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- Überwachungsskandal: Was darf der Bundesnachrichtendienst?

Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger in der BBC, Trittin im Guardian und Westerwelle in der New York Times. Selten genießen deutsche Politiker soviel Aufmerksamkeit im Ausland: Als Hüter der Persönlichkeitsrechte, des Datenschutzes, der Grundrechte. Parteiübergreifend wird mit dem Finger auf den britischen und US-amerikanischen Geheimdienst gezeigt, doch welche Rechte hat der Bundesnachrichtendienst im Ausland und wer kontrolliert ihn?

Bundesinnenminister Friedrich ist heute in Sachen NSA-Spionage-Affäre in die USA gereist. Ob er Tacheles reden wird mit den Amerikanern? Viele Politiker in Deutschland fordern das. Sie kritisieren empört, dass der US-Geheimdienst NSA seit Jahren flächendeckend Bürger im Internet ausforscht und in die Privatsphäre deutscher Bürger eindringt. Doch die wenigsten fragen sich, wie arbeitet eigentlich der deutsche Bundesnachrichtendienst im Ausland? Iris Marx mit Antworten.

Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger in der BBC, Westerwelle in der New York Times, Jürgen Trittin als Gastkommentator im britischen Guardian. Selten haben deutsche Politiker so eine Plattform im Ausland, auf der sie sich ausnahmsweise ganz positiv darstellen können: Als Hüter der Grundrechte.

Die Enthüllungen beim sogenannten NSA-Skandal erschüttern die Menschen, die auf einmal mitbekommen, dass ihre Kommunikation in Deutschland nicht geschützt ist.

Der amerikanische Geheimdienst NSA liest offenbar massenhaft Daten ungefiltert von den Glasfaserverbindungen aus, über die die meiste Kommunikation auf der Welt läuft – auch die deutsche.

Der Geheimdienst NSA handelt dabei nach amerikanischem Recht. Das besagt, der Geheimdienst muss nur die Grundrechte der US-Bürger respektieren. Überwacht er Ausländer im Ausland, kann er im Grunde tun und lassen, was er will.

Folge: Die massenhafte Überwachung von Deutschen. Das macht Vielen angst und ruft Empörung hervor.

Spitzelt der Bundesnachrichtendienst genauso wie die NSA im Ausland?

Wolfgang Bosbach (CDU), MdB
Vorsitzender des Innenausschusses

„So etwas macht Deutschland nicht, so etwas darf Deutschland auch nicht. Wir haben strikte rechtliche Vorgaben für den Bundesnachrichtendienst."

Wirklich? Was gilt für den Bundesnachrichtendienst, wenn er im Ausland tätig ist?

Prof. Otto Depenheuer
Staatsrechtsexperte Universität Köln

„Das entspricht vielleicht deutschem Selbstverständnis, dass wir freiheitlich sensibler sind, rechtsstaatlich sensibler sind. De facto machen sie das Gleiche.(…)"

Die deutsche Rechtslage ist mit der der USA durchaus vergleichbar: Im Ausland, wenn kein Deutscher betroffen ist, muss auch der Bundesnachrichtendienst den besonderen Schutz des deutschen Grundgesetzes nicht beachten.

Das ist die gängige Praxis des BND, so der ehemalige Vizepräsident des EU-Parlaments Dr. Gerhard Schmid. Er hat vor über zehn Jahren für das europäische Parlament die Überwachungsaktivitäten der Geheimdienste in Europa untersucht.

KONTRASTE
„Kann man die Rechtslage der amerikanischen Dienste mit der Rechtslage in Deutschland vergleichen?“
Gerhard Schmid
Vizepräsident Europäisches Parlament a. D.

„Ja! Ich kenne keinen Geheimdienst, der sich im Ausland um die Grundrechte der anderen scheren muss.“

Geschützt sind im Ausland also nur die eigenen Bürger.

Gerhard Schmid
Vizepräsident Europäisches Parlament a. D.

„Der Rest der Welt ist freiwild. Für alle Dienste, auch für den BND."

Doch das will kaum ein Politiker eingestehen. Selbst wenn er wie Hartwig Wolff für die Überwachung der Geheimdienste im Bundestag zuständig ist. Und wissen müsste, dass das sog. G-10-Gesetz, das die Überwachungstätigkeit des BND regelt, grundsätzlich nicht für Ausländer im Ausland gilt.

KONTRASTE
„Wie sieht denn die Rechtslage aus wenn der BND seinerseits im Ausland späht und kein Deutscher betroffen ist?“
Hartwig Wolff (FDP), MdB
Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium

„Also wir haben rechtliche Begrenzungen dahin gehend das bei uns die G10-Kommission für die Zugriffe auch des BNDs zu entscheiden hat.“
KONTRASTE
„Aber setzt das nicht voraus, dass Deutsche betroffen sind? Diese Einschränkungen sind doch sonst gar nicht anwendbar.“
Hartwig Wolff (FDP), MdB
Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium

„Die Anwendbarkeit ist nur dann gegeben im Rahmen der Gesetze, das ist richtig."

Auch Hans-Peter Uhl von der CSU räumt erst nach mehreren Nachfragen ein, dass sich der BND in diesem Punkt nicht anders verhalte als der US-Geheimdienst NSA.

Hans-Peter Uhl (CSU), MdB
Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium

„Da stehen ja jetzt großartige Einschränkungen nicht wirklich drin. In Bezug auf Deutsche schon, bei Ausländern nicht."

