Terror in Paris - Was ist uns in Deutschland die Freiheit wert?

Nach dem Terroranschlag von Paris ist eins klar: die Terroristen des IS sind mobil und gut vernetzt. Moderne Kommunikationsmittel machen den IS zu einer globalen Bedrohung. Experten fordern jetzt schärfere Maßnahmen zur Überwachung der Kommunikation. Die Vorratsdatenspeicherung, so wie sie gerade von Bundestag und Bundesrat beschlossen wurde, sei nur ein stumpfes Schwert.

Anmoderation: Der Terror durch den IS: Eine der beherrschenden Fragen nach den Angriffen von Paris: Wie können unsere Sicherheitsbehörden der Bedrohung begegnen? - Wir wissen: Zur Vorbereitung von Anschlägen werden von den Terroristen Twitter, Facebook, Email - alle moderne Kommunikationsmittel genutzt, das hinterlässt Spuren. Die französischen Sicherheitsbehörden, die weitreichende Vollmachten haben, waren nach dem Anschlag in kürzester Zeit in der Lage, große Teile der Kommunikationswege der Attentäter nachzuvollziehen. In Deutschland wurde nun gerade das umstrittene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verabschiedet. Doch viele Sicherheitsexperten halten das für ein stumpfes Schwert. Iris Marx dazu.

Paris – im Januar 2015   - 17 Tote

Tunesien – im Juni       – 39 Tote

Suruc – im Juli            –  34 Tote

Ankara – im Oktober   – 102 Tote

Ägypten – im Oktober – 224 Tote

Beirut – November        – 44 Tote

13. November: Paris     – 132 Tote

Die Liste der Anschläge des sogenannten Islamischen Staats allein im Jahr 2015 ist lang. Es ist Glück, dass Deutschland noch nicht auf dieser Liste steht. Aber sind wir gut genug geschützt? Ein Schlagwort in dem Zusammenhang ist immer: Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung!

Anfang November hat das neue Gesetz dazu den Bundesrat passiert. 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht das alte Gesetz gekippt. Das neue gibt den Telekommunikationsunternehmen vor, die sogenannten Verkehrsdaten für eine bestimmte Frist zu speichern.

Die Verbindungsdaten, also zum Beispiel wer mit wem wann wie lange telefoniert oder getextet hat für zehn Wochen. Die Standortdaten, wo zum Beispiel telefoniert wurde, vier Wochen. E-Mails sind ausgenommen – ebenso der Inhalt der Kommunikation. Nur in dieser kurzen Zeit können die Daten bei schwersten Straftaten von Polizei oder Geheimdiensten abgerufen werden. Ein Richter muss dem vorher zustimmen.

Frankreich hat eine viel umfassendere Vorratsdatenspeicherung! Dennoch – die Anschläge in Paris konnten geschehen.

O-Ton Konstantin von Notz (MdB), Bündnis 90/Die Grünen

"…die haben seit Februar eine sehr ausgedehnte Sicherheitsgesetzgebung. Die schlimmsten terroristischen Anschläge in Frankreich haben sich eben ereignet trotz dieser Dinge und deswegen, ich kann nur sagen, ich sehe da ein dogmatisches juristisches Problem und das hab ich mir nicht ausgedacht, sondern das ist von zwei höchsten Gerichten so bestätigt worden."

Konstantin von Notz meint das Bundesverfassungsgerichtsurteil und eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.

Die Grünen im Bundestag planen auch gegen das neue Gesetz zu klagen. Die Vorratsdatenspeicherung bringe nichts und dafür müsse man keine Freiheitsrechte einschränken. Völlig unverständlich ist das in Zeiten des digital koordinierten Terrors für Berliner Staatsanwälte:

O-Ton Ralph Knispel, Vereinigung Berliner Staatsanwälte

"Kritiker mögen anführen, die Attentate in Paris sind dort trotz entsprechender Vorratsdatenspeicherung nicht verhindert worden, ja das stimmt, aber es werden jeden Tag auch keine Straftaten dadurch verhindert, dass es Fingerabdrücke gibt, es werden auch keine Straftaten dadurch verhindert, dass wir DNA-Muster haben, aber es ist eine Möglichkeit entsprechende Straftaten aufzuklären. Und vor allem, das ist das, was uns ein wenig verärgert und die Diskussion sicherlich auch öffentlich lähmt, wir werden nie irgendeine Statistik hervorbringen können, die belegt, wieviel Prozent der Straftaten verhindert werden durch Ermittlungsmöglichkeiten."

Selbst das Bundesverfassungsgericht war bei der Speicherungsfrist großzügiger. Sogar sechs Monate wären möglich gewesen. Das alte Gesetz hatte andere Schwachstellen, erklärt der Strafprozessrechtsexperte Prof. Heger.

