- Bedingt aufklärungsbereit: Wann kommt die Missbrauchsstudie der katholischen Kirche?

Sie sollte ein Befreiungsschlag werden nach immer neuen Missbrauchsvorwürfen in der katholischen Kirche: Die unabhängige Studie des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Doch die Forscher und die Kirche zerstritten sich, die Kirche zog die Reißleine und kündigte das Vorhaben auf. Seitdem ist es still geworden. Dabei sollte längst eine neue Studie bei einem anderen Forschungsinstitut in Auftrag gegeben sein. Die Opfer warten weiterhin auf Erklärungen und  Einsichten, auch um zukünftigen Missbrauch zu verhindern. Doch die Kirche schweigt.

Über drei Jahre ist es nun schon her, dass der Missbrauchsskandal in der Katholischen Kirche an die Öffentlichkeit kam. Bis heute ist das Vertrauen vieler Katholiken zutiefst erschüttert. Seit 2010 hat die katholische Kirche in Deutschland rund 426-tausend Mitglieder verloren. Da sollte man eigentlich erwarten, dass die Kirchenoberen alles dran setzen, um das Vertrauen wieder herzustellen. Zwar hat man sich reumütig öffentlich entschuldigt, aber darüber hinaus...? Susanne Katharina Opalka und Jo Goll haben nachgefasst.

Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in katholischen Schulen und Internaten. Über Jahrzehnte hinweg. Zahlreiche Geistliche und Lehrer haben schwere Schuld auf sich geladen. Vor über zwei Jahren kündigt die Deutsche Bischofkonferenz an: Wir klären auf - ohne wenn und aber. Mit einer wissenschaftlichen Studie. Das sei man den Opfern schuldig, erklärt der eigens eingesetzte Missbrauchsbeauftragte

Stephan Ackermann
Missbrauchsbeauftragter Deutsche Bischofskonferenz
13. Juli 2011

„Der Wahrheit haben wir uns zu stellen, wir wollen die Augen davor nicht verschließen."

In dieses Versprechen haben Betroffene wie Matthais Katsch seither große Hoffnungen gesetzt. Als Heranwachsender wurde er Opfer von sexuellem Missbrauch, der Täter: sein Lehrer, ein katholischer Pater. Seit Jahrzehnten will er loswerden, was ihn bis heute schwer belastet:

Matthias Katsch
„Das Gefühl der Scham, das Gefühl überlistet worden zu sein, nicht klug genug gewesen zu sein. Sich nicht entzogen zu haben, nicht einfach weggegangen zu sein, quasi mit Schuld zu sein an dieser ganzen Entwicklung. Das ist etwas, was einen dann später hindert, wenn man erwachsen wird, darüber zu sprechen."

Er sollte dabei helfen, das Schweigen zu brechen: Christian Pfeiffer, renommierter Kriminologe aus Hannover. Für seine wissenschaftliche Studie wollte die Deutsche Bischofskonferenz alle Akten öffnen – zurück bis ins Jahr 1945. Doch bevor es richtig losgeht: Der große Knall, Anfang dieses Jahres kündigen die deutschen Bischöfe den Vertrag mit Pfeiffers Institut. Begründung: Das Vertrauensverhältnis sei zerrüttet. Der Abbruch des Forschungsprojekts ist aus Sicht des Kriminologen fatal für die Opfer:

Christian Pfeiffer
Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen

„Da bleibt etwas unvollendet. Für sie sollte da etwas zu einem Abschluss gebracht werden, indem sie uns noch einmal alles mitteilen, was sie erlitten haben, wie es ihnen heute geht, was sie sich wünschen und dann ist Schluss. Und dieses Abschließende im Rahmen der Forschung an etwas Sinnvollem mitzuwirken, das wird ihnen jetzt genommen. Der Frust bleibt."

Die Bischöfe also weiter in der Pflicht. Schließlich haben sie sich selbst zur Aufarbeitung der Akten bekannt.

Der Vertrag mit dem Institut Pfeiffer ist gescheitert, nur noch Papier. Das groß angekündigte Forschungsprojekt über den sexuellen Missbrauch also auf Eis gelegt.

Wie ist das möglich? Wir versuchen mehrfach ein Interview zu bekommen - mit dem Mann der Aufarbeitung versprochen hat, dem Missbrauchsbeauftragten der Katholischen Kirche, Stephan Ackermann. Vergebens: Kein Interview. Auf Nachfrage werden wir auf die Internetseite der Deutschen Bischofskonferenz verwiesen. Doch hier steht nur, was im Januar dieses Jahres schon verkündet wurde:
„Es soll bald ein neuer Kooperationspartner gefunden werden."

Bald? Seit acht Monaten kein Ergebnis. Wir wollen nun wissen, wann die Katholische Kirche endlich einen neuen Vertragspartner präsentiert. Die Antwort der Bischöfe:
„Wir sind auf einem guten Weg, einen neuen Partner zu finden."

Die Opfer wollen nicht mehr warten, sie sind es leid. Den Glauben an eine kirchliche Aufarbeitung haben viele längst verloren:

Matthias Katsch
„Das ist das, was wir erleben, drei Jahre nach dem wir angefangen haben zu sprechen, dass die Institution zunehmend wieder dicht macht. Und nicht mehr hören will und sich auch der Diskussion nicht mehr stellen will, sondern hofft offensichtlich, dass sie mit ihrer Taktik irgendwie doch noch durchkommt und nicht gezwungen ist, sich ihrem eigenem dunklen Päckchen im Keller zu stellen und das ist nun mal die Sexualität.“

Keine Aufarbeitung – die Last für die Opfer bleibt. Nur wenn sie ihre traumatischen Erlebnisse ausführlich schildern dürfen, dann können sie klar trennen, wer Täter und wer Opfer war. Diese Auffassung vertritt der Sexualwissenschaftler Klaus Beier von der Berliner Charité:

Prof. Klaus M. Beier
Sexualwissenschaftler, Charité Berlin

„Der emotionale Missbrauch, der Vertrauensmissbrauch, das ist die entscheidende Traumatisierung. Und die ist natürlich um so größer, bei einem Menschen, von dem man es überhaupt nicht erwartet, dem man grenzenlos vertraut, der ja praktisch in einer Verbindung zu Gott steht, der einem letztlich die Lebenshaltung auch vermitteln soll, die einen durchs Leben trägt. Das ist ja eine ganz andere Form der Traumatisierung, die dadurch entsteht. Und das erhöht meines Erachtens die Wichtigkeit der Aufarbeitung gerade für die Kirche.“

Die Katholische Kirche darf nicht aus ihrer Verantwortung zur Aufarbeitung entlassen werden, das fordert der Unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig.

Johannes Wilhelm Rörig
Unabhängiger Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung

„Alle Bischöfe, alle Diözesen müssen sich darüber im Klaren sein, dass es keine Alternative zu einer umfassenden, systematischern Aufarbeitung von Missbrauch in der Vergangenheit, von Missbrauch im kirchlichen Bereich gibt. Und die Widerstände, die es noch gegen die Aufarbeitung gibt, die müssen überwunden werden."

Ob die Katholische Kirche die Aufarbeitung will oder nicht – den Opfern wäre sie es schuldig.

 

Beitrag von Jo Goll und Susanne Katharina Opalka