Junge Muslimin
rbb
Bild: rbb

- Unberührt in die Ehe – Verzweiflung bei jungen Musliminnen

Sex vor der Ehe – im Islam noch immer ein Tabu. Passiert es dennoch, wird es für junge Musliminnen oft gefährlich: Wenn die Heirat ansteht, wächst die Angst vor dem Vater oder den Brüdern. In ihrer Verzweiflung lassen Frauen ihre Unschuld durch Ärzte wiederherstellen. Oder sie fliehen und verstecken sich.

Sex vor der Ehe – darüber regt sich heutzutage kaum jemand mehr auf. Doch was, wenn so etwas jungen Frauen muslimischen Glaubens passiert. Eine katastrophe für die Mädchen, wenn es rauskommt! Denn traditionelle muslimische Familien verlangen auf Biegen und Brechen von ihren Töchtern, dass sie als Jungfrauen in die Ehe gehen, - andernfalls drohen schlimme Konsequenzen. Sandra Havenith hat ein junges Mädchen begleitet, das diese Regel nicht befolgt hat.

Sie ist 22. Und Muslimin. Und sie hat Angst. Denn: Seit 5 Jahren ist Celine auf der Flucht – vor ihrer eigenen Familie.

Sie war gerade 17, als sie erfuhr, dass ihre Familie sie verheiraten wollte.

Mit einem Mann, den sie nicht kannte, und den sie nicht wollte. Sie hatte Angst vor der Heirat und vor dem, was dann herauskommen würde: .Celine war keine Jungfrau mehr.

KONTRASTE
„Wie wichtig ist es, Jungfrau zu sein?“
Celine
„Das spielt eine große Rolle.“
KONTRASTE
„Warum?“
Celine
„Ja, keine Ahnung. Wenn Du den Mann heiratest, sollst Du auf jeden Fall Jungfrau sein. Er soll Dich ja entjungfern.“

Sex vor der Ehe: Das ist in vielen muslimischen Familien noch immer unvorstellbar. Es bedeutet die Ehre, den Stolz der Familie zu verletzen. Viele junge Frauen haben deshalb Angst, dass die Wahrheit herauskommt. Manche fürchten sogar um ihr Leben.

Im Internet suchen sie verzweifelt Hilfe. Dort tauschen sie sich aus. Natürlich anonym. Und fast alle wollen nur eins: Einen Arzt finden, der das Jungfernhäutchen wieder herstellt.

Eine Anlaufstelle für solche Operationen ist der Verein Balance. Früher hatte man bei Balance zehn Mädchen im Jahr, heute kommen über 100. Und sie sind bereit, für die OP 130 Euro zu zahlen.

Christiane Tennhardt, Frauenärztin bei Balance
„Die meisten Mädchen weil sie befürchten, dass sie verheiratet werden oder weil sie heiraten wollen und weil sie in der Hochzeitnacht bluten wollen und sie wissen, dass sie schon Geschlechtsverkehr hatten. Sie sind verzweifelt und das Jungfernhäutchen ist nicht mehr intakt und sie wollen es reparieren.“

Eine Operation löst das Problem nicht wirklich. Trotzdem ist es für viele junge Frauen die einzige Alternative. Die Angst vor der Familie und den Konsequenzen ist einfach zu groß.

Und außer ihrer Familie haben Mädchen wie Celine meistens keine Ansprechpartner. In der Schule werden Themen wie Zwangsheirat oder Jungfrau sein kaum besprochen. Das gilt auch für Schulen mit hohem Migrationsanteil, wie hier in Berlin Neukölln:

Mädchen
„Wirklich gesprochen wird darüber eigentlich kaum in der Schule.“
KONTRASTE
„Ist das ein Thema für Euch?“
Mädchen
„Eigentlich nicht.“

Weil nicht darüber geredet wird, wissen viele Mädchen nicht einmal genau, warum sie als Jungfrau in die Ehe gehen sollen und was das für ihr Leben bedeutet.

Mädchen
„Ja, der Mann, den wir heiraten, der will ja auch was Besonderes haben und wenn wir schon Geschlechtsverkehr hatten, dann ist es für ihn ja nichts Neues.“

Mädchen
„Du bist ein sauberes Mädchen und wir möchten auch eine schöne Nachricht bekommen Rein von einer Familie in andere übergegangen. Das ist so der Gedanke von der Familie.“

Eine der Sekretärinnen an dieser Schule. Zu ihr gehen die Mädchen wenn sie Probleme haben. Sie ist ihre Vertrauensperson. Denn sie ist Türkin. Bei Deutschen Lehrern und Sozialarbeitern suchen die Mädchen eher seltener Rat.

Thomas Herzog, Sozialarbeiter
„Ist ja schon eine klare Aussage, wenn die Mädchen zur Sekretärin gehen. Da muss ja was fehlen.“

Was fehlt sind Lehrer und Sozialarbeiter mit Migrationshintergrund, die die Themen der Mädchen kennen und ansprechen.

Thomas Herzog, Sozialarbeiter
„Wenn es zu Konflikt kommt, zum Bespiel, wenn ein Mädchen Geschlechtsverkehr hatte, dann wissen die oft nicht, wo die sich hinwenden sollen. Ist nicht so, dass alle Mädchen gut ihren Müttern sprechen. Sondern die sind erstmal sehr auf sich alleine gestellt.“

Mangelnde Information und damit mangelnde Unterstützung - Wir wollen von der Berliner Schulbehörde wissen warum.

In einer schriftlichen Antwort verweist man uns auf den Ethikunterricht. Dort würden solche Themen behandelt. Zum Beispiel:
„Partnerschaft, Liebe und Sexualität in verschiedenen Kulturen“.

Klingt alles sehr schön – Fakt ist, was der Lehrer konkret behandelt ist seine Sache.
Und ob er überhaupt in der Lage dazu ist, solche schwierigen Themen zu besprechen – danach fragt keiner.
Celine jedenfalls hätte sich Hilfe gewünscht. Die Familie zu verlassen, fiel ihr auch so schon schwer genug. Sie war oft verzweifelt, wusste einfach nicht mehr weiter. Bis heute hat sie den Verlust der Familie nicht verarbeitet.

KONTRASTE
„Würdest Du sagen , Du bist jetzt glücklich?“
Celine
„Nein, nicht wirklich. Also mir geht´s schon gut. Ich kann mich nicht beklagen und ich kann ab und zu lächeln.“

Beitrag von Sandra Havenith