- Risikante Medizinprodukte - kaum Kontrolle, wenig Sicherheit

Ob künstliche Hüften oder Bandscheibenprothesen - die Hersteller versprechen den Patienten ein beschwerdefreies Leben. Doch wegen Schwachstellen bei der Zulassung kann die Industrie im Grunde selbst über Tests an ihren Produkten entscheiden. Die Folge: Es kommt immer wieder zu Rückrufaktionen mit zum Teil dramatischem Ausgang für die Patienten. Eine staatliche Kontrolle findet kaum statt.

Jetzt zu einem Thema, das den deutschen Gesundheitsmarkt und viele Patienten betrifft: Risiko Implantate. Nehmen wir mal an, Sie brauchen ein künstliches Hüftgelenk, dann erwarten Sie, dass hohe Sicherheitsstandards herrschen, und kein Medizinprodukt auf den Markt kommt, das eine Gefahr darstellt. Die Realität sieht leider anders aus. Der Patient erfährt nicht einmal, welches Implantat schon öfter versagt hat und warum. Er kann sich vor einer Operation nicht informieren- anders als bei Medikamenten, wo ein Beipackzettel über Risiken und Nebenwirkungen aufklären muss. Caroline Walter und Andrea Böll über ein System mit Fehlern.

Dieses kleine Teil sollte Ines Starke endlich von ihren Schmerzen im Nacken befreien - die Bandscheibenprothese „Galileo". Frau Starke folgte dem Rat ihrer Ärzte und ließ sich das Implantat einsetzen. Doch dann der Schock: Der Hersteller ruft „Galileo" zurück, alle Patienten sollten sich die Prothese schnell wieder heraus operieren lassen. Denn durch sie drohe das Risiko einer Querschnittlähmung.

Ines Starke
„Ich kann mir wirklich wie ein Versuchskaninchen vor. So nach dem Motto: Wir bauen mal ein und gucken mal, was passiert. So kam ich mir vor. Aber die Folgen, die Konsequenzen, die trage ich allein, die trägt nicht der Hersteller, damit muss ich jetzt leben und das erzeugt in mir sehr viel Wut."

Die Prothese „Galileo" war nicht stabil. Sie hätte sich verschieben und dadurch Nerven und Rückenmark schwer verletzen können. Solange die Prothese noch in ihrem Hals war, fürchtete Ines Starke, dass sie bei einer falschen Bewegung im Rollstuhl landet. Sie musste erneut eine riskante Operation durchstehen, um das fehlerhafte Implantat loszuwerden. Mit den Folgen kämpft sie jetzt. Sie kann sich kaum bewegen, hat massive Schluckbeschwerden und extrem abgenommen, weil sie nur Nahrung in Breiform essen kann.

Ines Starke
„Ich bin wirklich davon ausgegangen, dass ein Produkt, ein medizinisches Produkt, das in einen Menschen implantiert wird, auch das hält, was es verspricht. Und dass es geeignet ist, um in einen Menschen implantiert zu werden. Dieser Rückruf war für mich völlig unfassbar."

Die Firma Signus, Hersteller von „Galileo", hat vermutlich eine fehlerhafte Konstruktion auf den Markt gebracht. In ihrem Rückruf teilt Signus mit, sie habe nach einem Vorfall nun weitere Untersuchungen gemacht, mit dem Ergebnis:

Zitat
„…die Testserien belegen leider nicht die erwartete Dauerfestigkeit der Prothese…"

Tests, die erst erfolgten, nachdem Galileo bereits bei etlichen Patienten implantiert war. Auf unsere Anfrage antwortet die Firma: Man hätte das Produkt vorher ausreichend geprüft. Im Übrigen gäbe es keine vorgeschriebenen Tests für Halswirbelprothesen. Eigene klinische Studien wurden nicht durchgeführt.

Ines Starke muss jetzt auch noch darum kämpfen, eine angemessene Entschädigung vom Hersteller zu bekommen. Ob sie jemals wieder arbeiten kann, ist ungewiss.

Rückrufe von gefährlichen Implantaten sind keine Seltenheit. Obwohl zertifiziert und zugelassen, brechen Hüftprothesen, versagen Herzschrittmacher, oder klemmen Herzkatheter.

Um ein Medizinprodukt auf den Markt zu bringen, braucht der Hersteller ein CE-Kennzeichen als Zulassung. Um das zu bekommen, muss er Unterlagen bei so genannten Zertifizierern einreichen. In Deutschland sind das beispielsweise TÜV oder Dekra.

Doch während ein Auto immer vorgeführt werden muss, ein Fachmann es genau unter die Lupe nimmt, an losen Teilen rüttelt und die TÜV-Plakette nur erteilt, wenn das Fahrzeug verkehrssicher ist - wird ein Implantat fast nie vom Zertifizierer selbst getestet. Es werden lediglich die Unterlagen begutachtet, die der Hersteller einreicht. Eigene Material- oder Belastungstests finden meist nicht statt.

Dass vor allem auf die „Eigenverantwortung der Hersteller" gesetzt wird, hält Patientenanwalt Jörg Heynemann für eine Schwachstelle. Er vertritt seit Jahren Opfer fehlerhafter Implantate.

Jörg Heynemann, Patientenanwalt
„Die Produktsicherheit der Medizinprodukte ist nach wie vor nicht ausreichend. Die Zertifizierungsverfahren sind zu lasch, man bekommt relativ leicht ein CE-Zertifikat. Dieses Zertifikat reicht aber nicht aus, um die Sicherheit zu gewährleisten, die ein solches Produkt erfordert."

Dazu kommt: Der Hersteller kann frei wählen, wo er ein Medizinprodukt zertifizieren lässt - er kann sich ein beliebiges Land der EU aussuchen. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen sieht darin ein Problem.

Ann Marini, GKV-Spitzenverband
„Wir haben Hinweise, dass der Hersteller durchaus guckt, wo bekommt er relativ schnell einen Marktzugang mit seinem Produkt und dementsprechend natürlich sich auch orientiert. Also, sich genau anguckt wo geht er hin, ob dass Luxemburg, Ungarn oder Deutschland ist für ihn relevant, weil da unterschiedlich schnell gearbeitet wird. Und wir müssen konstatieren: Dabei bleibt oft die Patientensicherheit auf der Strecke."

Doch noch gravierender: Die Kontrolle der Hersteller und ihrer Medizinprodukte in Europa ist mangelhaft - sie ist weder einheitlich noch konsequent. Die EU-Kommission hat schon vor zwei Jahren in einer Anhörung festgestellt: Es „verfügen nicht alle Mitgliedstaaten über die erforderlichen Mittel zur Überwachung des Marktes." Das könne zur „Gefahr für Gesundheit und Sicherheit von Patienten" werden. Aber viel passiert ist bislang nicht.

In Deutschland sieht es nicht besser aus - die Überwachung liegt in vielen Händen, vor allem auf kommunaler Ebene. Wir sind in Hannover. Hier ist das Gewerbeaufsichtsamt für die Kontrolle zuständig.

Uwe Licht-Klagge, Gewerbeaufsichtsamt Hannover
„Wir haben in Niedersachsen keine Stelle, die zum Beispiel ein Hüftimplantat physikalisch untersuchen könnte."
KONTRASTE
„Das heißt, das wird nicht noch einmal in ein Labor gegeben, um zu sehen: Taugt das etwas, hält es eine bestimmte Belastung, die angegeben wurde, aus?“
Uwe Licht-Klagge, Gewerbeaufsichtsamt Hannover
„Nein, das ist in der Überwachung nicht vorgesehen."

Für Lichterketten oder Teddybären sind Tests in Laboren dagegen vorgesehen.
Wenn es um Medizinprodukte geht, verlässt sich die Behörde auf die Zertifizierung, das CE-Siegel.

Wie problematisch das sein kann, zeigt ein aktueller Fall. Die Firma Batu Medical hat sterile chirurgische Instrumente - wie diese - an Kliniken geliefert, mit - so der Verdacht - gefälschtem CE-Kennzeichen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Uwe Licht-Klagge, Gewerbeaufsichtsamt Hannover
„Für sterile Produkte ist eine Zertifizierung notwendig. Da die Zertifizierung nicht nachgewiesen ist, können wir nicht für die Sterilität gerade stehen und damit könnten von diesen Produkten Infektionsrisiken ausgehen."

Weil eine systematische Überwachung in Europa nicht stattfindet, werden immer wieder Patienten gefährdet.

Das musste auch Familie Schmidt schmerzlich erfahren. Sie hat ihren Vater verloren. Rudolf Schmidt wurde eine Hüftprothese eingebaut. Sie sollte ihn mobiler machen. Am Ende war sie sein Verhängnis. Die Prothese brach, während er im Garten stand. Er kam ins Krankenhaus, wurde operiert, es gab Komplikationen - Schlaganfall, Lungenentzündung.

Tochter von Rudolf Schmidt
„Es hätte nicht sein müssen, er hätte heute noch leben können. Das ist eigentlich irgendwie unbegreiflich, dass man wegen einer künstlichen Hüfte, durch so eine OP, daran sterben kann."

Die Hüftprothese „Varicon" von Falcon Medical war offenbar fehlerhaft. Bei vielen Patienten ist sie gebrochen. Der Hersteller musste sie zurückrufen. Material und Konstruktion wiesen von Anfang an Schwächen auf - das besagen jedenfalls Gutachten, die Patientenanwalt Jörg Heynemann in Auftrag gegeben hat.

Jörg Heynemann, Patientenanwalt
„Wenn man sich diese Brüche dieser Prothese anschaut, kann man überhaupt nicht nachvollziehen, dass so ein Produkt überhaupt zertifiziert wurde und auf den Markt gekommen ist. Die Brüche sind bei jeder Prothese identisch und es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, dass das im Zertifizierungsverfahren nicht nachgewiesen werden konnte, angeblich nicht nachgewiesen werden konnte."

Der Hersteller Falcon Medical will uns kein Interview geben. Familie Schmidt kämpft darum, dass sich nach dem Tod ihres Vaters etwas am System verändert.

Sohn von Rudolf Schmidt
„Uns wäre wichtig, dass der Staat sich vielleicht dahinter klemmt, damit die Produkte besser getestet werden und im Endeffekt so was nicht mehr passieren kann!"

Das fanden wir auch und haben beim Bundesgesundheitsministerium nachgefragt. Dort teilte man uns mit: Man dringe auf mehr Verbindlichkeit in der Überwachung auf europäischer Ebene. Aber bis da aber etwas passiert, können noch Jahre vergehen.


Beitrag von Caroline Walter