Neue Medikamente in der Schmerzterapie (Quelle: rbb)

- Moderne Schmerztherapie contra Betäubungsmittelgesetz

Acht Millionen Patienten leiden in Deutschland dauerhaft an Schmerzen. Jedes Jahr begehen deshalb 4000 Menschen Selbstmord. Ihnen könnte durch regelmäßige Morphiumgaben geholfen werden. Aber: die deutsche Drogenpolitik verhindert dies.

Etwa 11 Millionen Deutsche von 18 Jahren an aufwärts leiden unter chronischen Schmerzen. Für viele ist der Schmerz unendlich und er wird deshalb unerträglich, so daß der Selbstmord als einziger Ausweg erscheint. Das Groteske aber in diesem Lande: die Mittel sind vorhanden, um die Schmerzen zu lindern, sie auch zu beseitigen, aber diese Mittel werden entweder gar nicht oder zu wenig angewandt. Warum müssen Krebspatienten, Rheumakranke, Aidskranke und andere leiden? Darauf antwortet der Bericht von Tina Soliman.


Elke Czorrnyi
"Wenn ich gegangen bin, nur unter äußersten Schmerzen und ganz krumm, und jeder Schritt war wirklich nur eine Qual."
"Man war total verkrampft - man hat versucht, gegen den Schmerz anzukämpfen, aber man kam nicht durch."

Elke Czorrnyj ist 48 Jahre alt.
Wegen extremer Schmerzen in der Wirbelsäule mußte sie sich 12 Operationen unterziehen, dabei sind chronische Schmerzen nur ganz selten operativ zu beseitigen. Vor 7 Jahren entließen sie die Ärtze dann auch mit den Worten: "wir können nichts mehr für Sie tun".

Elke Ciornjys Odyssee durch Kliniken und Praxen ist typisch für den Leidensweg schmerzkranker Patienten in Deutschland. Acht Millionen sind betroffen.
Vom Neurochirurgen zum Wunderheiler - alles wird versucht, um die Pein zu besiegen. Die Krankengeschichte der Patienten dauert im Schnitt 10 Jahre, 10 Ärzte werden konsultiert. Drei Kliniken sieht der Patient in dieser Zeit von innen - alles ohne Erfolg.
4000 Selbstmorde - jährlich - chronischer Schmerzkranker. Verzweifelte Menschen in scheinbar auswegloser Situation - und dabei ginge es so einfach. Die Medizin ist zwar nicht in der Lage, alle Krankheiten zu heilen, aber in 95 Prozent aller Fälle kann sie die Schmerzen massiv lindern.

Prof. Michael Zens, Schmerzspezialist/Bochum
"Mit den verfügbaren wenigen Medikamenten - aber unverzichtbar Morphin - können wir fast alle Patienten schmerzfrei machen."

Seit vier Jahren nimmt Elke Czorny Morphium gegen die starken Schmerzen. Die Dosis: unverändert.

Elke Czorrnyi
"Seitdem ich das nehme, fühle ich mich wieder als Mensch. Ich kann an vielem wieder teilnehmen, woran ich früher nicht teilnehmen konnte."

Zuvor aber wollte ihr kein Arzt das Opiat verschreiben.
Morphium wird in Deutschland zu selten, zu spät und zu niedrig verordnet, weil die Ärtze nicht wissen, daß und wie man mit Opiaten umgehen kann.
Opfer der Unwissenheit und Ignoranz: die Patienten.

Elke Czorrnyi
"Ich war im letzten Jahr wieder in der Klinik, wegen einer anderen Geschichte, und habe da erwähnt, daß ich auf Morphium eingestellt bin. Da hat man die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und hat gesagt: Was soviel Morphium: Sie sind abhängig, Sie sind süchtig - das von den Ärzten."

Prof. Michael Zens, Schmerzspezialist/Bochum
"Wir haben ja alle relativ große Angst vor Morphin und wenn wir uns anschauen, was an harten Daten dazu vorliegt, dann bleibt bisher eine alte Aussage von mir unwidersprochen, daß Morphin von allen 250 als essentiell von der WHO betrachteten Medikamenten die sicherste Substanz überhaupt ist."

Morphium verträgt sich sehr gut mit anderen Medikamenten und hat kaum Nebenwirkungen. Die Suchtgefahr: bei korrekter Verordnung gleich Null.

Prof. Michael Zens
" Ich weiß, der Schmerz ist da, und gebe das Medikament, bevor der Schmerz voll durchkommt und habe dadurch eine 24stündige Schmerzlinderung, die dann bei den Patienten den Wunsch nach weiterer Einnahme gar nicht aufkommen läßt, weil er ist schmerzfrei."

