- Tödliche Keime im Krankenhaus: Tausende Todesfälle wegen Hygienemängeln

Experten schätzen, dass jedes Jahr tausende Patienten an Krankenhausinfektionen versterben - weit mehr als durch Verkehrsunfälle. Viel wurde auf dem Papier empfohlen und geregelt, aber in der Praxis mangelt es an Kontrollen und Transparenz. Vor allem existiert keine bundesweite Strategie gegen die Gefahr aus dem Krankenhaus. Die Gesundheitspolitik verweist auf die bestehenden Gesetze und die Krankenkassen beklagen fehlende gesetzliche Möglichkeiten. Geschädigte Patienten und Angehörige fühlen sich allein gelassen.

Jedes Jahr sterben nach Schätzungen bis zu 30-tausend Menschen im Krankenhaus an Infektionen durch Keime! Das sind 10mal soviel Tote wie im Strassenverkehr! Doch während im Verkehr unzählige Massnahmen zur Unfallvermeidung ergriffen werden, passiert beim Thema Hygiene in Krankenhäusern kaum etwas. Schon vor 5 Jahren haben wir über unhaltbare hygienische Zustände in Kliniken berichtet. Doch bis heute hat die Politik auf dieses Problem nicht wirklich reagiert. Als meine Kollegen Caroline Walter und Christoph Rosenthal recherchierten, fanden sie erneut gravierende Mängel im System.

Christel Meinecke fällt jeder Gang schwer. Seit zwei Jahren hat sie ständig unerträgliche Schmerzen, sie kann das Haus kaum noch verlassen. Mit einer Operation am Kniegelenk fing alles an. Die Wunde heilte nicht zu. Dass darin ein gefährlicher Krankenhauskeim wütete, sagte ihr die Klinik nicht.

Christel Meinecke
„Nach der ersten Operation kam die Zweite mit einer ganz fadenscheinigen Ausrede – die Narbe müsste begradigt werden. Die Reha habe ich praktisch abgesessen, abgelegen. Wieder ins Krankenhaus, die dritte Vollnarkose-Operation und die musste abgebrochen werden, weil die Wundränder nicht mehr zusammengingen. Das musste so heilen – so hat man mir gesagt.“


Frau Meineke sprach die Klinikärzte auf mögliche Krankenhauskeime an – aber die reagierten nicht. Weil es ihr nach der Entlassung immer schlechter ging, wurde sie selbst aktiv, suchte nach Informationen im Internet und holte sich Gutachten ein. Das erschreckende Ergebnis: ihre ganze Knieprothese war von einem Krankenhauskeim befallen, sie musste schnell ausgetauscht werden.

Christel Meinecke
„Ich habe den Eindruck, dass das Krankenhaus bzw. die Ärzte vertuschen wollten, dass ich Krankenhauskeime in die Wunde bekommen habe.“

Krankenhausinfektionen, die verschwiegen werden – das ist für Patientenanwalt Burkhard Kirchhoff - Alltag in Kliniken.

Burkhard Kirchhoff
Patientenanwalt

„Wir erleben immer wieder bei der Vertretung von Patienten, dass die Patienten mit einer eitrigen Hüfte entlassen wurden und im Arztbrief steht dann drin: der Patient wurde mit reizlosen Wundverhältnissen, also ohne Auffälligkeiten, entlassen. Man geht davon aus, dass wir mehr als eine Million Infektionen pro Jahr haben. Das ist eine viel zu hohe Zahl.“

Doch in vielen Kliniken wird auf Kosten der Hygiene gespart - Mängel in Kauf genommen.
Das zeigt der jüngste Skandal am Uniklinikum Mannheim. Nach anonymen Hinweisen fanden die Behörden Operations-Besteck, das verschmutzt und nicht steril war. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun. Es gab offenbar schon länger interne Beschwerden über die Missstände, die ignoriert wurden. So seien Stapyhlokokken-Keime in Instrumentenbehältern festgestellt worden, auch Haare und Knochensplitter zwischen dem Besteck. Die Klinik hatte ungeschulte Mitarbeiter in der Sterilisation eingesetzt, und die Wartung der Spülmaschinen vernachlässigt.

Solche Zustände überraschen Ulla Geibel nicht. Sie leitet die Zentralsterilisation der Uniklinik Heidelberg. Ihre Mitarbeiter müssen 80.000 Medizinprodukte kennen, fachgerecht zerlegen und reinigen. Vor der Sterilisation wird genau geprüft, ob noch die kleinste Verunreinigung am Instrument ist.

