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- Risiko Altenpflege - zu wenig Arbeitskräfte für immer mehr Pflegebedürftige

Die Anzahl pflegebedürftiger älterer Menschen in Deutschland wächst rapide. Ambulante und stationäre Pflegedienste suchen händeringend qualifiziertes Personal. Doch immer weniger junge Menschen entscheiden sich für diesen Beruf.

Es gibt Themen, die wir gerne verdrängen, dabei müssten längst unsere Alarmglocken schrillen: der Pflegenotstand in Deutschland ist so ein Thema. - Sicher kennen auch Sie einen älteren Menschen im Familien- oder Bekanntenkreis, der auf Pflege angewiesen ist. Doch dass es die Altenpflege in der bisherigen Form auch weiterhin geben wird, ist keineswegs sicher. Im Gegenteil: Pflegedienste suchen händeringend qualifiziertes Personal. Aber immer weniger junge Menschen entscheiden sich für diesen Beruf. Axel Svehla.

Wenn die 89jährige Anne Marie Kirmse zu Hause zweimal täglich von ihrer Pflegerin besucht wird, bedeutet das ein Stück zurück gewonnene Lebensqualität.

Anne Marie Kirmse
„Wenn dieses nicht wäre, das könnt ich nicht mehr. Ich komm unten nicht an. Und so ist das Anziehen und das Ausziehen sehr viel Wert. Ich käme sonst nicht klar, also ich hab niemanden mehr. Und es klappt ja alles so gut, nicht?“

Frau Kirmse ist eine von 2,2 Millionen Menschen in Deutschland, die in unterschiedlichem Maße pflegebedürftig sind. Immer mehr von ihnen sind chronisch krank.

Während die Gesamtbevölkerung abnimmt, nimmt die Zahl der Alten und der Pflegebedürftigen dramatisch zu. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl nahezu verdoppeln. Sie steigt auf 4,4 Millionen an.

Früher wurden die Alten durch ein enges Netz aus Großfamilie und Nachbarschaft aufgefangen – heute sind diese traditionellen Strukturen vielfach zerstört. Auf dem Land bleiben die Alten zurück, die Jungen zieht es in die Städte. Hier boomen die Singlehaushalte.

Weil Kinder für ihre alten Eltern nicht mehr sorgen können oder wollen, müssen immer mehr qualifizierte Altenpfleger diese Lücke füllen. Sie haben alle Hände voll zu tun.

Susanne Lenz, ambulante Altenpflegerin
„Wenn ich jetzt den Spätdienst fahre, dann sind circa 12 bis 14 Patienten und macht einen Zeitraum aus von quasi 6 Stunden. Da sind dann auch die Fahrzeiten dabei, teilweise kurze und längere Einsätze.“
Anne Marie Kirmse
„Ist doch gut, dass es so was gibt, nicht?“

Qualifizierte Altenpfleger sind Mangelware. Die Chefin von Frau Lenz würde gerne mehr Personal beschäftigen – aber alle Stellenanzeigen blieben ohne Resonanz.

Beate Clasen, Aktiv Leben GmbH
„Es ist jetzt schon so, dass man zunehmend merkt, dass es immer mehr pflegebedürftige Menschen gibt, und auf der anderen Seite ist der Markt der examinierten Pflegekräfte leer, Sie finden kein Fachpersonal.“

Michael Isfort, Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung
„Was auf uns zukommt ist sicherlich, dass die Pflegebedürftigkeit eines der zentralsten Probleme unserer Gesellschaft werden wird. Das Problem der Zukunft heißt nicht Arbeitslosigkeit, sondern heißt Bewältigung von Pflegebedürftigkeit.“

Tatsächlich ist Altenpflege ein Knochenjob: körperlich anstrengend, psychisch extrem belastend und verbunden mit hoher, persönlicher Verantwortung – das steht nicht jeder durch.

Vor einem Monat in Berlin: Nur wenige Altenpfleger und Auszubildende protestieren öffentlich gegen ihre Arbeitsbedingungen, unter denen nicht nur sie, sondern vor allem die Patienten leiden.

Demonstrantin
„Ich finde wir sind eigentlich schon da, wo das Horrorszenario beginnt, das Personal ist überlastet, die Bewohner werden nicht mehr ordentlich versorgt – ich möchte heutzutage in keinem Altenpflegeheim unterkommen müssen.“

Eine Altenpflegeschule in Bernau bei Berlin. Hier haben sich Jugendliche für die 3 jährige Ausbildung als Pflegefachkraft entschieden. Dafür bekommen sie zwischen 350 – 700 €. Und auch im Beruf werden sie später kaum mehr als 1.500 € brutto verdienen. Doch anderes war für ihre Berufswahl entscheidend.

Auszubildende
„Ich mag das, mit Menschen umzugehen und bereite ihnen gerne mal ne Freude, finde ich einfach gut.“

Diese Jugendlichen wollen nicht, wie die meisten, Bankkauffrau oder Kfz-Mechaniker werden. Die Pflege ist ihnen eine Herzensangelegenheit. Dafür absolvieren sie eine hochkomplexe Ausbildung, vergleichbar mit der Qualifikation einer Krankenschwester.

Ein erfolgreicher Abschluss garantiert sogar einen krisenfesten Job. Doch obwohl das Niveau der Ausbildung steigt und endlich auch ein gesetzlicher Mindestlohn für diese Branche diskutiert wird – die Anzahl der Ausbildungsplätze geht bundesweit zurück. Sie sinkt ständig, eine Trendwende ist nicht absehbar.

Für diesen Rückgang gibt es einen einfachen Grund: Im privatisierten Gesundheitswesen lohnt es sich für Pflegedienste oder Altenheime kurzfristig nicht, junge Menschen für die qualifizierte Pflege auszubilden. Denn die Kosten dafür müssen sie selber tragen und verteuern damit ihre Pflegepreise. So hält es auch der Hamburger Pflegedienst. Er sucht Arbeitskräfte, aber keine Auszubildenden – denn die bedeuten zusätzliche Kosten, …

Beate Clasen, Aktiv Leben GmbH
„... was aber bedeutet, dass die Konkurrenz, die nicht ausbildet, für niedrigere Sätze die Pflege anbieten kann. Es ist so, der Bäcker verkauft seine Brötchen auch nicht für 3 Cent teurer nur weil er ausbildet, da geht man auch zum Bäcker nebenan und kauft da das billigere Brötchen und von daher ist die Konkurrenzsituation schwierig, wer ausbildet steht im Markt schlechter da.“

Eine absurde Situation, die den Pflegenotstand weiter verschärft. Dabei haben Pflegeexperten längst sinnvolle Alternativen vorgeschlagen: zum Beispiel die Steuerfinanzierung der Ausbildung durch den Bund.

Doch vergeblich. Denn die Hoheit für die Altenpflege-Ausbildung liegt bei den einzelnen Bundesländern – so will es der Föderalismus.

Michael Isfort, Deutsches Institut für Pflegeforschung
„Die Ärzte werden an Universitäten ausgebildet und damit ist es eine staatliche Aufgabe, die Universitätsplätze zu finanzieren und auch sicherzustellen. Bei Pflegekräften ist es nicht so, dort gibt es eben Landesrecht und kein Bundesrecht. Deswegen haben wir keine nationale Sicherstellung der zukünftigen Aufgaben und daran fehlt es allemal.“

Doch die politisch Verantwortlichen spielen das Problem herunter. Interviews mit KONTRASTE lehnen sie ab, stattdessen lassen sie schriftlich mitteilen, Zitat:
„Die Bürgerinnen und Bürgerkönnen davon ausgehen, dass sie ( … ) eine angemessene Pflege erhalten.“

Ignoranz auf höchster Ebene. Dabei drängt die Zeit, den Pflegenotstand abzuwenden.

Beitrag von Axel Svehla