Überwachungskamera (Quelle: rbb)

- Mit Sicherheit in den Überwachungsstaat? Terrorabwehr und Bürgerrechte

Er sei doch ein Freund des Datenschutzes, lässt Innenminister Schily verlauten - und schränkt gleich wieder ein: wenn dieser Datenschutz Ermittlungen behindere, müsse er eben weichen. Rechtfertigung für einen Großangriff auf die Bürgerrechte: Die Pläne des forschen Ministers sehen es vor, Menschen reihenweise zu vermessen und Daten über ihren Körper zu speichern. Wer fragt in Zeiten der Terrorangst schon nach, was man mit den Daten alles anstellen kann.

Ihre Post? Schon gelesen, ehe Sie sie öffnen konnten. Ihr Kontostand? Leicht abrufbar. Ihre Krankheiten oder genetische Veranlagungen? Kein Problem: ein kleiner Chip auf Ihrem Personalausweis gibt Auskunft. Willkommen in der schönen neuen Welt des Otto Schily! Und einen schönen guten Abend bei Kontraste.

Der Bundesinnenminister will uns vor Terroristen schützen. Das ist seine Aufgabe und wir haben allen Grund, ihm dabei viel Erfolg zu wünschen. Dass er ganz nebenbei ein paar grundsätzliche Pfeiler unseres Rechtstaats beseitigen will, das ist alarmierend.

Lassen Sie sich vermessen für Otto Schilys Überwachungsstaat. Andrea Böll und Susanne Haerpfer zeigen Ihnen schöne Aussichten im neuen Deutschland.


Stadtsparkasse Nürnberg am 19. Dezember 1991. Ein Mann betritt die Schalterhallte und verlangt mit vorgehaltener Waffe Geld. Die Bank ist videoüberwacht, der Täter wird gefilmt. Trotzdem entkommt er mit 54 Tausend Mark.

Die Polizei vergleicht die Videoaufnahmen mit ihrer Verbrecherkartei. Ergebnis: Donald Stellwag wandert für neun Jahre ins Gefängnis - unschuldig. Grund: ein biometrisches Gutachtens.

Donald Stellwag:
"Der Gutachter glaubte, mich hauptsächlich am linken Ohr fast zu hundert Prozent erkannt zu haben, dazu kam noch der Mund, die Hand, die auf dem Foto zu sehen waren."

Die Kontur seines Ohres wird Stellwag zum Verhängnis. Der Richter stützt sich hauptsächlich auf ein biometrische Gutachten.und kommt zu dem Schluss: Stellwag sei der Mann auf dem Video und somit der Täter. Ein Irrtum, wie sich erst jetzt herausstellt. Der wahre Täter hatte gestanden - einzige Ähnlichkeit: beide Männer sind dick. Neun Jahre war der Falsche hinter Gittern. Das biometrische Gutachten zählte damals mehr als Zeugen, die Stellwags Unschuld bestätigten.

Ein Schicksal, dass jetzt auch anderen blühen könnte. Nach den Terroranschlägen von New York will der Bundesinnenminister mehr Sicherheit. Technik soll vor Terroranschlägen schützen. Das verspricht ein Gesetzesvorhaben von Otto Schily.

Otto Schily, Bundesinnenminister:
"Sicherheit ist die Voraussetzung von Freiheit. Wer durch Kriminalität, wer durch Terrorismus bedroht ist, kann nicht frei leben, und der Rechtsstaat zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er die Bürger vor Kriminalität und Terrorismus schützt; und das wird die Bundesregierung so handhaben."

Schon heute gibt es auf Flughäfen, Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen Videoüberwachung. Ein Mensch späht bislang nach möglichen Verbrechern. Das könnte sich jedoch bald ändern Die Firma ZN Vision aus Bochum hat das sogenannte SmartEye entwickelt, ein "intelligentes Auge" Dieses System kann nach Angaben der Firma bewegte Videobilder mit den Bildern von Gesuchten vergleichen. Im Fall eines Treffers schlägt es innerhalb von Sekunden Alarm.

Marcel Yon, ZN Vision Technologies:
"Es handelt sich um eine handelsübliche Überwachungskamera, die Menschenströme filmen kann, zum Beispiel auf einer Rolltreppe. Aus diesem Menschenstrom werden nun Passbilder extrahiert, und diese Passbilder werden verglichen mit einer Datenbank gesuchter Krimineller."

Doch diese Technik hätte die Attentate nicht verhindert. Überall wurden die Terroristen gefilmt. Doch kein System hätte Alarm geschlagen. Denn die Terroristen waren nicht als solche bekannt und standen daher auch auf keiner Fahndungsliste.

Experte David Schiller hält deshalb die Pläne von Otto Schily sogar für gefährlich. Sie suggerieren eine Sicherheit, die sie nicht garantieren können.

