Kreuz und Justitia
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- Missbrauch – Kirchenmauern des Schweigens

Der Skandal um sexuellen Missbrauch an deutschen Jesuiten-Schulen hat erste personelle Konsequenzen. Der Rektor des Bonner Aloisius-Kollegs trat mit sofortiger Wirkung zurück. Doch noch immer gibt es in dem Orden und der katholischen Kirche keine konsequente strafrechtliche Aufarbeitung.

Verschwiegen, vertuscht, verdrängt – immer mehr schmuddelige Details dringen im Skandal um Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche nach aussen. Besonders unfassbar: Die Fälle, in denen Geistliche Minderjährige missbraucht haben, um ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen, sind der Kirche seit mehr als 15 Jahren bekannt! Doch ausser ein paar Versetzungen, ist nichts passiert! Die peinlichen Vorkommnisse wurden lieber verschwiegen. Doch nun kommt langsam Licht ins Dunkel: Erstmals hat der Skandal nun auch personelle Konsequenzen: Ein Beschuldigter, der Rektor einer Bonner Schule, trat von seinem Amt zurück. Und immer mehr Betroffene trauen sich, an die Öffentlichkeit zu gehen, wie Susanne Opalka und Margarete Steinhausen berichten.

Montagmorgen dieser Woche. Eine Mutter geht endlich zur Polizei. Sie will zwei ehemalige Lehrer ihres Sohnes anzeigen.

Ein Foto der beiden, Jesuiten-Patres, hält sie in den Händen. Ihr Sohn und andere Schüler sollen Ende der 80ger Jahre in einer Ferienfreizeit auf der Insel Korsika ungefragt nackt abgelichtet worden sein - am FKK-Strand.

Mutter
„Es gehörte dazu, dass die Kinder vor jedem Frühstück, jeden Morgen ins Meer mussten und Pater Piep war mit der Kamera hinter den Dünen und hat gefilmt, wenn sie aus dem Meer raus stiegen.“

Pater S gehört seit Jahrzehnten zum Aloisius-Kolleg in Bonn, eine der Eliteschulen der Republik. Er lebt heute nach Auskunft der Schule in einem Pflegeheim. Der andere soll von den Aufnahmen gewusst haben. Er ist heute Rektor der Schule. Wir konfrontieren Theo Schneider mit dem Vorwurf: Bilder von nackten Elfjährigen. Weiß er von diesen Aufnahmen?

Theo Schneider, Rektor Aloisiuskolleg, Bonn
„Ich kann mich an diese Situation nicht erinnern. Ich habe nichts Derartiges vor mir.“

Gegen den inzwischen im Ruhestand befindlichen Pater gibt es noch weitere Vorwürfe: Nacktfotos im Park, rektales Fiebermessen im Privatzimmer und das morgendliche kalte Abduschen der Minderjährigen durch Pater S. Geschehen sein soll es in der Stella Reina, dem Internatsgebäude für die Unterstufe. Frage an den Rektor des Kollegs. Was halten Sie von den Vorwürfen?

Theo Schneider, Rektor Aloisiuskolleg, Bonn
„Diese Vorwürfe eines sexuellen Missbrauches sind nie an mich herangetreten worden, das muss ich mal ganz eindeutig sagen, wir sprachen vorhin immer von Grenzüberschreitungen. Sind die bemerkt worden? Ja, da sind welche bemerkt worden, ich habe ihm ja gesagt, ich würde dieses Risiko nicht eingehen, aber an mich ist nicht herangetragen worden, eine Beschwerde oder eine Anfrage, auch nicht von Eltern.“

Den Opfern fällt es bis heute schwer, über das Erlittene zu reden. Sie schämen sich noch immer für die Taten des anderen, des vertrauten Lehrers.

