Babyklappe (Quelle: rbb)

- Kaum geboren - schon entsorgt: Die Babyklappe klappt nicht

Sie sollte eigentlich Leben retten. Doch die Zahl der getöteten und ausgesetzten Neugeborenen ist trotz Einführung der Babyklappe vor vier Jahren in Deutschland gleich geblieben. Stattdessen stieg die Zahl der "Findelkinder" in Deutschland sprunghaft an. Für einige Experten ist die Babyklappe schlicht ein bequemes Angebot für Eltern, die von ihren Sprösslingen genervt sind und sie in der Klappe "entsorgen". Andrea Everwien geht den Vorwürfen nach.

Frauen, die ihr Kind töten oder verlassen, sind Täterinnen aus Verzweiflung. So war sie doch mal eine richtig gute Idee: die sogenannte Babyklappe: sie erlaubte Müttern, ihre Neugeborenen anonym einem Krankenhaus zu überlassen.

Auch in Kontraste hatten wir darüber berichtet. Doch inzwischen gibt es Erfahrungen, die nachdenklich machen.

Offenbar hat die Babyklappe manche Mütter, manche Eltern erst auf die Idee gebracht: wenn die Kleinen nerven - weg damit in die Klappe. Das hat Andrea Everwien heraus gefunden.


Teltow, am Rand von Berlin. Anfang November bringt hier die 18jährige Angela L. in ihrem Elternhaus unbemerkt ein Kind zur Welt - ganz allein. Von ihrer Schwangerschaft hat niemand etwas geahnt.

Mitschülerinnen:
"Wir wissen ja gar nicht, im wievielten Monat sie war, ob sie schon richtig schwanger, ob sie das Kind schon hatte, oder ob - Man hat es ihr auch gar nicht angesehen, ich habe sie noch vor kurzem gesehen und da hat man es überhaupt nicht gemerkt."

"Engel des Schmerzes" - titelte eine Boulevardzeitung. Denn: das Kind ist tot. Unmittelbar nach der Geburt hat die junge Frau ihr Neugeborenes in einem Plastikbeutel versteckt - im Garten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt noch, ob sie das Baby getötet hat - oder ob es tot geboren wurde.

Sigrid Komor, Staatsanwaltschaft Potsdam:
"Sie sagt, es sei bereits bei der Geburt tot gewesen. Wir haben daraufhin eine Obduktion angeordnet, um das zu klären, aber die Obduktion hat bisher zumindest leider zu keinem Ergebnis geführt hinsichtlich des Todeszeitpunktes bzw. der Todesursache."

Wie allein Angela L. war, zeigt ein Internet-Chat, an dem sie sich vor der Geburt beteiligte. Heute liest er sich wie ein Hilferuf. "Engel des Schmerzes" nannte sich hier selbst. Denn sie fühle sich "allein, leer, enttäuscht, hintergangen."

Babys nannte sie "schreiende, nervige Viecher".

Dabei sollten Frauen wie Angela L. in Berlin längst Hilfe finden können. Drei Krankenhäuser in der Stadt bieten schon seit 2 Jahren Babyklappen an, eine vierte wurde soeben eröffnet.

Außerdem gibt es in mehreren Kliniken das Angebot der anonymen Entbindung. Damit die Frauen nicht sich und die Kinder durch eine einsame Geburt zuhause gefährden, verzichten die Ärzte darauf, sie nach Namen und Adresse zu fragen. Die Babys werden - genauso wie die Klappenkinder - beim Standesamt als namenlose Findelkinder gemeldet.

Caritas und Diakonie, die Einrichter der Klappen, zogen letzte Woche positive Bilanz. Sie hätten damit das Leben von 11 Neugeborenen gerettet.

Ursula Künning, Verbundprojekt Babyklappe Berlin:
"Wir gehen davon aus, dass die Kinder, die in den Babyklappen gefunden worden sind, dass das Kinder sind, die entweder ausgesetzt worden wären oder - was ja auch vorkommt - von ihren Müttern zuhause nicht versorgt worden wären."

Warum Babys so abgegeben werden, weiß freilich auch die Caritas nicht genau. Retten Babyklappen und anonyme Geburt wirklich das Leben von Kindern? Anke Rohde, Professorin an der Uniklinik Bonn, bezweifelt das. Sie erforscht seit Jahren die psychische Situation von Frauen, die ihre Kinder getötet haben.

Prof. Dr. Anke Rohde, Gynäkologische Psychosomatik, Universitätsfrauenklinik Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn:
"Das sind z.B. Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind, die sich nicht trauen, dem Partner das zu sagen, manchmal sogar sich nicht trauen, dem Ehemann das zu sagen, weil der gesagt hat, schlepp mir bloß nicht schon wieder so'n Balg an, die sich nicht trauen, irgendwo hinzugehen, einen Schwangerschaftsabbruch einzuleiten, so tun, als wenn es nicht wäre. Es vor sich und der Umgebung verbergen und die dann irgendwann von der Geburt überrascht werden. "

Diese Frauen töten ihre Kinder in Panik, in einer psychischen Ausnahmesituation. Die Angebote von anonymer Geburt und Babyklappe nehmen sie nicht wahr.

Prof. Dr. Anke Rohde, Gynäkologische Psychosomatik, Universitätsfrauenklinik Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn:
"Das heißt, diese Fälle wird es weiterhin geben. Frauen werden weiterhin - in Panik, überrascht von einer Geburt - ihr Kind zur Welt bringen. Irgendwo. Es vielleicht auch töten, es aussetzen, weil sie nicht keine andere Lösung wissen."

Die Statistik unterstützt diese Vermutung: Zwischen 1990 und 2000 fand man im Schnitt jährlich 20 bis 40 tote oder ausgesetzte Neugeborene. In den zwei Jahren nach Einführung der Babyklappe im Jahr 2000 ist diese Zahl nicht wesentlich gesunken.

Zugleich gab es aber mindestens 90 weitere Findelkinder - in die Babyklappe gelegt oder nach einer anonymen Geburt ohne Namen hinterlassen. Offenbar hat das Angebot hat eine neue Nachfrage geschaffen.

Prof. Dr. Anke Rohde, Gynäkologische Psychosomatik, Universitätsfrauenklinik Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn:
"Solche Fälle gibt es ja schon, daß Mädchen gezwungen werden, daß Frauen unter Druck gesetzt werden - vielleicht auch von einem neuen Partner, der sagt, ich will dich, aber ohne das Kind. Also: Du kannst ja dahin gehen und das Kind anonym kriegen. Und wie empfindlich Frauen für Druck in solchen Situationen sind, glaube ich, kann sich jeder vorstellen."

Auch bei den Babyklappen gibt es schon reichlich Mißbrauchsfälle. Christine Swientek, Adoptionsforscherin an der Uni Hannover, hat sie aufgelistet. Seit gut 20 Jahren begleitet sie wissenschaftlich Mütter, die ihre Kinder in einer Notsituation abgegeben haben. Swientek bezweifelt, daß es tatsächlich immer diese Frauen sind, die die Kinder in die Klappen legen.

Prof. Dr. Christine Swientek, Institut für Sonderpädagogik, Universität Hannover:
"Wie sich das in den letzten Monaten ja herausstellt, offenbar sind Babyklappen auch eine gute Entsorgung für Kinder, von denen man - das ist unsere Deutung - meint, sie sind doch recht nervig, wir haben 6 Monate alte in der Klappe, 14 Wochen alte, wir haben ein zweimonatiges in der Klappe, wir haben ein 20monatiges in der Klappe gefunden - das sind die, über die wir wissen. Wir haben in Berlin ein totes Kind in der Babyklappe gehabt - Also: Babyklappe wird auch zu einer Entsorgung."

Ernstzunehmende Bedenken. Soll man die Babyklappen also schließen?

Hamburg, eine Kindertagesstätte des Vereins Sternipark. Hier wurde vor zwei Jahren die erste Klappe der Republik eröffnet. Sie besteht nach wie vor, aber der Verein sieht die Klappe ohne zusätzliche Beratung heute eher als Notlösung an.

Vielleicht eine Alternative: dieses Haus des privaten Trägers in Norddeutschland. Hier bietet er den Frauen die Möglichkeit zur anonymen Geburt - aber verbunden mit einer diskreten, eingehenden Beratung.

Leonhard aus Leipzig wurde hier geboren. Eigentlich sollte er seine Mutter nicht kennenlernen. Sie wollte ihn heimlich zur Welt bringen und dann in ihr altes Leben zurückkehren - als wäre nichts gewesen.

Katja Krause:
"Ja, warum sollte das geheim bleiben. Erstens habe ich mich wahnsinnig geschämt. In meinem Alter, ich war damals 25, schwanger aus einem one-night-stand. Halt irgendwie. Da habe ich mich über mich selber geärgert und wie gesagt auch geschämt. Mir war das peinlich."

In Leipzig versteckte Katja ihre Schwangerschaft - 38 Wochen lang. Erst kurz vor der Geburt fand sie übers Internet die Adresse in Schleswig-Holstein. Hier, weit weg vom Druck der Familie, wurde ihr klar: sie wollte zwar nicht, daß ihre Eltern, ihr Mann und Freunde von dem Kind erfuhren - aber für ihren Sohn wollte sie dennoch dasein.

Katja Krause:
"Ich kriegte dann eben auch immer mehr solche Gedanken, daß ich eben auch für mein Kind nicht anonym bleiben will. Auch für den Fall, daß ihm was passiert. Falls nur ich ihm helfen kann, sei es durch irgendeine Organspende oder was weiß ich, was es für Umstände im Leben gibt, wo nur die Mutter helfen kann. Und dann kam über dieses Helfen kamen dann eben auch solche Gedanken dann langsam, ich werde ihn nie trösten können, wenn's ganz schlimm ist. - Ach, es ist schlimm."

Katja entschloß sich dann doch, ihren Sohn zu behalten. Heute ist er das Wichtigste in ihrem Leben.

Wie Katja ging es in den letzten beiden Jahren den meisten Frauen, die hier entbunden haben. Sie nahmen ihre Kinder mit nach Hause, obwohl sie ursprünglich zu einer anonymen Geburt hierher gekommen waren.

Heidi Kaiser, Geschäftsführerin Sternipark e.V.:
"Wir können uns ein Modell vorstellen, wo die Mutter - ihre Personendaten - bei dem Standesamt gemeldet sind, wo das Kind geboren wird, diese Daten aber von dem Standesamt nicht an den Wohnort der Mutter weitergegeben werden."

Diskretion und Beratung statt Ex und Hopp in die Klappe - das ist sicher die menschlichere Lösung für die Mütter und für ihre Kinder.