Schwangerschaftstest, Quelle: rbb

- Pränataldiagnostik: Wie weit darf Technik gehen?

Die Zahl der Spätgebärenden steigt und damit die Zahl der so genannten Risikoschwangerschaften. Bislang waren die Tests riskant, Fruchtwasseruntersuchungen führten immer wieder zu Frühgeburten. Doch die neuen Bluttests sind einfach und ungefährlich. Kritiker fürchten eine Gesellschaft, in der Behinderte noch weiter an den Rand gedrängt werden.

Wann haben Sie das letzte Mal ein Kind mit Down-Syndrom gesehen? Haben Sie sich schon mal gefragt, warum es immer weniger werden? Die Antwort ist einfach: Ungeborene, die das Down-Syndrom haben, werden immer häufiger abgetrieben. Für die Eltern keine einfache Entscheidung, wahrlich nicht. Bald jedoch könnten noch weniger Kinder mit dem Down-Syndrom auf die Welt kommen. Ein einfacher Bluttest machts möglich. Die Folgen: erst keine Kinder mit Down-Syndrom mehr, dann vielleicht keine Dicken, keine Zappligen.

Diana Voigt auf dem Weg in eine Leipziger Praxis für Pränatalmedizin. Sie erwartet ein Kind und sorgt sich um Trisomie 21, das sogenannte Down-Syndrom. Vor einem Jahr war sie schon einmal schwanger. Damals hatte das ungeborene Kind das Down Syndrom. Weil zugleich auch mehrere Organe geschädigt waren, entschloss sie sich - nach langem Überlegen - zu einem Abbruch:
 
Diana Voigt
"Es wird immer die Diskussion darüber geben: Sind das Mörder, kann man das Kind nicht einfach leben lassen? Aber die Entscheidung muss jeder für sich selbst ausmachen. Wir haben damals uns entschieden, das Kind gehen zu lassen, weil eben halt noch weitere Auffälligkeiten waren und die Frage war, ob das Kind überhaupt die Schwangerschaft bis zum Ende durchhält bzw. direkt unmittelbar nach der Geburt vielleicht sogar stirbt“.

Diana Voigt ist der Entschluss damals sehr schwer gefallen.
 
Diana Voigt
„Es hängt sehr viel dran, es hängt das Leben des Kindes dran, es hängt das Leben der Familie dran und die Entscheidung kann nur jeder für sich selber treffen.“

Bei der jetzigen Schwangerschaft findet ihr Arzt nichts Beunruhigendes im Ultraschall. Selbst wenn sich die 38-jährige einen erneuten Abbruch nicht mehr vorstellen kann – Diana Voigt will möglichst große Gewissheit, was sie erwartet.
Deshalb entscheidet sie sich zusätzlich für einen neuartigen Gentest. Eine ganz normale Blutabnahme reicht dafür aus.

Die neue Technologie findet schon ab der neunten Schwangerschaftswoche Abweichungen beim Ungeborenen. Und zwar anhand von Zellen des Kindes, die über die Nabelschnur in das Blut der Mutter gelangen. Nach einer Analyse von Bruchstücken der DNA lässt sich mit fast 100-prozentiger Sicherheit vorhersagen, ob wirklich eine Trisomie vorliegt.

Diana Voigt
„Ich finde diesen Test gut, damit ich jetzt Sicherheit habe, egal in welche Richtung, relative Sicherheit. Egal ob ich mich jetzt freuen kann bis zum Ende oder ob ich sage, ok, ich muss mich auf andere Sachen einrichten. Solange ich weiß, die Organe sind wahrscheinlich nicht betroffen, denke ich schon, dass ich das Kind austragen würde. – Frage: Auch wenn Sie wüssten, es gibt eine Schädigung in Richtung Down-Syndrom? – Ja doch. Dann würde ich es sicherlich machen lassen, also sicherlich weiter austragen.“

Mit diesem Vorsatz ist Diana Voigt eine Ausnahme. Fast immer folgt auf die Diagnose Trisomie eine Abtreibung.

Der ehemalige Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, kritisiert den neuen, einfachen Gentest deshalb scharf. Er sieht darin eine Diskriminierung Behinderter.

Hubert Hüppe, CDU, Bundestagsabgeordneter    
„Menschen mit Down-Syndrom sollen aussortiert werden, sie sollen erkannt werden, das Ergebnis wird weitergesagt und hat fast immer zur Folge, dass sie abgetrieben werden. Also es ist ein weiterer Schritt zu einer Verdichtung der Fahndung, also der Rasterfahndung, so habe ich es mal genannt, nach behinderten Kindern.“

Rasterfahndung nach behinderten Kindern? Doch wer kann es künftigen Eltern verwehren, wenn sie wissen wollen, was auf sie zukommt? Und wer will eine Frau zwingen, ein behindertes Kind auszutragen?

Die Suche nach Fehlbildungen und Trisomien ist schon lange Alltag in der vorgeburtlichen Medizin. Endgültige Gewissheit über einen Gendefekt bringt jedoch nur eine Fruchtwasseruntersuchung. Der Eingriff hat aber Risiken. In jedem hundertsten Fall kommt es zu einer Fehlgeburt.

Genau deshalb sehen Humangenetiker wie Professor Zerres die neue Technologie als sinnvolle Ergänzung. Sie liefert sehr genaue Vorhersagen, und das ohne Risiko für das Ungeborene.

Prof. Klaus Zerres, Vorsitzender Deutsche Gesellschaft für Humangenetik
„Das bedeutet, dass man eine große Anzahl von Fruchtwasserpunktionen gar nicht mehr durchführen muss. Wenn der Test keinen Hinweis, keine Auffälligkeiten ergibt, dann wird diese Frau mit höchster Wahrscheinlichkeit auch kein Kind mit Down Syndrom bekommen. D.h. man kann die Zahl der Untersuchungen, der Fruchtwasserpunktion, dramatisch runterfahren.“

Die Risiken der Fruchtwasseruntersuchung vermeiden – für viele Schwangere wäre der Gentest eine  Erleichterung. Den kann sich aber nicht jede Frau leisten. Denn bislang müssen Schwangere den Bluttest aus eigener Tasche bezahlen. 700 € waren es bei Diana Voigt.
Eine soziale Schieflage findet pro familia: Für Frauen mit erhöhtem Risiko sollten die Krankenkassen den Gentest nach eingehender Beratung übernehmen.

Gabrielle Stöcker, Gynäkologin pro familia Köln
„Es darf eigentlich nicht sein, dass eine Schwangere in Abhängigkeit von ihrer Einkommenssituation, ihrer finanziellen Situation eine Fruchtwasseruntersuchung durchführen lassen muss, die kassenfinanziert ist, weil sie sich diesen Bluttest, der auch sehr zuverlässig ist, nicht leisten kann“.

Die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen, ist äußerst gering. Sie steigt aber mit dem Alter deutlich an. Von 1 zu 1500 bei einer 20-jährigen auf 1 zu 100 bei einer 40-jährigen Frau.

Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen prüft nun, ob die Kassen den Test bezahlen sollen – und zwar für Frauen ab 35 und andere Risikoschwangere. Die Prüfung in Gang gebracht hat einer der Hersteller. Die Anbieter sehen ein großes Geschäft und drängen mit ihrer Werbung massiv in den Markt. Dabei sprechen sie auch junge Frauen an, die sich Sorgen um ihr Ungeborenes machen – obwohl deren Risiko für ein Kind mit Trisomie relativ klein ist.

Und so fragen immer mehr Frauen nach dem Test, beobachtet der Arzt von Diana Voigt.

Prof. Renaldo Faber, Pränatalmediziner
„In diese Entwicklung ist unglaublich viel Geld geflossen und die Industrie und die Labore, die das vermarkten, die machen unglaublichen Druck auf die Gesellschaft, damit dieser Test gekauft wird. Die Zielrichtung der Debatte ist: unbedingt anwenden, und wenn es geht für so viele Schwangere wie möglich.“

Ein risikoloser Bluttest, bezahlt von der Allgemeinheit – die Genanalyse könnte so zum Standard in der Schwangerenvorsorge werden. Der Deutsche Ethikrat sieht darin eine gefährliche Entwicklung.

Christiane Woopen, Vorsitzende Deutscher Ethikrat     
„Wenn es also ganz normal ist, in der 9.10.11. oder 12. Schwangerschaftswoche diesen Bluttest durchzuführen, dann wird es zu einer gesellschaftlichen Normalität, dann führt das letztlich zu einer Art gesellschaftlich akzeptieren Praxis, das Leben von Menschen mit Trisomie 21 lieber zu verhindern.“

Das Leben von Menschen wie Henry. Der Dreijährige ist ein aufgewecktes, fröhliches Kind – trotz Down-Syndrom und obwohl er in seiner Entwicklung deutlich hinter Gleichaltrigen liegt. Henrys Mutter hat gemeinsam mit ihrem Mann bewusst auf vorgeburtliche Untersuchungen auf das Down-Syndrom verzichtet.

Bente von der Heide    
„Für mich kam es einfach gedanklich nicht in Frage, dieses Leben von einem Wunschkind in Frage zu stellen. Ich finde einfach, es ist ein genauso lebenswertes Leben mit Down-Syndrom wie eins ohne".

Doch je einfacher es wird, Kinder mit Down-Syndrom schon vor der Geburt auszusieben, desto schwerer wird es künftig für Frauen, sich diesem Erwartungsdruck zu widersetzen.
Und weitere Tests werden folgen, fürchtet Henrys Mutter.

Bente von der Heide
„Das heißt, man muss sich überlegen, was möchte man eigentlich alles bei seinem Kind nicht. Ich möchte vielleicht nicht, dass es zappelig ist und ADHS hat zum Beispiel. Vielleicht finden wir irgendwann das Gen für ADHS, und dann können wir das auch in der Schwangerschaft nachschauen, und dann können wir da auch darüber nachdenken, ob wir das Kind bekommen. Das ist natürlich ein ganz schwarzes Szenario aber letztendlich geht das so ein bisschen in diese Richtung.“

Tatsächlich lässt sich schon heute aus dem Blut der Mutter das komplette Erbgut des Ungeborenen entschlüsseln. Was, wenn das Kind das Gen für Brustkrebs trägt? Oder irgendwann eine Veranlagung für Alzheimer oder Übergewicht entschlüsselt werden kann?
Wie gehen wir künftig mit diesem Wissen um? Wie mit Behinderungen, wie mit Abweichungen von der sogenannten Normalität?


Schwierige Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt.


Beitrag von Ursel Sieber, Susanne Katharina Opalka, Markus Pohl und Axel Svehla