Atommüllfass vor Gartenzaun (Quelle: rbb)
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- Kein sicheres Atommüll-Endlager – Alternativen zu Gorleben gefordert

Nach dem Wahlsieg von Schwarz-Gelb hofft die Atomindustrie auf den Ausstieg aus dem Ausstieg. Doch noch immer ist die Endlagerung umstritten. Die CDU hält an Gorleben fest – trotz Empfehlungen von Wissenschaftlern, andere Standorte zumindest zu überprüfen.

Angela Merkel war es, die als Bundesumweltministerin einmal die zu hohe Strahlung eines Castor-Behälters relativierte, indem sie sagte: In der Küche ginge schließlich auch mal ein bisschen Backpulver daneben. Seitdem ist ihr der Zorn vieler Atomkraftgegner gewiss. Und der wird nun gesteigert: Denn die künftig Bundesregierung hat wohl vor, die Laufzeiten für Atomkraftwerke zu verlängern. Nicht nur das: Die zuständige Aufsicht über alternde Atomreaktoren, so erfuhren wir, geht künftig offenbar an das Wirtschaftsministerium! Auf unsere Anfrage kurz vor der Sendung zeigte sich Noch-Umweltminister Sigmar Gabriel besorgt:

Sigmar Gabriel (SPD), Bundesumweltminister
„Ja, ich befürchte auf der einen Seite, die Atomaufsicht aus dem Umweltministerium rauszunehmen und ins Wirtschaftsministerium zu geben, das wäre, wenn Sie so wollen, der politische Gau, denn dann gibt es keine Atomaufsicht mehr. Das Wirtschaftsministerium versteht sich bis tief in die Beamten gestaffelt als längerer Arm der Energiewirtschaft.“

Auch die Endlagerfrage will die Union jetzt in ihrem Sinne klären: Bei den Koalitionsverhandlungen mit der FDP setzt Angela Merkel ganz auf Gorleben. Dabei wäre es nach Meinung von Experten sinnvoll, auch andere Endlagermöglichkeiten zu testen. Chris Humbs, Andrea Böll und Manka Heise zeigen, dass es durchaus Alternativen gibt, sie haben einfach mal ins benachbarte Ausland geschaut:

Wir fliegen vom Bodensee Richtung Westen, den Rhein entlang. Direkt an der deutsch-schweizer Grenze erreichen wir ein besonderes geologisches Gebiet. Was kaum jemand weiß: in etwa 400 Metern Tiefe unter den Feldern erstreckt sich ein mächtiges Tonvorkommen. Wasserundurchlässig und beständig. Darin eingeschlossen, so sagen Wissenschaftler, könnte man sehr gut hochradioaktiven Müll lagern.

Ein Endlager – geeignet für den Atommüll deutscher Atomkraftwerke.

Von uns aus gesehen rechts des Rheins –in der Schweiz – wird der Ton für ein Endlager genauer untersucht. Links des Rheins in Deutschland, genauer gesagt in Baden-Württemberg – passiert nichts.

Günter Oettinger ist hier Ministerpräsident. Wir wollen wissen, ob man hier im Ländle über ein Endlager nachdenkt, ob vielleicht schon geforscht wird.

KONTRASTE
„Eine Frage zum schönen Baden- Württemberg: Wir kommen grade vom Bodensee Richtung Rheinfall rüber. Da gibt es ein großes Tonvorkommen. Kann man jetzt davon ausgehen, dass Baden-Würtemberg mit einer Endlager-Suche jetzt hier anfängt?“
Günther Oettinger (CDU), Ministerpräsident Baden-Württemberg
„Es gibt eine ganz klare Beschlusslage in Deutschland. Wir müssen Gorleben abschließend prüfen. Und Gabriel hat jetzt seit sieben Jahren nichts getan. Wir werden in der nächsten Regierung den Standort Gorleben, der mir geeignet erscheint, mit allen offenen Punkten prüfen. Und ich glaube, dass dann die Frage entschieden ist.“

Also kein Endlager in Baden-Württemberg.

Stattdessen Gorleben, der angeblich so geeignete Standort in Niedersachsen. Doch warum ein Endlager ausgerechnet in einem Salzstock und ausgerechnet hier?

Rückblick: Ursprünglich sollte hier in den 70er Jahren ein gigantisches nukleares Entsorgungszentrum entstehen. Der wichtigste Teil war eine Wiederaufbereitungsanlage für Brennstäbe – eine so genannte WAA.

Weil die aber radioaktives Jod 214 freisetzt, das sich ausgerechnet in Kuhmilch anreichert, suchte die Politik eine Gegend, in der es kaum Milchwirtschaft gab. Deshalb fiel die Entscheidung auf das dünnbesiedelte Gorleben im damaligen Zonenrandgebiet.

Der Salzstock wurde damals bis auf ein paar Probebohrungen nicht auf seine Qualität als Endlager untersucht.

Die WAA wurde dann aus vielerlei Gründen doch nicht gebaut – übrig blieb Gorleben als geplantes Endlager. Eine politische Entscheidung – keine wissenschaftlich begründete. Bis heute ein Problem.

Noch-Umweltminister Gabriel stoppte deshalb weitere Erkundungen, solange nicht geklärt ist, welche Bedingungen für ein Endlager erfüllt sein müssen.

Sigmar Gabriel (SPD), Bundesumweltminister
„Das Kernproblem ist, dass die Auswahlkriterien nie die waren, die man für ein Endlager braucht. Man muss ja eigentlich eine Systematik so machen, was sind die Kriterien und dann prüfen wir Standorte gegen die Kriterien und der beste Standort wird es. Wir haben es umgekehrt gemacht. Wir haben erst einen Standort genommen und haben dann versucht, Kriterien entlang des Standortes zu entwickeln. Das ist natürlich hoch fragwürdig.“

Bis heute weiß niemand, ob der Salzstock Gorleben überhaupt als Endlager taugt. Experten fürchten, dass der atomare Müll nicht sicher genug eingeschlossen wird. Strahlender Abfall könnte durch das wasserlösliche Salz beispielsweise ins Grundwasser gelangen.

Bisherige Untersuchungen sind wenig aufschlussreich – zu oft hat die Politik in der Vergangenheit Einfluss genommen und wissenschaftliche Studien manipuliert. Viele Akten werden außerdem bis heute geheim gehalten.

Das schürt das Misstrauen in der Bevölkerung. Noch kurz vor der Bundestagswahl protestierten Zehntausende gegen die Pläne der Politik, Gorleben als Endlager durchzusetzen.

Doch ein alternativer Erkundungsstandort kommt für die Union nicht in Frage.

KONTRASTE
„Macht es nicht Sinn zweigleisig zu fahren? Dass man halt sagen kann, das eine ist dann vielleicht dann doch besser, dann nimmt man eben das als Endlager?“
Günther Oettinger (CDU), Ministerpräsident Baden-Württemberg
„Nein das macht keinen Sinn.“
KONTRASTE
„Warum nicht?“
Günther Oettinger (CDU), Ministerpräsident Baden-Württemberg
„Weil die Beschlusslage klar ist. Gorleben gilt als bestgeeignet.“

Wieder in der Luft. In der Schweiz, nur wenige Kilometer von der deutschen Seite entfernt, wird geforscht. Probebohrungen laufen. Hier erkundet man – ganz anders als in Deutschland – sogar drei mögliche Standorte für ein Endlager.

Per Auto machen wir uns weiter auf den Weg, um näheres über das Entsorgungskonzept der Schweizer zu erfahren.

Fünf Kernkraftwerke gibt es bereits. Weitere Meiler sollen gebaut werden. Der anfallende Atommüll soll möglichst bald in ein sicheres Endlager.

Wir fahren zum Forschungsbergwerk Mont Terri. Hier wird untersucht, ob sich Ton zur Endlagerung hochradioaktiven Mülls eignet. Ton hat gegenüber Salz den Vorteil, dass er nicht wasserdurchlässig ist.

An den Resultaten sind auch andere Staaten interessiert – wie Belgien und Frankreich, die ebenfalls auf den sogenannten Opalinuston setzen.

Wir wollen wissen, warum man in der Schweiz drei Endlagerstätten parallel untersucht.

Michael Aebersold, Bundesamt für Energie (Schweiz)
„Wir haben eben auch festgestellt, dass die Leute, die betroffen sind von einem solchen Standort, auch wissen möchten, warum hier, warum nicht an einem anderen Ort… Und das heißt automatisch, man kann sich nicht fokussieren auf einen Standort, sondern man muss Optionen haben, die man vergleichen kann.“

Und mit den Ergebnissen der Untersuchung geht man hier ganz offen um. Was in den Studien oder Gutachten steht, ist für alle zugänglich. So können sich jederzeit auch interessierte Bürger informieren. Das war auch in der Schweiz nicht immer so.

Marcos Buser, Geologe und Aufsichtsrat Mont Terri-Projekt
„Man hat das in einer damals normalen autoritären, wissenschaftlichen Art gemacht. Wir Experten wissen, was zu tun ist und unser Urteil ist gut. Punkt, fertig, Schluss. Und ich glaube, das hat sich geändert. Nach 20 Jahren hat man gesehen, mit diesem Verfahren kommt man nicht weiter. Man muss die Menschen einbeziehen, man muss ihre Sorgen mit einbeziehen.“

Was in der Schweiz funktioniert, könnte auch in Deutschland klappen. Voraussetzung wäre, eine standortoffene Endlager-Suche wie es hier gemacht wird: unter Einbeziehung aller Betroffenen und mit absoluter Transparenz.

Marcos Buser, Geologe und Aufsichtsrat Mont Terri-Projekt
„Ich denke, das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Die Leute spüren das, ob man offen ist, denen eigentlich sagt, was man weiß und was man nicht weiß. Ich glaube, dass ist ganz zentral.“

Ein Rat, der in Berlin nicht ankommt. Im Kanzleramt will man uns kein Interview zum Thema geben. Transparenz Fehlanzeige. Gorleben-Akten dürfen auch wir nicht einsehen. In Deutschland hat man aus den Fehlern von Gorleben immer noch nichts gelernt.

Beitrag von Chris Humbs, Andrea Böll und Manka Heise