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Ferkel (C) rbb 2009 | Bild: rbb

- Der Schmerz der Ferkel – unnötige Tierquälerei in der Schweinezucht

Sommer, Sonne, Barbecue: noch immer haben viele Deutsche den Willen zum Grillen – und nehmen dazu gern Schweinefleisch. Was kaum ein Verbraucher ahnt: Jährlich werden 22 Millionen Ferkel ohne jede Betäubung kastriert. Tierschützer fordern die Abschaffung dieser unnötigen Quälerei.

Normalerweise versuchen wir darauf zu verzichten, Bilder zu zeigen, die großen Ekel auslösen. Bei unserem nächsten Beitrag kommen wir nicht umhin, es doch zu tun: Denn wir möchten Ihnen vorführen, welche grausamen Methoden heutzutage in der Landwirtschaft bei der Ferkelaufzucht angewendet werden: Jedes Jahr werden Millionen männliche Ferkel ohne jede Betäubung kastriert, egal wie schmerzhaft die Prozedur für die Jungtiere auch sein mag. Und das passiert nicht etwa heimlich, sondern ist völlig legal. Eine unnötige Quälerei, wie Andrea Everwien, Alexander Kobylinski und Iris Marx zeigen.

Sommer, Sonne, Barbecue: des Deutschen liebstes Sommervergnügen heißt: Grillen. Egal ob Hackfleisch, Würstchen oder Schnitzel: Hauptsache heiß und fettig. Und die Krönung des Ganzen: das Spanferkel.

Wohl kaum ein Genießer ahnt, welchen Preis die Kreatur für sein Vergnügen zahlt.

Damit das Schnitzel nicht unangenehm nach Eber schmeckt – das mag der deutsche Verbraucher nämlich nicht - werden junge Ferkel kastriert: und zwar ohne Betäubung. Bilder, die jeden schockieren, der so etwas zum ersten Mal sieht.

Etwa 22 Millionen Mal im Jahr geschieht dies allein in Deutschland. Eine qualvolle Prozedur. Die Tiere sind danach starr vor Schmerz und Schrecken.

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft
„Das ist brutal. Das ist brutal. Man kann die Schweine nicht fragen, ob es ihnen Schmerzen bereitet, aber dass sie Schmerzen haben, kann man erkennen.“

Diese Schweine kennen den Schmerz der Kastration nicht. Sie leben auf dem Hof von Friedrich- Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Bis vor kurzem war er als Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament zuständig für Landwirtschaftspolitik. Als Schweinezüchter weiss Graefe: die Kastration der Tiere ist notwendig, weil der deutsche Verbraucher kein Fleisch mit Ebergeruch kaufen mag.

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft
„Es ist tatsächlich so, wenn ein männliches Tier zur verkehrten Zeit, wenn es schon älter ist, geschlachtet ist, kann es eine ganze Partie Wurst versauen und auch das andere Fleisch mit diesem Geruch infizieren und dann ist es für die Schlacht- und Wurstindustrie ein großes Problem.“

Aber der grüne Politiker Graefe findet es unerträglich, dass die Tiere meistens ohne Betäubung kastriert werden. Was ihn vor allem ärgert: das deutsche Tierschutzgesetz verbietet solche Quälerei nicht etwa, sondern erlaubt sie auch noch ausdrücklich. Dort heißt es, Zitat:
„Eine Betäubung ist … nicht erforderlich … für das Kastrieren
von unter acht Tage alten männlichen Schweinen“
.

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft
„Es muss ein klares Verbot der Kastration ohne Betäubung geben.“

Doch das zuständige Bundesministerium für Landwirtschaft weist diese Forderung zurück. Für ein Interview vor der Kamera hatte Ministerin Aigner keine Zeit. Schriftlich ließ sie uns mitteilen: Es gibt …, Zitat:
„aus Sicht des Bundesministeriums zur überwiegend betäubungslos vorgenommenen Kastration männlicher ... Ferkel . derzeit noch keine Alternative.“

Keine Alternative? Das stimmt so nicht, Frau Ministerin. Hier, auf dem Hof von Arno Jostmann in. Bielefeld .wird sie praktiziert. Die Ferkel werden kurz vor dem Eingriff in eine Maske gesteckt und mit einer Art Lachgas namens Isofluran betäubt. Isofluran wird auch für Menschen verwendet. Angst und Schmerz der Tiere werden so auf ein Minimum reduziert.

Arno Jostmann
„Na ja, wenn sie schlafen, kriegen sie nichts mehr mit. Was man ihnen halt wirklich nehmen kann, gerade bei der Kastration, zumindest jetzt hier, sind die Schmerzen.“

Folgt man dem Berliner Landwirtschaftsministerium, verhalten sich Bauer und Tierarzt hier gesetzeswidrig.

Das Ministerium verweist nämlich im Schreiben an KONTRASTE darauf, dass Isofluran in der EU für Schweine nicht zugelassen sei. Deshalb könne man es bei Ferkeln nicht generell anwenden.

Doch auch das stimmt so nicht.

München, die Akademie für Tierschutz Elke Deininger erforscht hier die Lebensbedingungen von Nutztieren. Die Tierärztin widerspricht dem Ministerium.

Elke Deininger, Veterinärin, Akademie für Tierschutz
„Das Isofluran hat keine EU-Zulassung, trotzdem darf es angewendet werden. Ganz legal, ganz gesetzlich. Es ist zugelassen und zwar für andere Nutztiere – für das Pferd – und deshalb darf es der Tierarzt auch für das Schwein in der sog. Umwidmung einsetzen. Also von daher, es gibt keinen Grund, wir könnten es heute sofort überall flächendeckend einsetzen.“

Es gibt ein weiteres Mittel, den Ebergeruch zu vermeiden: die Impfung per Injektion. Seit diesem Jahr ist sie in Europa offiziell zugelassen. Doch auch diese Möglichkeit lehnt das Ministerium ab. Begründung hier: Es fehle in der EU an Erfahrungen in der Praxis.

Elke Deininger, Veterinärin, Akademie für Tierschutz
„Die Erfahrungen mit der Impfung gegen den Ebergeruch liegen vor. Es gibt viele Länder, die das bereits seit vielen, vielen Jahren durchführen. Brasilien zum Beispiel oder Australien. Und mittlerweile hat es die EU-weite Zulassung, d.h. in jedem Land könnte das Mittel eingesetzt werden: fangen wir in Deutschland an, dann haben wir in kürzester Zeit die praktische Erfahrung.“

Es stehen also mindestens zwei praxistaugliche und sichere Methoden zur Verfügung.

Nur 5 Cent pro Kilo würde das Fleisch mehr kosten, wenn man den Tieren mit solchen Mitteln den unnötigen Schmerz ersparen würde. Doch dazu sind die meisten Bauern offenbar nicht bereit.

Nachfrage beim Bauernverband.

Der Generalsekretär zeigt zunächst Verständnis: Man gebe den Tieren doch seit neuestem Schmerzmittel.

Dr. Helmut Born, Deutscher Bauernverband
„Die Tiere werden vor der Kastration mit dem Schmerzmittel versehen und dieses hilft ihnen dann über diesen Eingriff hinweg, auch über den operativen Eingriff hinweg.“

Elke Deininger, Veterinärin, Akademie für Tierschutz
„Das Schmerzmittel, das gespritzt wird, das reicht überhaupt nicht aus, um den Kastrationsschmerz, also den chirurgischen Schmerz während des Eingriffs zu senken. Es wirkt minimal verbessernd auf den Wundschmerz, der danach die nächsten Tage nach der Kastration quasi entsteht. Aber auf den eigentlichen sehr, sehr starken Schmerz während dem Eingriff hat es überhaupt keinen Einfluss. Es ist nach wie vor eine betäubungslos durchgeführte Ferkelkastration.“

In der Gegenwart überlässt der Bauernverband die Ferkel also weitgehend den Schmerzen der Kastration.

Dafür verspricht er ihnen jedoch eine schmerzfreie Zukunft. Die Forderung des Bauernverbands: der völlige Verzicht auf die Kastration. Man wolle Eber züchten, die nicht mehr stinken.

Dr. Helmut Born, Deutscher Bauernverband
„Wir steigen aus der Ferkelkastration aus. Das kriegen wir aber nicht auf dem Tag genau hin, wir müssen dafür ein Umstiegsszenario einhalten. Wir müssen in der Züchtung, wir müssen in den Haltungsverfahren etwas tun, das braucht Zeit.“

Ein sehr vages Versprechen: Die Forschung braucht nämlich noch Jahre, um Ferkel ohne störenden Geruch zu züchten.

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft
„Selbst wenn man Forschung betreibt und möglicherweise die Kastration irgendwann man nicht braucht, weil man das Stinken verhindern kann, dann kann man doch jetzt schon betäuben.“

Es gibt kein Argument, das wirklich dagegen spricht.

Die Tierschützer machen hier mächtig Druck: so sehr, dass die Fast-Food-Ketten McDonalds und Burger King jetzt reagiert haben: spätestens ab 2011 wollen die Konzerne kein Fleisch von kastrierten Schweinen mehr verwenden.

 

Beitrag von Andrea Everwien, Alexander Kobylinski und Iris Marx