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- Umstrittene Provokateure – Polizei setzt auf minderjährige Alkohol-Testkäufer

Vorglühen, wegballern, Komasaufen – Alkoholmissbrauch gehört für immer mehr Jugendliche zum Alltag. In Niedersachsen setzt die Polizei nun auf minderjährige „Lockvögel“, um den verbotenen Verkauf an Jugendliche einzudämmen. Agent Provokateurs im Staatsdienst, meint der Kinderschutzbund und verurteilt diese Fahndungmethode.

Was würden Sie sagen, wenn Ihr minderjähriger Sohn oder Ihre Tochter sturzbetrunken von der Polizei aufgegriffen wird. Von wem hat Ihr Kind Hochprozentiges bekommen? Von Ihnen, aus dem Kühlschrank? Wohl eher ganz normal vom Kiosk oder der Tankstelle um die Ecke. Dabei weiß jeder: der Verkauf von Alkohol an Jugendliche unter 18 ist verboten. Nur daran hält sich kaum jemand. Die Behörden sind in der Regel machtlos. Doch in Niedersachsen setzt die Polizei jetzt auf eine neue, sehr interessante Kontrollmethode, - bei der wir uns allerdings fragen: Ist sie listig oder besonders hinterlistig? Axel Svehla.

Die 16 jährige Polizeischülerin Jessica hat einen aufregenden Tag vor sich.
Sie soll heute den Jugendschutz durchsetzen – als verdeckte Ermittlerin

Polizist
„Denk dran, ganz normal, ob die nach dem Alter gefragt haben, ob sie einen Ausweis sehen wollten, ganz normal und was Du kaufst wie immer, Wodka.“
Jessica, Polizeifachoberschülerin
„Baileys.“
Polizist
„Baileys ist auch nicht schlecht.“
Jessica, Polizeifachoberschülerin
„Baileys so für ein Mädel.“
Polizist
„Jetzt geb ich Dir noch mal Geld, damit Du einkaufen kannst …“

Jessica hat einen klaren Auftrag. Sie ist in Hannover unterwegs, um Alkohol zu kaufen – vor allem harte Sachen. Ihr Auftraggeber: die Polizei und das Ordnungsamt Hannover.

Durch den Einsatz minderjähriger Testkäufer wie Jessica soll kontrolliert werden, ob Supermärkte oder Kioske Hochprozentiges an Minderjährige verkaufen.

Jessica hat Erfolg. Der Kassierer fragte noch nicht einmal nach ihrem Alter.

Jessica, Polizeifachoberschülerin
„Er hat ja nicht reagiert, er hat mich auch angeguckt, mein Gesicht denke ich mal wahrgenommen und dann habe ich einfach bezahlt. Er hat den Preis genannt, ich hab bezahlt als wenn ich Butter oder Wurst kaufen würde.“

Gegen den Verkäufer leitet das Ordnungsamt sofort ein Bußgeldverfahren ein – Ausreden werden nicht geduldet.

Stefan Wittke, Pressesprecher Polizei Hannover
„Gerade hier war es wirklich keine besondere Stresssituation, dass dort ne Schlange von 20 Menschen gestanden hätte, die Jessica war die 4. oder 5. in einer Reihe und hinter stand kaum noch jemand, also es wäre durchaus Zeit gewesen zu sagen: Sag mal Mädel, wie alt bist Du eigentlich und das ist nicht erfolgt.“

Lasche Alterskontrollen machen es für Kinder und Jugendliche leichter, an Hochprozentiges zu kommen.

Jugendliche
„Ich seh’ älter aus und ich geh zu Kaufland rein und dann geh ich da durch, hol mir ne Wodkaflasche, geh einfach durch, die gucken mich halt an, die denken ich wäre 18 und dann geh ich einfach weiter.“
„Es kommt auch immer auf den Verkäufer an, manche sehen das locker und manche halt streng, je nach dem.“
„Joah!“


Dagegen sollen künftig in Niedersachsen minderjährige Testkäufer wie Jessica vorgehen. Das Ziel: Verkäufer abschrecken, das Jugendschutzgesetz durchsetzen, Verstöße in jedem Fall bestrafen.

Auf der Innenministerkonferenz der Länder vor einigen Wochen in Bremerhaven, warb der niedersächsische Innenminister für sein Testkäufer Modell.

Uwe Schünemann (CDU), Innenminister Niedersachen
„Ich sage nicht, dass man mit den Alkoholtestkäufen das Problem erledigt hat, aber wir müssen alles daran setzen, dass das Jugendschutzgesetz in Supermärkten, Kiosken oder auch an Tankstellen eingehalten wird.“

Doch einige Bundesländer wie Sachsen- Anhalt haben Bedenken. Die Jugendlichen würden als Provokateure missbraucht.

Martin Krems, Pressesprecher Innenministerium Sachsen Anhalt
„Es ist jedenfalls sehr schwierig, Minderjährigen klar zu machen wo die Haltelinien sind, wenn der Staat sie selber dafür engagiert, als Provokateur aufzutreten und eine Ordnungswidrigkeit zu begehen. Keiner möchte eigentlich im Umgang mit seinen Mitmenschen pausenlos die Angst haben, dass irgendwo ein Provokateur der Staatsmacht lauert, der einen reinlegen möchte.“

Jugendliche als verdeckte Ermittler der Polizei – das wird auch vom Deutschen Kinderschutzbund scharf kritisiert.

Heinz Hilgers, Deutscher Kinderschutzbund
„Ich glaube, dass wir die Kinder in unserem Land zu offenen und ehrlichen Menschen erziehen müssen und nicht zu hinterhältigen. Und agent provocateur zu sein, einen anderen zu einer Ordnungswidrigkeit, zu einer Straftat zu bewegen, um ihn dann anzuzeigen, ist hinterhältig und ein agent provocateur ist eigentlich ein Lump.“

Harte Worte – am Pranger stehen plötzlich diejenigen, die die Durchsetzung bestehender Gesetze überprüfen. Ist die 16jährige Jessika ein übler Spitzel?

Jessica ,Polizeifachoberschülerin
„Es macht keinen Spaß, aber ich hab, ich muss aber jetzt machen vom Job her, wir müssen’s ja machen und ich sehe auch den Sinn darin, also dass das verhindern soll dieses Komasaufen, dass sich da Jugendliche bis zum Erbrechen und darüber hinaus weiter betrinken.“

Doch heiligt der gute Zweck tatsächlich den provozierten Rechtsbruch?

Stefan Wittke, Pressesprecher Polizei Hannover
„Dieser Vorwurf agent provocateur der zielt auch an der Wirklichkeit vorbei, denn es ist so, dass die Jugendlichen immer die Wahrheit sagen, wenn sie gefragt werden. Wenn nach dem Ausweis gefragt wird, wird der Ausweis auch vorgezeigt, da wird an der Kasse nicht diskutiert, wenn gefragt wird, dann wir auch wahrheitsgemäß geantwortet. Aber wenn die Frage nicht einmal gestellt wird, dann ist hier keine Situation provoziert worden.“

Tatsache ist: Der Alkoholkonsum unter Jugendlichen nimmt rapide zu. Immer häufiger schädigen Minderjährigen ihre Gesundheit. Aufklärungskampagnen sind gegen die Lobby von Herstellern, Werbeindustrie und Handel nahezu machtlos. Ohne Kontrolle ist das Jugendschutzgesetz nicht das Papier wert, auf dem es steht.

Der Kinderschutzbund hingegen hält die bestehende Praxis für vollkommen ausreichend:

Heinz Hilgers, Deutscher Kinderschutzbund
„Wenn direkt verkauft wird, dann sollen das bitte die Ordnungsbehörden tun , die können den Kiosk beobachten und können da einschreiten. Und das tun sie auch in vielen Städten, die sehen und gehen dahin und werden tätig.“

Stefan Wittke, Pressesprecher Polizei Hannover
„Es ist nicht möglich, hier zum Beispiel Polizei und Jugendschützer der Stadt hier am ganzen Abend zu platzieren vor einem solchen Supermarkt. Eine effizientere und ich sage, bessere Methode um die Verstöße zu kontrollieren und schließlich auch zu ahnden, gibt es nicht.“

 

Beitrag von Axel Svehla