Hier sind die Mitarbeiter sehr gut geschult. Doch von Kollegen aus anderen Kliniken erfährt Ulla Geibel immer wieder, wie in diesem sensiblen Bereich massiv gespart wird.

Ulla Geibel
Leiterin Zentralsterilisation Uniklinik Heidelberg

„In manchen Kliniken ist es immer noch so, dass keine Reinigungs- und Desinfektionsgeräte zur Verfügung gestellt werden. Wenn sie welche haben, dann sind das oftmals nicht die ausreichende Zahl. Auch für Schulungen steht kein Geld zur Verfügung und die sind enorm wichtig, damit die Mitarbeiter auch hier ihre Arbeit ordentlich machen können.“

So kommen andernorts oft schlechte bezahlte und wenig qualifizierte Mitarbeiter zum Einsatz. Dadurch passieren Fehler, die zu Infektionen beim Patienten führen können. Darum fordert Ulla Geibel höhere Standards.

Ulla Geibel
Leiterin Zentralsterilisation Uniklinik Heidelberg

„Wir haben hier keine Berufsausbildung, was sehr negativ ist. Wir müssen unbedingt da hinkommen, dass die Politik uns hier erhört und wir zu einer Berufsausbildung kommen, mit einer vernünftigen Bezahlung in diesem Bereich.“

Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigen diese Bilder aus verschiedenen deutschen Kliniken. Ein Insider hat sie uns zugespielt. Verunreinigtes Operations-Besteck, das so zum Einsatz kommen sollte - nach mangelhafter Aufbereitung. Wenn der Patient Glück hat, wird das bei Kontrollen entdeckt. Aber genau hier besteht ein großes Defizit.

Für die Hygiene-Kontrollen der Kliniken sind die Kommunen zuständig. Der Leiter des Gesundheitsamtes in Heidelberg spricht ungewöhnlich offen darüber, wie schwierig es ist, den zahllosen Überwachungsaufgaben gerecht zu werden.

KONTRASTE
„Als Patienten wünsche ich mir, dass Sie die Kliniken engmaschig kontrollieren. Warum passiert das nicht?“
Dr. Rainer Schwertz
Leiter Gesundheitsamt Rhein-Neckar-Kreis

„Das Problem liegt bestimmt an den limitierten personellen Ressourcen, die wir haben. Das ist so. Das ist vielleicht in unserem Gesundheitsamt noch etwas besser als in manch anderem, kleineren Gesundheitsamt. Und man muss auch sagen, dass die Qualifikation der einzelnen Mitarbeiter der Gesundheitsämter vonnöten ist, um diese Kontrollen auch gut durchzuführen, sodass wir halt auch nicht so häufig dort hingehen können, wie wir uns das wünschen.“

Dem Amt werden bestimmte Krankenhausinfektionen zwar gemeldet, aber die Infektionszahlen einzelner Kliniken dürfen die Behörden nicht veröffentlichen – obwohl es für Patienten wichtig wäre. Transparenz sieht anders aus. Diese Situation kritisiert auch der Amtsleiter.

Dr. Rainer Schwertz
Leiter Gesundheitsamt Rhein-Neckar-Kreis

„Ich würde mir wünschen, dass vielleicht ein gesetzlicher Rahmen geschafft werden könnte, dass für den einzelnen Patienten, für den Bürger, diese Daten auch einfacher zu bekommen sind als jetzt im Moment, wo eben halt doch vieles noch im Dunkeln bleibt, wo manche Dinge nicht an die Öffentlichkeit kommen.“

Wir wollen herausfinden, wie offen Kliniken mit ihren Hygienedaten umgehen. Bundesweit fragen wir 60 Krankenhäuser an, darunter große Klinikkonzerne. Wir wollen wissen, wie viele Wundinfektionen bei ihnen auftreten, wie hoch ihre konkreten Infektionszahlen mit den gefährlichsten resistenten Keimen wie MRSA und VRE sind. Und wie viele Todesfälle es dadurch gab.

