- Atommüll - Steuerzahler tragen Folgekosten

In wenigen Wochen rollt er wieder: Der Castor-Transport. Aber diesmal nicht nach Gorleben, sondern in das Zwischenlager bei Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern. Hierhin soll die so genannte Karlsruher Atomsuppe gebracht werden, radioaktiver Müll aus der ehemaligen Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe. Dass der hochradioaktive Atommüll ausgerechnet hier landet, wo er eigentlich gar nicht hin gehört, ist Kalkül - und erspart der Atomindustrie einen Milliardenbetrag. Manka Heise und Chris Humbs zeigen anhand exklusiver Papiere, mit welchen Tricks die Atomindustrie arbeitet.

Proteste in Mecklenburg-Vorpommern, kurz vor Weihnachten: Aktivisten ketten sich an die Schienen. Es dauert Stunden bis die Polizei den Weg frei gemacht hat. Der Widerstand richtet sich gegen diesen Castor-Transport. Atommüll wird nach Lubmin gebracht.

Hier, in dem einzigen Zwischenlager des Bundes, darf eigentlich nur der Müll gelagert werden, für den der Staat zuständig ist: Forschungsmüll und die Hinterlassenschaften der Kernkraftwerke der DDR. Kein anderer Müll.

Doch demnächst soll in diese Halle auch hochradioaktiver Industriemüll gebracht werden, der bei der Wiederaufbereitung von Brennstäben aus Atomkraftwerken angefallen ist. Die Menschen in der Region sind empört, dass in das Zwischenlager an der Ostsee nun auch der Müll der Atomkonzerne eingelagert werden soll.

Demonstrant
„Es wird auf jeden Fall dazu kommen, dass sich die Leute weiter formieren werden, auch für die weiteren Transporte, die im Januar, Februar kommen werden."

Hier, aus der stillgelegten Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe, kurz WAK, kommt Deutschlands problematischste Altlast. In den Boxen lagert der hochgefährliche Müll bis zu seinem Abtransport nach Lubmin.

Sylvia Kotting-Uhl, Bundestagsabgeordnete aus Karlsruhe, kritisiert, dass der Müll der Stromkonzerne nun auf Kosten der Steuerzahler entsorgt werden soll.

Sylvia Kotting-Uhl (B‘90/Grüne), MdB, Atompolitische Sprecherin
„Die WAK ist auch ein typisches Beispiel dafür, wie das Prinzip der Atomwirtschaft funktioniert. Die Gewinne werden im Allgemeinen eingefahren, die Kosten werden auf die Gesellschaft umgelagert. Und wenn wir mit einbeziehen, wie viel Kosten die Steuerzahler für die Atomwirtschaft übernehmen, dann ist der Atomstrom bei weitem nicht billig, sondern der teuerste Strom überhaupt."

Besonders billigen Strom erhofften sich die Stromkonzerne durch das Recycling von Brennstäben.

In der WAK hat man jahrzehntelang in einem komplexen Verfahren Brennstäbe aus vorwiegend kommerziellen Kernkraftwerken wieder aufgearbeitet. Eine Dienstleistung für die Energiekonzerne. Dabei entstanden 70.000 Liter hochradioaktive Säure - versetzt mit zig Tonnen Uran und Plutonium, die nun entsorgt werden müssen.

Die Entsorgung der Atomsuppe ist teuer: Mit hohem, technischen Aufwand wird sie erst verfestigt und anschließend verfüllt.

Für die Kosten ihres Mülls müsste die Industrie eigentlich selbst aufkommen. Auch für die Zwischenlagerung. Dafür hat die Industrie sogar eigene Zwischenlager – zum Beispiel oberirdisch in Gorleben.

Doch der Müll aus Karlsruhe wird trotzdem in das staatliche Lager nach Lubmin verschoben. Dort sollen die Castoren auf Kosten des Steuerzahlers nun jahrzehntelang zwischengelagert werden.

Die wundersame Verwandlung von Industriemüll in Müll, den der Staat zu entsorgen hat, gelang durch diese Geheimverträge. Sie wurden Anfang der 90er Jahre zwischen der Bundesregierung und der Atomwirtschaft abgeschlossen. Die Dokumente liegen KONTRASTE jetzt exklusiv vor.

