Allein unter Weißen - Eine Reportagereise durch Sachsen - Alltagsrassismus in Sachsen

Was erlebt ein Mensch mit dunkler Hautfarbe in Sachsen, wenn er eine Wohnung oder einen Job sucht oder einfach nur ein Eis essen geht? Die Autoren sind mit einem gebürtigen Senegalesen durch den Freistaat gereist. Die Reaktionen? Erschreckend - aber auch überraschend.

Anmoderation: Auch heute sind wieder tausende Flüchtlinge in Deutschland angekommen. Sie treffen auf Hilfsbereitschaft und Spenden - aber auch auf Hass. Vor allem in Ostdeutschland: Krawalle vor Flüchtlingsheimen, Bürgerwehren, Brandanschläge gehören leider zur Tagesordnung. Dennoch wehren sich die ostdeutschen Ministerpräsidenten gegen den Vorwurf, Ausländer- feindlichkeit sei vor allem ein ostdeutsches Phänomen. Gut, dachten sich meine Kollegen Caroline Walter und christoph Rosenthal, dann machen wir doch mal ein Experiment:Sie begaben sich auf Reise durch Sachsen, dem Bundesland mit der höchsten Zahl an fremdenfeindlichen Gewalttaten  gemeinsam mit einem dunkelhäutigen Berliner.

Ndiaga lebt schon seit vielen Jahren in Berlin, er kommt aus dem Senegal, seine Leidenschaft ist die Musik – bei Konzerten ist sein Publikum begeistert. Aber auf seinen Reisen erlebt er immer wieder auch Anfeindungen wegen seiner Hautfarbe.

Deshalb will er mit uns ein Experiment machen – eine Reise nach Sachsen. Er war noch nie da, kennt es nur durch negative Schlagzeilen aus den Medien. Wie werden die Menschen auf ihn reagieren?

Unser erstes Reiseziel ist die Stadt Riesa an der Elbe mit ca. 30.000 Einwohnern. Mit Ndiaga bummeln wir durch die Einkaufsstraße. Als wir gemeinsam in der Eisdiele sitzen – als weiße Frau mit einem schwarzen Mann – werden wir von einer jungen Frau angepöbelt.

 "Sowas nannte man früher Rassenschande."

Rassenschande – ein Begriff aus der Nazizeit.

Später an diesem Tag kommt es zum nächsten Vorfall – als Ndiaga nur kurz allein unterwegs ist.

O-Ton Ndiaga:

"Gerade eben bin ich gelaufen und habe einen Mann und seine Frau und sein Kind gesehen - getroffen. Und wie bei uns unsere Tradition ist, wenn wir jemanden sehen, wir müssen begrüßen, Hallo sagen, einfach. Und ich habe Hallo gesagt, und er hat nach unten gespuckt und vor dem Kind. Schade, dass er das dem Kind so beibringt. Das ist nicht schön. Das ist keine gute Vorbild."

Unsere Reise geht weiter – mit Ndiaga auf Wohnungssuche in Sachsen.

Hier in Chemnitz wie auch andernorts herrscht großer Leerstand bei Wohnungen, Einwohnerzahlen sinken und neue Mieter werden eigentlich dringend gesucht.

Wir machen für Ndiaga einen Besichtigungstermin - wie schwierig wird es für ihn? Laut Anzeige ist die Wohnung ab sofort frei. Der Makler ist überrascht, dass ein Afrikaner kommt. Er ist sehr abweisend.

Makler:

 "Jawoll."

 "Zu wann suchen Sie die Wohnung? Wann wollen Sie einziehen?"

Ndiaga:

 "Ende diesen Monats."

Makler:

 "Nein. Die Wohnung muss noch saniert werden."

Er zeigt Ndiaga ganz kurz die Wohnung und geht schnell zum Duzen über.

Ndiaga ist enttäuscht. Er befürchtet, beim nächsten Termin wird das genauso.

Doch diesmal wird er überrascht. Diese Maklerin ist sehr freundlich und nimmt sich viel Zeit. Diese Wohnung könnte er wohl kriegen.

Wir fahren nach Regis-Breitingen – es liegt südlich von Leipzig. Wir wurden gewarnt: Direkt vor diesem Supermarkt soll es immer wieder zu fremdenfeindlichen Übergriffen kommen. Als wir vor Ort sind, hören wir schon vom Auto aus zwei Männer über Flüchtlinge hetzen. "Kanakenschweine, Gelumperte…" Wir beobachten lieber statt auszusteigen.

Gleich um die Ecke ist eine Asylunterkunft. Dort treffen wir auf Ramiz. Er hat gerade in einem weit entfernten Supermarkt eingekauft, weil er Angst hat. Vor zwei Monaten wurde er in Regis-Breitingen grundlos angegriffen.

O-Ton Ramiz

 "Da waren Nazis am Supermarkt, die guckten mich an und schlugen einfach auf mich ein. Warum? "

Sie haben ihm einen Zahn ausgeschlagen.

Seit Mai gab es bereits zehn Übergriffe auf Asylbewerber in der 4.000 Einwohner-Stadt – darunter viele Körperverletzungen.

Trotzdem bleiben wir noch. Am Abend findet das jährliche Feuerwehrfest statt. Wir drehen mit verdeckter Kamera. Unser dunkelhäutiger Begleiter wird ständig angestarrt – er stört offensichtlich. Als wir uns an den Bierstand stellen, dauert es nicht lange und wir hören schon zum zweiten Mal auf unserer Reise: "Rassenschande…"

Der Alkoholpegel der Gäste steigt. Wir ziehen uns auf Anraten unseres Sicherheitsmannes zurück.