Deshalb empfielt die Weltgesundheitsorganisation in einem Stufenschema bei schweren Schmerzen Morphium. Alles ist erlaubt,was die Schmerzen beseitigt, z.B. Opiate in höchster Dosierung - die Empfehlungen der WHO finden in Deutschland jedoch kein Gehör.
Zwar vereinfachte der Gesetzgeber zum 1.Februar die Verschreibung von Morphium - doch das Spezialrezept ist geblieben.
Nach wie vor ist Morphium per Gesetz ein Betäubungs- und kein Schmerzmittel. Ärzte und Drogendealer, Schmerzpatienten und Süchtige werden in einem Paragraphen zusammengeschnürt - die Folgen sind fatal.

Der 70jährige Johannes Fuchs litt viele Jahre unter den Folgen einer Kriegsverletzung.

Johannes Fuchs
"Ich war einverstanden damit, daß man mir den Arm amputiert, aus dem einfachen Grund: Ich wollte ja schmerzfrei werden. Die Operation ging glatt, es ist nichts passiert. Ich war nach neun Tagen wieder zuhause, und dann hat sich herausgestellt, daß das gar nicht besser geworden ist - im Gegenteil: Es kam noch ein neuer Schmerz dazu: Der Phantomschmerz, mit dem hatte ich vorher nichts zu tun, aber jetzt hatte ich ihn, in aller Deutlichkeit."

Dr. Thomas Flöter, Deutsche Schmerzliga
" Er ist als Einarmiger mächtig behindert, und das Morphin hilft ihm jetzt, aber man hätte viel Leid von ihm abwenden können...."

KONTRASTE
"Also man hätte vermeiden können, daß der Arm amputiert wird?

Flöter
"Ja, sicher".

Seit 15 Jahren nimmt Johannes Fuchs Morphium - die Dosis hat sich vom ersten Tag an nicht verändert - sein Leben dagegen sehr.

Johannes Fuchs
"Das Morphium ist der Inhalt meines Lebens im Augenblick und zwar aus dem Grund, weil es mich schmerzfrei macht, bzw die Schmerzen soweit reduziert, daß ich leben kann damit."

"Gesundheit ist subjektives Wohlbefinden", so die Weltgesundheitsorganisation.. Doch wenn es um Drogen als Medizin geht, ist der Gesetzgeber unnachgiebig - dabei können Drogen als Therapeutikum von unschätzbarem Wert sein.
Beispiel: Cannabis

Prof. Robert Gorter, Institut für onkologische und immunologische Forschung
"Natürlich ist das beste Schmerzmittel, was wir haben, immer noch Morphin, aber auch Cannabis spielt eine deutliche Rolle. Ich kenne viele Patienten mit chronischen Schmerzen, die z.B. auch im Rollstuhl sind, mit einer Querschnittlähmung oder Gliedschmerzen oder starke Kopfschmerzen und Migräne - wo Cannabis einen starken lindernden Effekt hat. Zweitens hat es eine antspastische Wirkung, d.h. daß Patienten mit MS oder Parkinson eindeutig Nutzen davon haben."

So wie Michael Boos, er leidet unter Multipler Sklerose.
Sämtliche muskelentspannenden Medikamente haben ihm nicht geholfen, seine schmerzhaften Spasmen in den Griff zu bekommen - bis er Cannabis entdeckte. Joints will er keine rauchen, deshalb besorgt er sich Cannabis-Tropfen aus Holland.
Boos zeigt die Wirkung in einem Selbstversuch. Drei Tage lang verzichtete er freiwillig für uns auf seine Tinktur.

Michael Boos
"So wie ich jetzt vor Ihnen sitze, tut mir von der Fußsohle bis zum Hintern alles weh, meine Muskulatur ist innerlich am Vibrieren, und körperlich geht es mir nicht gut. Ich mach das aber, damit die Leute mal sehen können, wie es ist ohne und nachher sehen können, wie positiv Cannabis für Kranke wirkt.
Jeder Positionswechsel, den ich ohne meine Tropfen vornehmen muß, löst diese Attacken aus, und die Mediziner sagen, das ist ein unerschütterlicher Klonus, das macht einen einfach fertig, und wenn man dann alleine ist und keine Hilfe hat, ist man erledigt."

Jetzt will Michael Boos uns zeigen, wie seine Cannabis-Tropfen wirken.
Nach zwei Minuten:

Michael Boos
"Vorhin wären sie explodiert - das ist auch Selbstimmung, wenn man sich entscheiden kann, wie setze ich mich. Das hört sich zwar blöd an - für Gesunde ist das wohl ein Klacks, aber für mich ist das grandios."

Michael Boos will die Absurdität, die hinter dem gesetzlichem Verbot steht, am eigenen Körper veranschaulichen.
Der Gesetzgeber jedoch bleibt hart.

Helmut Butke, Bundesministerium für Gesundheit
"Es wäre unverantwortlich, Cannabis als Arzneimittel zuzulassen".

KONTRASTE
"Aber ist es nicht unverantwortlich, die Menschen leiden zu lassen?"

Butke
"Niemand läßt die Menschen leiden - Sie können nicht irgendeinen unkontrollierten Stoff zur Verfügung stellen - mit staatlicher Billigung."

Michael Boos
"Ich möchte den Leuten mal 24 Stunden in meinem Leben geben. Ich denke, dann wäre das Thema durch."

Seit 1.Februar ist synthetisches THC - der Hauptwirkstoff des Cannabis erlaubt, allerdings: Das teure US-Medikament - ist hier kaum erhältlich.

Dr. Thomas Flöter, Deutsche Schmerzliga
"Fakt ist: ich versuche seit acht Wochen schon das für eine Patientin zu finden. Die Apotheke hat das mit großem Elan weitergegeben, holt sich hier an den verschiedenen Stellen Genehmigungen und jetzt hängt das an der FDA, aus USA muß das importiert werden, die geben keine Exportgenehmigung. Es ist also alles Quatsch, was der Gesetzgeber da gemacht hat, so ein Präparat zuzulassen, was aber überhaupt nicht erhältlich ist - das steht auf dem Papier - das ist gar nicht zu kriegen."

Hinzu kommt: Das Marinol ist teuer: 200-300 Mark am Tag kostet die Behandlung mit dem synthetischen THC - dagegen zahlt Boos für seine Cannabis-Tropfen 20 Pfennig am Tag.

Die Krankenkassen wollen das teure Präparat nicht finanzieren. Und selbst wenn ein Patient diese Hindernisse überwindet - dann hat der Gesetzgeber eine weitere Schranke aufgebaut: Die Dosis wurde so limitiert, das eine wirksame Behandlung mit Marinol nicht möglich ist.

Dr. Ulrike Hagenbach, Zentrum f. Querschnittgelähmte und Hirnverletzte, Basel
"Die Freigabe von 500 Milligramm THC pro Monat ist aus meiner Sicht für den Patienten sinnlos, weil sie ihm nicht eine ausreichende Therapie über den gesamten Monat erlaubt."

In Basel erforschen jetzt Wissenschaftler ob das wesentlich günstigere - doch illegale - Naturcannabis - nicht sogar das wirkungsvollere Medikament ist.

Dr. Ulrike Hagenbach, Zentrum f. Querschnittgelähmte und Hirnverletzte, Basel
"Was wir jetzt ganz sicherlich vom Trend sagen können, ist, daß es zu einer deutlichen Reduktion der Spastik kommen kann, daß es zu einer sehr guten Schmerzdämpfung kommen kann und daß es als Nebeneffekt auch eine Stimmungsaufhellung mit sich bringen kann, die aber ganz sicherlich keinem Rauschzustand entspricht."

Dennoch werden Patienten, die sich illegal mit Cannabis versorgen vom Gesetzgeber diskriminiert. Wenn sie beim Straftatbestand der Schmerzbekämpfung erwischt werden droht eine Geldstrafe - wiederholt sich die Tat muß der Schmerzgeplagte gar in den Knast.

Dr. Ulrike Hagenbach, Zentrum f. Querschnittgelähmte und Hirnverletzte, Basel
"Es hat immer noch keine Trennung zwischen der politischen Ebene und der medizinischen Ebene stattgefunden. Und wir als Mediziner müssen dafür appellieren, daß diese Heilpflanze sowohl der Forschung als auch in der Therapie zur Verfügung gestellt wird und politische Aspekte eigentlich herausgehalten werden müssen."

Jeder Mensch hat Anspruch auf eine ausreichende Behandlung seiner Erkrankung - so steht es im Sozialgesetzbuch.
Doch: Wirtschaftliche Interessen der Pharmaindustrie - mit Naturcannabis kann man kein Geld verdienen, denn darauf gibt es kein Patent - aber auch politische Ignoranz und ärtzliches Versagen verhindern seit Jahren eine wirksame und humane Schmerztherapie in Deutschland. Chronische Schmerzen?
In diesem Land ein chronischer Skandal!



Die neue rot-grüne Bundesregierung will ärztlich kontrolliert schwerstabhängige Rauschgiftsüchtige mit Heroin versorgen. Das Feld aber, das es zu beackern gilt, ist, wie gezeigt, viel größer. Notwendig ist statt über das Für und Wider der Euthanasie zu debattieren, das Betäubungsmittelrecht grundlegend zu reformieren. Sinnloses Leiden zu ertragen, ist keine Tugend, es ist eine Qual.