O-Ton Prof. Martin Heger, Humboldt Universität Berlin

„Das Urteil des BVerfG sagt in der Tat nicht, dass VDS per se unzulässig ist, eher im Gegenteil. Es geht da um andere Punkte wie zum Beispiel die Datensicherheit,  dass es da kein Missbrauch gibt uns so weiter. Vielleicht noch eine Bemerkung. Es gibt ja solche Statistiken, die sagen: Es gibt kaum einen Erfolg 0,00000irgendwas an Fällen.
Wenn wir überlegen. Es kommt drauf an, was vergleichen wir. Natürlich, wir haben in Deutschland 6 Millionen Straftaten im Jahr registriert bei der Polizei. Wenn wir aber nur einen Terroranschlag verhindern, oder die Täter zeitnah verfolgen und dadurch verhindern, dass sie weitere Terroranschläge begehen, dann ist das auch nur 0,000000irgendwas von diesen 6 Millionen.“

Gesetze, die Bürgerrechte berühren, sind politisch heikel. Das jetzige Ergebnis ein Kompromiss. Aber selbst gegen die lasche Form regt sich Protest.

O-Ton Konstantin von Notz (MdB), Bündnis 90/Die Grünen

"Wenn Sie das Handy von 'nem Täter finden, den Computer beschlagnahmen, ja?, dann haben Sie  Ermittlungsansätze ohne Ende und häufig hat ja ein Telekommunikationsunternehmen noch irgendwelche Datenspuren oder so …"

Reporter

"Das hängt aber vom Zufall ab …"

O-Ton Konstantin von Notz (MdB), Bündnis 90/Die Grünen

"Mag sein, ja, mag sein, aber es ist eben, wissen Sie, es ist 'ne Frage der Grundsätzlichkeit, ob Sie zulassen wollen, dass der Staat das macht."

Geht es tatsächlich noch um Sachfragen, oder nur noch ums Prinzip?

O-Ton Ralph Knispel, Vereinigung Berliner Staatsanwälte

"Wenn hier auf der Basis von Datenschutz Diskussionen geführt werden, die hochakademisch sind, aber an der Wirklichkeit vorbeigehen, fühlen sich Opfer und Angehörige verhöhnt."

Eine Diskussion, die rückwärtsgewandt wirkt. Längst gibt es ganz andere Herausforderungen, bei der Strafverfolgung. Selbst internetbasierte Spielekonsolen sollen bei Anschlagsplanungen zum Einsatz kommen.

Reporter:

"Hemmt uns die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung, um halt neue Wege gehen zu können?"

O-Ton Ralph Knispel, Vereinigung Berliner Staatsanwälte

"Ich versteh die Frage und die Diskussion hemmt die Strafverfolgung nicht nur, sondern sie hat sie hinter den Stand zurückgeworfen den wir bereits hatten. Es war früher möglich und auch zulässig, dass beispielsweise Internetaufrufe gespeichert wurden. (…) Das war dann für die Ermittlungsbehörden die Möglichkeit, diese Seiten späterhin aufzurufen, zu schauen, welche Seiten das tatsächlich waren."

Mit dem neuen Gesetz kann man nicht mehr nachverfolgen, auf welchen Internetseiten ein Verdächtiger gesurft ist. Ein wichtiges Ermittlungswerkzeug, das nun wegfällt, so die Befürchtung der Staatsanwaltschaft. Ein gewisses Misstrauen gegenüber staatlichen Überwachungen ist gesund. Eine totale Überwachung will niemand.

Es muss vielleicht nicht immer Bürgerrecht versus Sicherheit sein; denn schließlich ist auch Sicherheit ein Bürgerrecht.

Abmoderation: Die Franzosen haben sich laut neuesten Umfragen entschieden: Sie sind bereit, Einschränkungen der Freiheit zugunsten der Sicherheit hinzunehmen. Und auch in Deutschland scheint sich der Wind zu drehen. Das Meinungsforschungsinstitut infratest dimap hat in unserem Auftrag gdreht sich nach den Anschlägen in Paris der Wind.  Nach einer repräsentativen Umfrage von Infratest Dimap

"Wären Sie persönlich bereit, Einschränkungen Ihrer Privatsphäre und des Datenschutzes im Kampf gegen den Terror hinzunehmen?" -  Mehr als die Hälfte der Befragten, 56 Prozent, sagten, ja, sie seien dazu bereit, - 37 Prozent wollen jedoch keine Einschränkungen der Privatsphäre und des Datenschutzes zum Zwecke der Terrorbekämpfung akzeptieren.

Interessant auch die Parteipräferenzen: Vor allem die Anhänger von Union, SPD und AfD stehen für eine Verschärfung der derzeitigen Bestimmungen. In den Reihen der Linken, vor allem aber der Grünen überwiegt demgegenüber die Ablehnung. Ein ganz grundsätzlicher Streit also, der uns noch lange begleiten wird.

( CDU 69, SPD 65, Linke 42, Grüne 19, FDP 50, AFD 61)

Beitrag von Iris Marx