Klaus Beier, Professor für Sexualwissenschaften an der Berliner Charité, über den Missbrauch an Schutzbefohlenen:

Prof. Klaus-Michael Beier, Institut für Sexualwissenschaften Charitè Berlin
„Ich würde die Schwere von Missbrauchshandlungen dran bemessen, wer sie begeht und wie weit zu dem Betreffenden ein Vertrauensverhältnis besteht oder nicht. Und in sofern sind hier eigentlich alle Fälle so, dass die Kinder ein besonders großes Vertrauen zu den Geistlichen haben. Das macht die eigentliche Traumatisierung aus. Das Gefühl, dass man jemandem, dem man eigentlich alles anvertraut, weil man ihm vollkommen vertraut, für dessen Bedürfnisse benutzt worden zu sein. Das ist die eigentliche Traumatisierung.“
In Berlin am Canisius-Kolleg rufen Schüler um Hilfe. Sie kritisieren schon 1981 in einem Brief den Umgang einiger Lehrer mit ihren Schülern. Homosexuelle werden unter Druck gesetzt und leiden unter schwerwiegenden Belastungen. Diese Vorwürfe erreichen die Schulleitung, die Ordensleitung der Jesuiten und das Bistum Berlin. Die Verantwortlichen wissen nun Bescheid. Aber sie fragen nicht nach und sie antworten den Schülern nicht. Verantwortlich für die Jugendarbeit ist Pater R. Ein Jahr später wird er einfach versetzt, nach Göttingen. Wieder ist er für Jugendarbeit zuständig – wieder gibt es Übergriffe, nun auch gegen Mädchen. Erneut wird Pater R nur versetzt. Die Ordensleitung kennt die Vorwürfe, aber sie schaltet keine Polizei ein. Bis vor wenigen Tagen lebt Pater R völlig unbehelligt im gut bürgerlichen Süden Berlins. Jetzt ist er abgetaucht, seine Taten sind verjährt. Die Rechtsanwältin Manuela Groll ist davon überzeugt, dass die Kirche mit ihrem Schweigen lange eher die Täter geschützt hat als die Opfer.

Manuela Groll, Rechtsanwältin
„Wir haben es gesehen, dass durch diese, nennen Sie es Verschleierungspolitik der Kirche über Jahre hinweg Missbrauch wegdiskutiert wurde, weitere Missbrauchsfälle entstanden sind, das heißt, wenn es eine stärkere Öffentlichkeit gegeben hätte, hätte das vermieden werden können.“

Erst vor acht Jahren haben die deutschen Bischöfe öffentlich eingeräumt, dass es auch in Deutschland sexuellen Missbrauch von Kindern durch Geistliche gibt. Als Konsequenz stellt die Bischofskonferenz Leitlinien zum Vorgehen auf. Die Bischöfe fordern zwar innerkirchliche Aufklärung, aber nicht in jedem Fall eine strafrechtliche Verfolgung.

Manuela Groll, Rechtsanwältin
„Das, was mir in den Leitlinien aufgefallen ist, dass tatsächlich dort versucht wird, den Rechtsstaat zu ersetzen. Das heißt, das Ermittlungsverfahren soll einzelne nicht bekannte Ordensmitglieder ausgelagert werden und es findet eine interne Überprüfung statt. So habe ich bisher den Rechtsstaat nicht verstanden, und ich halte es auch für eine moralisch sehr bedenkliche Art und Weise, so mit Verdachtsmomenten umzugehen.“

Zur Klärung der Vorwürfe am Aloisius-Kolleg bemüht die Kirche bis heute Mittag nicht die staatlichen Ermittlungsbehörden. So bleibt es am Ende bei der Anzeige der Mutter. Der Rektor ist am Anfang der Woche zurückgetreten.

Theo Schneider teilt schriftlich mit, dass er diesen Schritt für angeraten halte, Zitat:
„… im Interesse einer lückenlosen Aufklärung aller im Raum stehenden, einschließlich der gegen seine eigenen Person gerichteten Vorwürfe …“

Beitrag von Susanne Opalka und Margarethe Steinhausen