpraktikerin hat gegenüber der Behörde den Vorwurf abgestritten, sie habe vom Patienten verlangt, Medikamente abzusetzen.

Und so kann sie ungehindert weitermachen. Viele Patienten lassen sich von der Homöopathin behandeln. Das ist sie, Gudrun Sarampoi. Vor einigen Wochen hielt sie eines ihrer Patientenseminare ab. Das zugespielte Material zeigt, dass sie gefährliche Therapien propagiert.

Stundenlang redet sie über ihren Feind - die Schulmedizin. Und rät:
Gedächtnisprotokoll
„Am gesündesten für den Krebspatienten ist, er meidet den Schulmediziner.“

Schließlich fragt eine Frau, was man bei einer akuten Blinddarmentzündung machen soll. Die Heilpraktikerin rät von einer Operation ab.

Gedächtnisprotokoll
„Das behandele ich homöopathisch. Überhaupt kein Problem. Am nächsten Tag geht der Patient arbeiten.“

Diese Heilpraktikerin gefährdet Patienten mit ihren Ratschlägen. Und das ist hier in Deutschland auch noch möglich.

Schuld ist das deutsche Heilpraktikergesetz mit seinen Verordnungen. Es stammt noch aus dem Jahre 1939. Und so findet man darin immer noch den „Stellvertreter des Führers“.

Es ist veraltet, regelt praktisch nichts, und erlaubt dem Heilpraktiker fast alles. Vor allem: Das Gesetz gibt den Behörden keine konkrete Handhabe, um dubiosen Heilpraktikern die Zulassung zu entziehen.

Gesundheitsamt Bremen. Amtsarzt Thomas Hilbert kritisiert diesen Zustand. Er beklagt: die Behörden haben zu wenig Eingriffsmöglichkeiten.

Dr. Thomas Hilbert, Gesundheitsamt Bremen
„Es gibt im Prinzip gar keine gesetzlichen Regelungen, um Patienten vor Heilpraktikerin, vor falscher Behandlung zu schützen. Es gibt für Heilpraktiker keine Berufsordnung, es ist ja kein anerkannter Beruf. Es gibt kein Standesrecht wie bei Ärzten, es gibt keine Beschwerdestellen, man kann eine Schlichtungsstelle nicht anrufen.“

Im Prinzip kann jeder in Deutschland Heilpraktiker werden - die Anforderungen sind minimal. Um die Zulassung zu bekommen, muss man beim Gesundheitsamt nur medizinisches Basiswissen nachweisen.
Der Anwärter braucht
- lediglich einen Hauptschulabschluss,
er benötigt
- keinen Ausbildungsnachweis
- und kein Berufspraktikum.

In kaum einem Beruf ist so etwas möglich.

Dr. Thomas Hilbert, Gesundheitsamt Bremen
„Es gibt keine geregelte Heilpraktikerausbildung. Das ist nirgendwo vorgeschrieben, dass Heilpraktiker eine bestimmte Ausbildung mit bestimmten Lerninhalten absolvieren müssen. Ich denke, dass viele Patienten falsche Vorstellungen davon haben, was Heilpraktiker können und wozu sie fähig sind.“

Wir sind auf einer Heilpraktikermesse. Der Markt mit den alternativen Versprechen boomt. Bei der Behandlung von Patienten ist der Heilpraktiker völlig frei in der Wahl seiner Methoden.

Sogar schwerste Krankheiten dürfen Heilpraktiker behandeln. Ihr Tun wird nicht einmal kontrolliert. Der Heilpraktiker muss nicht dokumentieren, wie er genau behandelt. Krankenakten sind nicht Pflicht.

Wird der Patient geschädigt, hat dieser dann keine Beweise in der Hand.

Ein Riesenproblem. Das weiß auch Jan Leidel, Leiter des Gesundheitsamtes Köln. Er bekommt immer wieder Fälle geschädigter Patienten auf den Tisch.

Dr. Jan Leidel, Leiter Gesundheitsamt Köln
„Wir haben oftmals das Problem, dass Heilpraktiker die Behauptung ihrer Patienten abstreiten und das als Missverständnis herausstellen. Der Patient hat das nicht richtig verstanden, das stimmt gar nicht. Und dann wird es für uns schwierig, weil man natürlich auch hier im Zweifel für den Angeklagten entscheiden muss.“

Ganz anders bei Ärzten. Sie müssen ganz genau dokumentieren, wie und womit sie den Patienten behandeln. Die Krankenkassen kontrollieren das. Bei Fehlverhalten droht der Entzug der Kassenzulassung. Jeder Arzt muss zudem Mitglied in der Ärztekammer sein. Auch sie kann Fehlverhalten hart bestrafen.

Klaus Wischmann ist vom Fachverband der Heilpraktiker. Selbst er fordert ein Kontrollsystem. Denn nicht einmal die Verbände können Patienten vor dubiosen Heilpraktikern schützen.

Klaus Wischmann, Fachverband der Heilpraktiker Bremen
„Wir haben faktisch keine Möglichkeit, Kollegen, die ihre Grenzen überschreiten, aus diesem Beruf zu entfernen. Die Mitgliedschaft in unseren Verbänden ist freiwillig, die Verbände haben die Form eines eingetragenen Vereines, und wenn natürlich wir in dieser Form auf unsere Mitglieder einwirken. Das tun wir selbstverständlich, dann endet das häufig damit, dass diese Kollegen einfach aus unserem Verband austreten und unsere Zugriffsmöglichkeiten sind damit beendet.“

Carmen wurde ein Opfer der laxen Gesetzgebung. Sie starb mit 33 Jahren. Auch sie glaubte einem Heilpraktiker. Doch der praktiziert eine gefährliche Krebstherapie: die sogenannte Germanische Neue Medizin. Carmen hatte Brustkrebs und Angst vor einer Operation. Der Heilpraktiker versprach ihr Heilung - ohne Chemotherapie, ohne Strahlen, ohne Operation. Stattdessen solle sie ihre psychischen Konflikte lösen, dann verschwinde der Krebs von selbst.

Ihre Schwester hat miterlebt, wie Carmen leiden musste. Der Krebs fraß sich bis zu ihrem Rücken durch, Metastasen überall.

Carmens Schwester
„Klar sie hatte Angst, sie vertraute diesem Heilpraktiker, der erzählte ihr, es gibt eine Alternative zur Schulmedizin, dadurch hat sie die schulmedizinische Therapie überhaupt nicht in Angriff genommen. Dadurch hat sie aber auch jegliche Chance auf Heilung vertan, auch vertan dadurch noch ein paar schöne Jahre zu haben, 33 ist kein Alter.“

Der Fall von Carmen wurde auch dem zuständigen Gesundheitsamt Köln bekannt. Doch selbst bei diesem Todesfall kann die Behörde dem Heilpraktiker die Zulassung nicht entziehen.

Dank des Heilpraktikergesetzes ist er ja frei in der Wahl seiner Methoden. Ein unhaltbarer Zustand.

Wir haben beim Gesundheitsministerium angefragt, warum das Gesetz von 1939 nicht reformiert wird, keine strengeren Vorschriften für Heilpraktiker erlassen werden. Doch kein Interview vor der Kamera. Das Ministerium sieht keinen Handlungsbedarf.

In anderen europäischen Ländern gibt es schon längst strenge Gesetze. Zum Beispiel Spanien. Dort dürfen nur Ärzte alternative Heilmethoden praktizieren. Auch in Österreich gibt es keine Heilpraktiker, da gilt es als „Kurpfuscherei“ und steht unter Strafe – um Patienten zu schützen.

In Deutschland dagegen darf der Heilpraktiker von Carmen weiterpraktizieren – mit staatlicher Zulassung.

Carmens Schwester
„Es kann nicht sein, dass mit Menschenleben gespielt wird, dass der Tod von Menschen in Kauf genommen wird, wissentlich und nichts passiert, das kann irgendwo nicht sein.“

Solange die Politiker die Gesetze nicht ändern, bleiben die Patienten auf sich selbst gestellt: Dann muss man sich noch eben noch besser informieren und im Zweifelsfall misstrauisch sein.