Wolfgang Irrek, Energieökonom, hat sie für uns ausgewertet. Sein Fazit: Die Atomwirtschaft hat einen Teil ihrer Entsorgungskosten erfolgreich auf die Steuerzahler abgewälzt.

Prof. Wolfgang Irrek, Hochschule Ruhr-West, Institut für Energiewirtschaft
„Aus ökonomischer Sicht müsste das Verursacherprinzip gelten, dass diejenigen, die einen bestimmten Anteil an radioaktiver Belastung verursacht haben, auch einen entsprechenden Anteil an den Kosten tragen müssten. Und das haben wir hier eindeutig nicht."

Wie konnte es dazu kommen, dass der Bund auf dem Großteil der Entsorgungskosten sitzen bleibt?

Die Industrie hat den Staat überlistet.

Trick 1:
Die Entsorgung des Atommülls wurde pro Tonne Gewicht berechnet und eben nicht nach dessen Umwelt belastender Strahlenaktivität. Da Industrie und Staat gemeinsam für die Wiederaufarbeitungsanlage verantwortlich waren, mussten die Kosten für die Entsorgung aufgeteilt werden. In den Verträgen ordnete man 40 Prozent des Mülls der Industrie zu – 60 Prozent dem Staat, so genannter Forschungsmüll.

Doch auffällig ist, dass auf Seiten der Industrie mehr orange Fässer produziert wurden. Und in diesen orangenen Fässern ist die Radioaktivität wesentlich höher als in den gelben.

KONTRASTE
„Nichtsdestotrotz zahlt aber die Industrie nur 40 Prozent für die Entsorgung – 60 Prozent der Staat. Haben Sie irgendeine Erklärung dafür?“
Prof. Wolfgang Irrek, Hochschule Ruhr-West, Institut für Energiewirtschaft
„Aus meiner Sicht ist es nicht nachvollziehbar, dass die Quote auf 40-60 reduziert wurde. Denn der Anteil der radioaktiven Belastung, der von der Industrie verursacht wurde, beträgt etwa 70 Prozent."

Das bestätigt auch das Bundesumweltministerium: 70 Prozent der strahlenden Aktivität kommt von den kommerziellen Kernkraftwerken und ist somit der Industrie zuzurechnen.

Da bei der Endlagerung die Strahlenaktivität eine zentrale Rolle spielt, wäre also eine Kostenaufteilung von 70 zu 30 angemessen gewesen.

Letztlich geht es bei dem Geschiebe um Abermillionen Euro.

Trick 2:
Die Industrie setzte in den Verträgen durch, den eh schon zu geringen Anteil ihrer Entsorgungskosten auf einen Höchstbetrag zu begrenzen, also zu deckeln. Das heißt: Entstehen höhere Kosten als geplant, muss der Staat zahlen.

Prof. Wolfgang Irrek, Hochschule Ruhr-West, Institut für Energiewirtschaft
„Eine Deckelung von vorn herein in die Verträge einzubauen bei Atomanlagen, bei denen die radioaktiven Abfälle nachher Jahrtausende strahlen, halte ich für unverantwortlich."

Die Deckelung motivierte die Industrie, die Entsorgungskosten auf dem Papier möglichst niedrig erscheinen zu lassen. Dabei half ihr zum Beispiel ein unrealistischer Terminplan.

Anfang der 90er behauptete man dreist, dass eine Einlagerung des hochradioaktiven Abfalls in Gorleben bereits ab Mitte der 90er Jahre möglich sei. Ende der Einlagerung: 2003.

Doch Gorleben ist bis heute kein Endlager. Der Terminplan war schon aus damaliger Sicht nicht einzuhalten.

Insgesamt fallen für die Entsorgung des Mülls und den gesamten Rückbau der Wiederaufbereitungsanlage nach aktueller Kalkulation noch zusätzliche 1,6 Milliarden Euro für den Steuerzahler an. An dieser Summe beteiligt sich die Industrie mit keinem einzigen Cent.

Wieder mal müssen wir Bürger das also ausbaden. Dabei hätte die Bundesregierung durchaus Gelegenheit gehabt, die Verträge zu ändern - bei der jüngsten Verhandlung zu den Laufzeitverlängerungen der Atomkraftwerke nämlich.