Dass der Bundesnachrichtendienst im Ausland so gut wie freie Hand hat und darüber kaum geredet wird, ist schon seit langem bekannt.

Das belegt eine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag über die sog. strategische Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes aus dem Jahre 1993. In der Antwort der damaligen Bundesregierung heißt es:
„Die Bundesregierung hat bisher keinen Anlass gesehen, über die Fernmeldeaufklärung des BND (...) öffentlich zu berichten."

Daran scheint sich bis heute nichts geändert zu haben…

Überschrift: Beschafft sich der BND - wie die NSA - die Daten direkt von den Glasfaserkabeln?

Gerhard Schmid
Vizepräsident Europäisches Parlament a.D.

„Es ist einigermaßen wahrscheinlich das der BND auch Abkommen mit Staaten hat, dass er da an die Kabel kommt, es würde mich sehr wundern wenn das nicht der Fall wäre, ich kann es nicht beweisen, also ich behaupte es nicht. Aber sagen wir mal, es hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit."

SPD-Mann Michael Hartmann, ebenfalls Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium für den BND, gibt indirekt zu, dass der BND ebenfalls Glasfaserkabel anzapft.

KONTRASTE
„Zapft der BND auch im Ausland Glasfaserkabel an?“
Michael Hartmann (SPD), MdB
Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium

„Natürlich ist der BND hoffentlich richtig auf der Höhe der Zeit und versucht alle technischen Möglichkeiten zu nutzen, die unseren Sicherheitsinteressen dienen."

Um überhaupt die Daten, die durch ein Glasfaserkabel fließen, auswerten zu können, muss zunächst der gesamte Inhalt ausgelesen werden.

Denn bei den Massen an Daten kann nur schwer vorher erkannt werden, was sich in einem Datenpaket verbirgt. Erst in einem zweiten Schritt erfolgt die Filterung etwa nach Absender, Empfänger oder Suchwörtern.

Über diese Art der Informationsgewinnung berichtet der BND auch ganz offen auf seiner eigenen Internetseite. SIGINT - es steht für Signal Intelligence, Signalaufklärung. Das amerikanische Prism-Programm ist nichts anderes.

Ist die Empörung der deutschen Politiker glaubhaft?

Natürlich überwacht der BND den internationalen Datenverkehr nicht genauso umfangreich wie die NSA. Es mangelt schlicht an den Ressourcen.

Doch egal, ob viel oder wenig – bei der sog. Fernmeldekontrolle ist es grundsätzlich schwierig, das richtige Maß zu finden.

Gerhard Schmid
Vizepräsident Europäisches Parlament a.D.

„Das prinzipielle Dilemma bei der strategischen Fernmeldekontrolle ist, dass sie keine Einzelgüterabwägung vornehmen lassen können, durch einen Richter, der entscheidet, wie der Konflikt zwischen dem Schutz der Privatsphäre und dem Anspruch des Staates, Sicherheit herzustellen, wie der aufgelöst werden kann und ob das gerechtfertigt ist. Das geht vom Verfahren her nicht, weil wir es nicht mit Personen zu tun haben, sondern mit Nachrichten, die entlang von Begriffen aussortiert werden."

Klar ist allerdings, dass umgekehrt auch Deutschland von der Überwachung der NSA profitiert - z.B. bei der Aufdeckung von Anschlagsplänen.

Prof. Otto Depenheuer
Staatsrechtsexperte Universität Köln

„Das ist eine gehobene Form von Scheinheiligkeit. Das was jetzt offenkundig geworden ist hat jeder, der alle Tassen beisammen hat, gewusst oder hätte wissen können."

Das hätten auch diejenigen wissen können, die heute in der Opposition sind - zum Beispiel die Grünen in ihrer Regierungszeit.

KONTRASTE
„Als Rot-Grün an der Macht war, die haben an der Situation der Geheimdienste auch nichts geändert?“
Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen), MdB
Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium

„Das stimmt, wir haben damals diese Dimension, über die jetzt diskutiert wird, überhaupt nicht gesehen. Da muss ich ja ehrlicherweise auch sagen, wir sind ja durch viele neuere auch technische Computermöglichkeiten überrascht worden."

Was folgt aus dem Skandal?

Wahrscheinlich nichts. Über die Grundsätze von Geheimdienstarbeit entscheidet die Politik. Und die sollte dann auch zu den Konsequenzen stehen.

Prof. Otto Depenheuer
Staatsrechtsexperte Universität Köln

„Man kann nämlich rational begründen, dass es Geheimdienste geben muss und dass die eben mit geheimdienstlichen Mitteln arbeiten. Ich hab den Eindruck in der deutschen Politik, so bald so etwas heraus kommt, schämt man sich dafür, dass man so etwas hat. (…) Und in einer Demokratie sollten verantwortliche Amtsträger auch dazu bereit sein die Existenz und die Tätigkeit der Geheimdienste, positiv zu begründen und zu legitimieren und sich davor zu stellen und sich nicht feige aus dem Staub zu machen, wenn irgendein Skandal oder ein Schein-Skandal Wirklichkeit wird."

Das heißt: Die durch Geheimdienste überwachte Welt ist die Realität – und das ist ein Skandal, an den sich die Bürger nicht gewöhnen möchten. Doch die Politik täuscht immer noch Ahnungslosigkeit vor. Bundesinnenminister Friedrich sollte nach seinem USA-Besuch vielleicht auch mal bei der BND-Zentrale in Pullach vorbeischauen. Für deren Aktivitäten ist er nämlich selbst verantwortlich.


Beitrag von Iris Marx