David Schiller, Terrorismusexperte:
"Ich muss ja überhaupt erst mal ein klares Bild von einem Täter haben, und die Leute, mit denen wir es jetzt zu tun haben, die sind unerkannt, die sind unbeschriebene Blätter. Die Gegenseite hat eine Menge von Personal, eine Menge von Nachrückern, die sie jeder Zeit wieder in unser Land schicken kann, um hier Taten vorzubereiten. Die befinden sich jahrelang in Deutschland, fallen überhaupt nicht auf. Wie wollen wir die mit einer biometrischen Schleuse erfassen."

Zumal biometrische Geräte keine hundertprozentige Sicherheit gewährleisten. Sogar wenn die gesuchten Personen bekannt sind, gibt es immer wieder Schwierigkeiten mit dem Erkennen. Selbst eine Trefferquote von 90 Prozent hieße, dass Tausende auf jedem Flughafen überprüft werden müssten. Und das bundesweit. Das wäre ein enormer personeller Aufwand. Dabei beklagt die Gewerkschaft der Polizei schon jetzt, dass es 50000 Beamte zu wenig gibt. Vor allem aber: Das System kann nur identifizieren, wen es vorher kennt.

Voraussetzung für die Technik ist die Einführung neuer Personalausweise. Dort soll erst einmal der Fingerabdruck gespeichert werden. Erst einmal. Denn später können das auch Augen, Ohren oder ganze Gesichter sein, denn in der Gesetzesvorlage des Bundesinnenministeriums heißt es:

"Der Personalausweis darf neben dem Lichtbild und der Unterschrift auch weitere biometrische Informationen des Personalausweis-Inhabers enthalten."

Dafür müsste aber jeder Bundesbürger seinen Fingerabdruck abgeben und vielleicht sogar sein Gesicht vermessen lassen. Die Daten würden dann verschlüsselt auf einem Chip im Ausweis gespeichert werden. Der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Helmut Bäumler sieht durch das Gesetzesvorhaben wesentliche Grundrechte gefährdet. Die Unschuldsvermutung wäre nicht mehr gegeben, Bäumlers Kritik ist eindeutig.

Helmut Bäumler, Datenschutzbeauftragter Schleswig-Holstein:
"Ich kritisiere sie deshalb, weil sie einfach die Frage, wer hat wem was zu beweisen, umdreht. Zunächst einmal ist eine Spur da, und zunächst einmal ist jeder Bürger im Topf derer, die verdächtigt werden. Und danach kann er vielleicht, wenn er zum Kreis der Verdächtigen gehört, seine Unschuld beweisen. Bislang ist es umgekehrt. Den Nachweis der Schuld hat die andere Seite zu führen, darauf baut der ganze Rechtsstaat auf, und das dürfen wir nicht umdrehen."

Doch mehr Sicherheit bringt diese Einschränkung der Grundrechte nicht. Trotz Fingerabdruck - Terroristen wie Atta würden unbehelligt bleiben. Denn bis zur Tat waren sie gesetzestreue Bürger.

Schon in der DDR wurde ein ganzes Volk unter Generalverdacht gestellt. Deshalb gab es Videoüberwachung an zentralen Plätzen, wurden biometrische Daten gesammelt: damals in Form von Schweißproben, die der Identifikation der Bürger dienten.

Ebenfalls auf Schilys Wunschliste: Jeder Nicht-EU-Ausländer, der nach Deutschland einreist, soll seinen Fingerabdruck auf dem Visum hinterlassen.

In Malaysia hat man biometrische Systeme bereits seit Jahren erprobt - mit deutscher Technik. Am Flughafen muss schon heute jeder seine Hand auf einen Scanner legen, bevor er an Bord darf. Und das Gesicht wird verglichen mit einer Fahndungsdatenbank. Genützt hat es dem Land wenig. Terrordrohungen und Anschläge erschüttern auch diesen Staat. Trotz allgemeiner Überwachung. Auch hier gab es am 11. 09. ernst zu nehmende Drohungen. Das Wahrzeichen der Stadt, die Petronas-Towers wurden sofort gesperrt.

Sicherheit durch immer neue Überwachungstechniken - der Terrorismus-Experte David Schiller hält diesen Ansatz des Bundesinnenministers für grundfalsch und wenig erfolgversprechend.

David Schiller, Terrorismusexperte:
"Wir haben eigentlich sehr viele Leute in den unteren Dienststellen unseres Sicherheitsapparats, die wir mit sehr viel Idealismus arbeiten, aber denen nicht genügend Geld für die einfachsten Sachen zur Verfügung stehen. Für Funkgeräte, für Fahrzeuge, für neue Computer. Daran mangelt es, nicht an irgendwelchen Wunderwaffen, die man von oben auf das System der Sicherheit aufpfropft."

Zumal sich biometrische Systeme ohnehin überlisten lassen. So wie hier der Geldautomat mit Iriserkennung - scheinbar hundertprozentig sicher. Aber auch dieses System läßt sich täuschen: durch eine Linse mit aufgedrucktem Irisprofil.

Fälle wie der von Donald Stellwag könnten bald zu unserem Alltag gehören. Ein Justizirrtum, weil ein Richter einem biometrischen Gutachten vertraute. Das Attentat von New York wäre auch mit modernsten biometrischen Systemen nicht zu verhindern gewesen.