Am nächsten Tag sind wir in der Nähe von Dresden unterwegs. Hier geht Ndiaga auf Jobsuche. Mit der Stellenanzeige in der Hand, aber ohne Termin, stellt er sich in dieser Lackiererei vor.

Frau:

 "Sie müssen aber sehr gut Deutsch sprechen. Sprechen Sie gut deutsch?"

Ndiaga:

"Haben Sie mich verstanden?"

Frau:

"Ja ok. Wollen Sie Sie es sich mal ansehen?"

Es dauert - Ndiaga kehrt gut gelaunt zurück - samt Personalbogen.

O-Ton Ndiaga:

"Am Ende ist super gelaufen. Ich habe alles geguckt, wie die das machen. Wenn ich da bin, wie ich mitmachen soll. Und das war super."

Es ist Sonntag – wir fahren ins Erzgebirge, ins Dorf Nassau, ein Tourismusgebiet. Wir haben erfahren, dass in dieses ehemalige Hotel am Rande der Ortschaft demnächst Asylbewerber einziehen. Doch dagegen gibt es massiven Widerstand.

Ndiaga will sich für die Flüchtlinge engagieren. Unsere Idee: wir machen eine Aktion  "Nassau sagt Ja zum Heim " und wollen Unterschriften sammeln. Sind Flüchtlinge an diesem Ort willkommen?

Der erste Versuch: Bei ihr hat Ndiaga überhaupt keine Chance.

Dieser Dorfbewohner erzählt uns, dass er der Stadt

sein Nebengebäude zum Kauf angeboten hat. Seitdem habe er keine Ruhe mehr.

O-Ton:

"Wenn ich meine Unterschrift da drunter setz, krieg ich noch mehr Ärger wie ich jetzt schon hab."

Frage: "Wie?"

"Weil jeder meint, das wird das nächste Flüchtlingsheim hier. Was glauben Sie, was ich im Briefkasten für Zettel hab. Such dir da hinten einen Baum aus, häng dich auf und alles Mögliche."

Deshalb will er sich jetzt lieber heraushalten.

Auch von dieser Frau bekommen wir keine Unterschrift für die Flüchtlinge.

Was sind denn da Ihre Sorgen?

Im Allgemeinen die Sicherheit. Man hört doch genug oder?

Was denn?

Die schlagen sich die Köppe ein. Gehört solches Zeug nicht abgeschoben?!"

In dem rund 800 Einwohner-Dorf herrscht die Meinung, dass 88 Flüchtlinge viel zu viel sind.

In der Bäckerei finden wir schon eine Unterschriftenliste, allerdings gegen das Heim. Die Verkäuferinnen schimpfen, wir sollen mit unserer Liste die Kunden in Ruhe lassen.

Gleich nebenan hat Ndiaga endlich ein positives Erlebnis - diese freundliche ältere Dame sagt sofort, Flüchtlinge sind willkommen und unterschreibt.

Diese Gruppe von Nassauern reagiert erst einmal ablehnend, aber dann entsteht doch ein Gespräch. Ndiaga hört sich ihre absurden Befürchtungen an, zum Beispiel dass Flüchtlinge Kinder angreifen und Omas in die Hecke schmeissen.

O-Ton Mann:

"Wenn, dann sollen sie sich genauso einordnen, so wie mir sind. Und so wie mir leben. Nicht jemanden zusammenschlagen, oder mit´m Messer irgendjemanden aufschlitzen. Das ist nicht drinne."

Ndiaga:

"Für mich bei jedem Menschen, egal welche Hautfarbe der ist, gibt es gute und schlechte Menschen."

Ndiaga finden sie ok - trotzdem bleibt es beim Nein.

Die Bilanz unserer Unterschriftenaktion ist ernüchternd.

Zurück in Riesa:

Hier hat gerade das Stadtfest begonnen. Der Slogan -  Riesa – ein Ort der Vielfalt. Doch das Gefühl haben wir so gar nicht. Während wir mit Ndiaga über das Fest laufen, mit verdeckten Kameras, hören wir Kommentare wie  "Der ist ja braun wie Nutella" und  "der geht doch am Bahnhof anschaffen". Ndiaga kriegt von allen Seiten abschätzige Blicke.

Auch dieses Ehepaar ist nicht begeistert. Als wir uns hinsetzen, frotzelt sie:  "Hab noch nie einen Neger gesehen."

Wir erlösen das Paar schließlich und setzen uns um. Doch auch hier sind wir nicht erwünscht. Auf dem Rathausplatz hören wir von dieser Gruppe rechtsradikales Gegröle - "Bimbo", "Jawoll mein Führer".

Und dann folgt ein Hitlergruss nach dem nächsten. Niemand stört sich daran.

Er hier unterhält sich dann laut über seine Facebook-Seite  "Deutsches Reich" und prahlt mit seinen Nazikumpels, die er jederzeit anrufen kann.

Schließlich eskaliert die Situation – weil dieser Mann auf einmal behauptet, Ndiaga hätte seine Freundin angeflirtet.

  "Sowas müsste Deutschland verlassen."

 "Komm, lass den Bimbo."

 "Jeder sollte sich einen Neger anschaffen."

Plötzlich kommt ein Mann von hinten und schüttelt Ndiaga die Hand:  "Willkommen in Riesa". Eine Geste der Unterstützung – wenigstens eine.

Wir haben genug und kehren zurück nach Berlin.

Am nächsten Tag zieht Ndiaga sein persönliches Resümee über die Leute, die ihn abgelehnt haben.

O-Ton Ndiaga

 "So habe ich das noch nicht erlebt und ich finde das auch schlimm und traurig - für die. Für mich nicht. Ich war ein bisschen sauer, aber danach habe ich gedacht, die haben keine Erfahrung im Leben."

Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal