Patient auf Krankenhausbett
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- Hilflos und überfordert: Wie Ärzte mit todkranken Patienten umgehen

Wenn Patienten lebensbedrohlich erkrankt sind, dann sind Ärzte besonders gefordert, die Diagnose sensibel und verständlich zu vermitteln. Doch Generationen von Ärzten haben ihr Medizinstudium absolviert, ohne jemals das Gespräch mit Patienten zu trainieren - und selbst heute gehören praktische Kommunikationsübungen nicht überall verpflichtend zur Ausbildung. Patienten und ihre Angehörigen sind die Leidtragenden.

Schwer kranke Patienten hoffen nicht nur darauf, geheilt zu werden, sondern erwarten von Ärzten im Krankenhaus auch die nötige Sensibilität bei Gesprächen und Beratung. Doch allzu oft erlebt man als Patient oder Angehöriger genau das Gegenteil: Ärzte, die keine Zeit haben und unwirsch reagieren. Immer wieder haben uns Zuschauer darüber berichtet. Lernen Mediziner in der Ausbildung nicht, mit Menschen feinfühlig umzugehen? Vor allem in Situationen, in denen es um Leben oder Tod geht? Andrea Everwien und Caroline Walter

Ein Jahr ist es jetzt her, dass Dietmar Grutz seine Tochter Kristina begraben musste: Die junge Frau litt an Gebärmutterkrebs.

Doch der Vater betrauert nicht nur diesen Verlust. Was ihn bis heute belastet: die Ärzte im Krankenhaus begegneten der Familie ohne jedes Einfühlungsvermögen.

Dietmar Grutz
„Wenn ich Arzt bin, muss der Patient Vertrauen zu mir bekommen und ich dann auch zu zum Patienten. Und das ist die gesündeste Basis überhaupt und die ist hier in keiner Weise gegeben."

Rückblick: Kristinas Tumor wurde in einer Operation entfernt. Doch 6 Monate später bilden sich erneut Metastasen. Die Familie sucht den Onkologen auf, um über die weitere Therapie zu beraten. Noch hoffen Eltern und Tochter auf einen guten Ausgang. Doch der Vater hat noch nicht ganz Platz genommen, als ihnen der Arzt eine Diagnose entgegenschleudert, mit der sie nicht gerechnet hatten:

Dietmar Grutz
„Ihre Tochter wird nicht mehr gesund. Das sage ich ihnen. Ihre Tochter wird nicht mehr gesund."
KONTRASTE
„Das war der 1. Satz?"
Dietmar Grutz
„Das war der 1.Satz."

Ein Satz wie ein Todesurteil.

Dietmar Grutz
„Kristina und meine Frau, die waren ja schockiert, konsterniert und beide waren am Weinen. Meine Frau, ist klar, als Mutter, und Kristina. Ich weiß, ich meine sie hätte auch noch gesagt: ‘Dann muss ich ja sterben.’"

Das war der Familie vorher so nicht bewusst. Doch der Arzt lässt ihnen keine Zeit, den Schrecken zu verarbeiten - geht in keiner Weise auf die Angst der Tochter ein. Was er sonst noch gesagt hat - für die Familie geht es im Schock unter.

Dietmar Grutz
„Ich meine, ich bin jetzt 57 Jahre alt. Wenn sie so eine, ich habe schon viele Höhen und Tiefen in meinem Leben erlebt, aber wenn sie so eine Diagnose gestellt bekommen, für eins ihrer Kinder und auf diese Art und Weise. Da sind sie selber erstmal unten."

Was Familie Grutz erlebt hat, klingt besonders brutal. Doch es ist keine bedauerliche Ausnahme. In Internet - Blogs klagen viele Patienten darüber, dass Ärzte im Krankenhaus Gespräche abwehren.

Selbst das ist möglich: Krebsdiagnosen zwischen Tür und Angel. Oder die Aufforderung an Angehörige, die Beatmungsgeräte für ältere Menschen ausschalten zu lassen - „diese Geräte" seien "für jüngere Patienten".

KONTRASTE hat mit vielen Betroffenen Kontakt aufgenommen - aus Furcht, demnächst vielleicht wieder auf dasselbe Krankenhaus angewiesen zu sein, trauten sich einige jedoch nicht vor die Kamera.

Sie dagegen hat sich entschieden, zu reden. Angela Kapallo geht an die Öffentlichkeit Sie verlor ihren Vater. Fünf Wochen kämpfte er auf der Intensivstation um sein Leben.

Nach einer Operation an der Halswirbelsäule jagte eine Komplikation die andere. Währenddessen muss die Tochter oft stundenlang vor verschlossenen Türen warten. Sie weiß: Die Intensivstation wird abgeschirmt zum Schutze der Patienten. Dennoch fühlt sie sich dadurch ausgeschlossen:

Angela Kapallo
„Also haben wir dann immer vor dieser Metalltür gestanden und, ich weiß nicht, man wird dann kleiner. Man hat sowieso schon Angst: ‘Wie geht es meinem Vater jetzt heute? Ist es heute besser? Heute schlechter?’ Wir sitzen seit Wochen in einer Achterbahn, es geht eigentlich immer um Leben und Tod."

Das Warten draußen wäre weniger schlimm, würden die Ärzte wenigstens bei den Besuchen erklären, wie es um den Vater steht. Doch selbst bei der Visite reden die Ärzte nur über den Patienten, nicht mit ihm. Den Angehörigen werfen sie allenfalls Brocken von Informationen hin, die diese nicht verstehen können.

Angela Kapallo
"Wir haben erlebt, dass die Ärzte zum Beispiel sagen: „Nun ja, ihr Vater wird ein Pflegefall." Punkt. Was soll ich jetzt mit so einer Information anfangen? Die Information durch die Ärzte ist viel zu gering. Man hat das Gefühl, nicht nur draußen Schlange zu stehen, sondern noch viel schlimmer ist es, um ein Arztgespräch zu bitten. Man ist fast Bittsteller, kann man nicht anders sagen. Und man braucht diese Information, weil der Kranke ja auch wissen will: Was ist mit mir? Was wird mit mir gemacht? Was haben die vor? Was haben die getan? Manchmal wissen sie auch gar nicht, was mit ihnen gemacht wurde."

Wie eine Wegelagerin versucht die Tochter, den Ärzten ein Wort der Erklärung abzuringen, vielleicht auch der Unterstützung. Meistens ohne Erfolg.

Angela Kapallo
„Man befürchtet, dass der Arzt etwas vor einem etwas versteckt, etwas verbirgt, etwas nicht sagen, nicht aussprechen will. Was stattgefunden hat, ist, dass wir das Vertrauen verloren haben / und dass das sich auf meinen Vater übertragen hat.“

Die mangelnde Kommunikation zwischen Arzt, Patient und Angehörigen hält er für eine Art Behandlungsfehler: Prof. Ulrich Schwantes, Mediziner und Psychotherapeut.

Prof. Ulrich Schwantes
Mediziner und Psychotherapeut

„Was nicht wahrgenommen wird, ist die Tatsache, dass die Selbstheilungskräfte bei allen Prozessen eine ganz, ganz große Rolle spielen. Und wenn ich den Patienten mit seinen Fragen alleine lasse, mit seinen Befürchtungen alleine lasse, dann bleibt dieses genau im Raum stehen und hindert daran, dass diese Kräfte freigesetzt werden."

Schwantes hat in einer Studie 2011 die häufigsten Kommunikationsfehler von Ärzten untersucht. Er weiß: viele verweigern das Gespräch, weil sie es einfach nicht gelernt haben.

Prof. Dr. Ulrich Schwantes
Mediziner und Psychotherapeut
„Wir können alle Krankheiten auswendig, zumindest die häufigen, und dass sind dann gar nicht wenig, aber wie man mit einem anderen Menschen redet, wie man die Gefühle des andern wahrnimmt, wie man auch seine eigenen Gefühle wahrnehmen kann; dieses Training findet unzureichend statt."

Nur wenige Ärzte nehmen freiwillig an Weiterbildungen in Kommunikation teil - zum Beispiel am Seminar „Kompass" an der Universitätsklinik Köln.

Dr. Maximilian Ruge
Neurochirurg Uniklinik Köln

„Ja, das hat mich interessiert, weil ich sehr viel mit Tumorpatienten zu tun habe und auch da Diagnosen überbringen muss, die meistens keine guten Nachrichten sind. Und man denkt so, man kann das, aber in Wirklichkeit kommt man dann auch wieder an seine eigenen Grenzen, dass man sieht, das Gespräch ist jetzt nicht gut gelaufen."

Unter Anleitung von Psychologen üben hier Ärzte im Rollenspiel, wie man selbst Krebsdiagnosen so vermittelt, dass der Patient nicht unnötig schockiert wird.

Rollenspiel
„Wir können den Tumor nicht mehr behandeln, aber wir können, das was an Beschwerden auftritt, gut behandeln. Ich wünschte, ich könnte Ihnen andere Nachrichten bringen."

Weiterbildungen wie diese sind bis heute freiwillig. Die Bundesärztekammer könnte sie für alle verpflichtend machen, doch davon ist sie weit entfernt.

Auf Anfrage von KONTRASTE gibt es nur eine schriftliche Absichtserklärung: man wolle, Zitat:
„dass zukünftig alle Ärzte … obligat zusätzlich einen theoretischen Kommunikationskurs durchlaufen sollen".

Was die Ärzte aber brauchen, sind praktische Trainings, die nachhaltig wirken - und das so schnell wie möglich. Denn schon heute wollen Patienten im Krankenhaus als Menschen behandelt werden - mit umfassender Information und Zuwendung.