Eigentlich müssen diese Daten in jeder Klinik laut Gesetz vorhanden sein. Doch wir bekommen nur Absagen und Ausreden:
„Nach Rücksprache mit unserer Krankenhausleitung möchten wir von einer Beteiligung an der Umfrage absehen.“
„Die Daten werden nicht veröffentlicht und dienen der internen Qualitätssicherung.“

Mal heißt es, die Daten seien ungeeignet, mal nicht per Knopfdruck zu ermitteln. Oder:
„Wir bitten … um Verständnis, dass wir erst dann unsere Daten nach außen geben werden, wenn wir sie intern für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommuniziert haben.“

Nur der Helios-Konzern schickt uns konkrete Zahlen zu Infektionen und Todesfällen.

Von Kliniken aus Hamburg erhalten wir auffällige Textbausteine: MRSA Fälle seien seltener als angenommen wird, heißt es mehrmals. So wird das Problem heruntergeredet.

Auf Bundesebene agiert als größte Lobby gegen mehr Transparenz die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Sie sträubt sich seit Jahren gegen verbindliche gesetzliche Vorgaben für alle Kliniken. Ein Interview mit uns verweigert die DKG.

Wie Kliniken mit Betroffenen umgehen – das muss gerade Robert Liß durchmachen. Er kämpft für seine tote Schwester Bettina. Um an ihre Patientenakte zu kommen, musste er erst eine Strafanzeige stellen. Die Klinik verweigerte die Herausgabe. Seine Schwester hatte eine Krebs-OP gut überstanden. Zur Nachsorge sollte eine Chemotherapie folgen. Doch beim Legen des Zugangs für die Chemo gelangte der gefährliche MRSA-Keim in ihren Körper, griff ihre Herzklappe an und hat sie regelrecht aufgelöst.

Robert Liß
„Sie hat ja dann sofort eine Not-OP gekriegt, hat eine neue Herzklappe bekommen, aber der Körper war schon so schwach, dass sie das dann nicht mehr geschafft hat und dann am 1.1. verstorben ist.“

Er will, dass ihr Tod aufgeklärt wird, um andere zu schützen. Aber er fühlt sich dabei allein gelassen. Unterstützung kommt auch nicht von der Krankenkasse, die zahlt ohne nachzufragen.

Robert Liß
„Ich würde mir wünschen, dass die Krankenkassen da intensiver dahinter her sind und auch mal zu den Krankenhäusern Nein sagen, wir bezahlen nicht.“

Die Krankenkassen gehen selbst von einem enormen finanziellen Schaden durch Infektionen aus. Aber sie erfahren oft gar nicht, ob die teuren Behandlungen auf eine Infektion zurückgehen. Denn die Kliniken müssen das in ihren Abrechnungen gar nicht angeben.

Einige der großen Kassen wie die IKK sehen hier Handlungsbedarf.

Jürgen Hohnl
Geschäftsführer IKK e.V.

„Also eine Informationspflicht über Infektionen - vermeidbare Infektionen in Krankenhäusern - wäre natürlich ein wichtiger Punkt für uns Krankenversicherungen, weil wir dann für unsere Versicherten entsprechende Maßnahmen einleiten könnten und - das wäre der Idealfall - die Krankenhäuser, die auffällig sind, auch entsprechend aus der Versorgung herausnehmen könnten.“

Doch all das ist bisher gesetzlich nicht möglich. Seit Jahren wächst das Problem mit den Krankenhauskeimen – ohne dass ein Durchbruch erzielt wird.

Das Bundesgesundheitsministerium lehnte ein Interview dazu ab. Schriftlich teilt man uns wortreich mit, dass die Gesetzeslage ausreiche. Und man verweist auf die Zuständigkeit der Länder bei der Umsetzung.

Patientenanwalt Burkhard Kirchhoff findet, man muss ganz neue Wege gehen.

Burkhard Kirchhoff
Patientenanwalt

„Es müsste dringend eine Bundesbehörde geschaffen werden, eine Art Task Force ausgebildet werden, wie zum Beispiel in Holland, die ohne Voranmeldung in die Klinik geht, die Klinik überprüft hinsichtlich Hygiene und auch zu Sanktionen bis hin zur Schließung einzelner Stationen greift, wenn die Hygiene nicht Eins zu Eins umgesetzt wird.“

Eine bundesweite Strategie ist überfällig - bei so vielen Todesfällen, die längst vermeidbar wären.

Übrigens: Die Bundesregierung will im kommenden Jahr über Massnahmen diskutieren, um die Krankenhaus-Infektionen einzudämmen. Da werden wir genau beobachten, ob sich die Lobbygruppen wieder durchsetzen oder ob sich endlich was ändert.

 

Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal