Leck im Kühlsystem - wie gefährlich ist Berlins Forschungsreaktor? Quelle: rbb
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- Leck im Kühlsystem – wie gefährlich ist Berlins Forschungsreaktor?

Das "Aus" für die deutschen Atomkraftwerke ist beschlossene Sache. Ausgenommen davon sind jedoch bislang die deutschen Forschungsreaktoren. Jetzt ergaben KONTRASTE-Recherchen, daß es beim Forschungsreaktor des Berliner Helmholtz-Zentrums gravierende Sicherheitsmängel geben soll.

Die Kehrtwende in der Energiepolitik stand heute im Fokus der Regierungserklärung von Kanzlerin Merkel. Zu Wochenbeginn hatte das Kabinett ja den schrittweisen Atomausstieg bis 2022 beschlossen. Acht Kernkraftwerke sollen sofort stillgelegt werden. - Bei der wochenlangen Debatte um die Sicherheit von Atomkraftwerken hat man allerdings eines ganz außer Acht gelassen: Die Frage nach der Sicherheit der Forschungsreaktoren, die wir ja in Deutschland auch noch haben.

Dabei bestehen hier offenbar gravierende Mängel, wie Chris Humbs berichtet.


Frau Michaelis hält mal wieder Ausschau nach tief fliegenden Passagierflugzeugen. Direkt über dem Berliner Atomreaktor.

In den 60er Jahren kaufte sie sich diese Eigentumswohnung am Wannsee. Dass nebenan ein Forschungsreaktor ist, hat man ihr damals nicht gesagt. Inzwischen ist der Mailer sogar vergrößerst worden. Das nukleare Zentrum beunruhigt sie immer mehr.

Sabine Michaelis, Anwohnerin
„Ich bin der Meinung nach diesen vielen Katastrophen auch weltweit kann man gar nicht mehr davon ausgehen, dass was nicht möglich ist.“

Der in die Jahre gekommene Reaktor ist einer von drei großen nuklearen Forschungseinrichtungen in Deutschland. Für den Wissenschaftsstandort Berlin sei er enorm wichtig,

schreibt die regierende SPD in einer Broschüre, deshalb will man, Zitat:
„... den Forschungsreaktor, den zahlreiche Wissenschaftler aus aller Welt für ihre Forschung nutzen, unbedingt erhalten.“

Doch genau das ist riskant, meint Dr. Thilo Scholz. Als leitender Ingenieur und Konstrukteur am Berliner Reaktor hat er sich vor kurzem mit seinem Arbeitgeber überworfen. Denn: In seinen Augen wird der in die Jahre gekommen Reaktor mit viel zu hoher Risikobereitschaft betrieben. Nun wandte er sich an Kontraste:

Dr. Thilo Scholz, ehem. Helmholtz-Zentrum Berlin
„Der Reaktor in Wannsee ist so wie er steht nicht betriebsfähig, sicherheitstechnisch bedenklich. Es ist eine große kerntechnische Anlage von 10 MW Leistung, die zwar nicht der Stromerzeugung dient aber als Forschungsreaktor doch im erheblichen Maße radioaktives Material enthält.“

Das klingt äußerst bedenklich. Wir gehen der Sache nach.

Betrieben wird der Reaktor vom Helmholtz-Zentrum Berlin. Das Geld kommt größtenteils vom Bundesforschungsministerium. Der Name Helmholtz hat keinen guten Ruf – gerade wenn es um atomare Risiken geht.

So war ein Zentrum der Helmholtz-Gemeinschaft für das atomare Forschungsendlager Asse verantwortlich. Die Zustände dort waren katastrophal. Wasser drang ein. Radioaktives Material wurde ausgespült. Als der Skandal öffentlich wurde, nimmt die Kanzlerin dem Helmholtz-Zentrum und der Forschungsministerin die Asse weg. Das Bundesumweltministerium muss nun retten, was zu retten ist.

Wir würden nun gerne wissen, in welchem Zustand der Helmholtz-Reaktor wirklich ist. Aber: im Reaktorgebäude dürfen wir nicht drehen. Die Öffentlichkeit ist unerwünscht.

Der Reaktor – hier grob skizziert - befindet sich bei diesem Typ ohne schützende Hülle in einer art doppelten Badewanne. Das Wasser kühlt den Reaktor und es schirmt die Strahlung ab. Gebaut wurde der Reaktor um Neutronen zu erzeugen – für die Forschung.

Diese Neutronen werden dann durch spezielle Leiterbahnen in die Experimentierhalle gelenkt. Zu den Wissenschaftlern.

Um die Neutronen einzufangen, braucht man ein Bauteil, das sich direkt am Reaktor befindet: das so genannte konische Strahlrohr – es ist aus Aluminium. Einmal eingefangen, treffen die Neutronen auf dünne Leitungen - gefüllt mit minus 250 Grad kalten Wasserstoff. Sie bremsen die Neutronen für die Wissenschaftler ab.

Genau dieses Strahlrohr hält der ehemalige Konstrukteur vom Helmholtz-Zentrum für riskant:

Dr. Thilo Scholtz, ehem. Helmholtz-Zentrum Berlin
„Dieses Bauteil – das konische Strahlrohr – ist sicherheitstechnisch das kritischte Bauteil am ganzen Reaktor.“

Das wusste man schon vor 20 Jahren, als das Strahlrohr erstmals eingebaut wurde. Trotzdem haben alle ein Auge zugedrückt. Das geht aus Dokumenten hervor, die KONTRASTE von Gutachtern zur Verfügung gestellt wurden.

Dr. Thilo Scholtz, ehem. Helmholtz-Zentrum Berlin
„Es gab damals eine Sonderfreigabe vom TÜV, weil die geforderten Werkstoffkennwerte schon damals nicht erreicht wurden.“

Damals konnte man das Bauteil schlicht nicht besser herstellen. So lebte man mit dem erhöhten Restrisiko, mit der Gefahr, dass sich gefährliche Risse bilden.

Nun wurde das Strahlrohr während der letzten Monaten ersetzt. Die befristete Sondergenehmigung war abgelaufen. Aber: das neue Strahlrohr ist ähnlich riskant wie das alte.

Denn: das Neue wurde auf nahezu gleiche Weise gefertigt. Und das, obwohl es längst – wie hier zu sehen - moderne Verarbeitungsverfahren für Aluminium gibt, die dieses Bruch-Risiko stark minimieren. In Hochdruckkammern wird der Werkstoff verdichtet, kleine Risse werden ausgeheilt.

Rennställe der Formel 1 nutzten diese Technik bereits seit Ende der 80er Jahre.

Dr. Thilo Scholtz, ehem. Helmholtz-Zentrum Berlin
„Das heißisostatische Pressen wurde für das Vergüten von Motorenblöcken in der Formel 1 erfolgreich eingesetzt, wo Minirisse früher zu Motorenplatzern führten, die dann natürlich das Ende des Rennens für den Fahrer und eine Öllache für die nachfolgenden Autos bedeutete.“

Der Konstruktionsleiter des Helmholtz-Zentrums wollte das neue Bauteil nach dieser inzwischen industriell eingesetzten Methode anfertigen, um das Restrisiko deutlich zu minimieren. Doch er rannte gegen Wände:

Die Geschäftsleitung war dagegen. Von der Chefetage will niemand vor die Kamera. Man teilt uns lediglich mit, Zitat:
„Sicherheit stehe jederzeit an oberster Stelle“.

Natürlich würde man nur „zugelassene Materialien“ verwenden. Und das riskante Herstellungsverfahren, wäre ja damals zugelassen worden.

Die alte Zulassung wird nun auf das neue Teil übertragen. Somit spart sich der Betreiber ein aufwändiges, neues Prüfverfahren.

Dr. Thilo Scholtz, ehem. Helmholtz-Zentrum Berlin
„Das heißt man baut es ein und braucht nicht parallel irgendwelche Proben ziehen. Das heißt, man kauft sich ein, dass man auf jeden Fall den Reaktor betreiben kann und muss dieses Strahlrohr nicht weiter kontrollieren. Das gibt einem natürlich eine Betreibersicherheit aber keineswegs eine Betriebssicherheit.“

Da es keine Prüfungen gibt, kann es auch keine alarmierende Befunde geben, die das Abschalten des Reaktors erzwingen würden. Der Reaktor kann also laufen, egal in welchem Zustand das neue Strahlrohr tatsächlich ist.

Gern hätten wir von der für die Berliner Atomaufsicht verantwortlichen Senatorin, Katrin Lompscher, gewusst, ob sie über die Risiken informiert wurde und warum sie nicht eingeschritten ist. Aber auch hier: kein Interview.

Grundsätzlich stellt man sich auf den Standpunkt, dass bei Baugleichheit eine Art Bestandsschutz gelten würde. Entsprechend dürfe man dem Betreiber – erfahren wir - nicht ein Mehr an Sicherheit aufzwingen.

Wenig beruhigend. Doch das Helmholtz-Zentrum Berlin hat noch eine weitere Merkwürdigkeit auf Lager. Das meint der ehemalige Leiter der Reaktorsicherheitskommission des Bundes. Auch ihm zeigten wir die Dokumente. Das neue Teil ist offensichtlich gar kein Nachbau, denn es wurde völlig neu konstruiert. Das alte war zum Beispiel fest verschweißt, das neue ist mit einer Dichtung verschraubt. Vor diesem Hintergrund hätte die Berliner Atomaufsicht verlangen können, dass das neue Bauteil per Hochdruckverfahren verfestigt wird.

KONTRASTE
„Das heißt, die Behörde müsste sagen, bauen sie bitte ein Teil ein, was sicherer ist?“
Lothar Hahn, ehem. Leiter Reaktorsicherheitskommission
„So ist es. Das kann die Behörde machen. Diese Möglichkeit hat sie.“
KONTRASTE
„Muss die Behörde das machen? Ist sie verpflichtet das durchzusetzen?“
Lothar Hahn, ehem. Leiter Reaktorsicherheitskommission
„Eigentlich schon, eigentlich schon. Es gibt immer Ermessungsspielräume: Hat sich er der Stand von Wissenschaft und Technik wirklich geändert? Scheint hier der Fall zu sein. Handelt es sich hier um eine wesentliche Änderung? Scheint ja auch der Fall der zu sein. Insofern müsste das die Behörde eigentlich tun.“

Sie tut es aber nicht. Ein Spiel mit dem Feuer.

Ein mögliches Unfallszenario sieht wie folgt aus:

Platzt eine Leitung innerhalb des Bauteils, entweicht der minus 250 Grad kalte Wasserstoff unter hohem Druck. Extreme Spannungen lassen kleine, unerkannte Risse anwachsen. Das Rohr platzt.

Die Katastrophe beginnt. Kühlwasser läuft aus dem Becken. Durch das Leck strömt Sauerstoff aus dem angrenzenden Raum und reagiert mit dem Wasserstoff - direkt am Reaktorkern. Das Kühlwasser erhitzt sich.

Laut Notfallplan muss nun die Belegschaft wie folgt reagieren: Es, Zitat:
„… wird der Kern in das intakte Becken gebracht und dieses wird vom schadhaften durch das Trenntor abgesperrt …“

Das heißt, die andere Seite des Beckens wird abgedichtet, damit dort das noch verbliebene Kühlwasser gesichert werden kann.

Der Kern soll dann auf die gesicherte Seite gehoben und weiter gekühlt werden.

Aber das könnte in der Realität nicht mehr funktionieren. Denn das Notbecken ist seit einem Jahr nicht mehr dicht. Eine Schweißnaht ist gerissen. Das gibt das Helmholtz-Zentrum inzwischen sogar zu. Das Wasser läuft so von der sicheren Seite in das Becken mit dem großen Loch. Durch den Druck könnte sich der Riss schnell ausweiten.

Das Helmholtz-Zentrum erklärt uns, dass die undichte Stelle irrelevant sei, der Reaktor könnte trotz Riss betrieben werden. Doch wie kann das irrelevant sein? Wir wollen Belege sehen. Aber man verweigert uns die Herausgabe von Bildern.

Dr. Thilo Scholz, ehem. Helmholtz-Zentrum Berlin
„Auch intern wurden die Bilder dieses Risses unter Verschluss gehalten. Das ganze Problem wurde meiner Meinung nach unter den Teppich gekehrt.“

Der Grund hierfür könnte sein, dass der Riss äußerst unzugänglich ist. Die Strahlung dort ist enorm. Es ist völlig unklar, ob eine Reparatur überhaupt gelingt. Und falls ja, wäre sie extrem aufwändig.

Dr. Thilo Scholz, ehem. Helmholtz-Zentrum Berlin
„Es ist ganz klar, dass dieser Riss ein erhebliches Problem für den Fortbetrieb des Reaktors bedeutet.“

Bei einem solchen Störfall könnte der Riss aber katastrophale Auswirkungen haben:

Das stark erwärmte Restwasser verdampft. Der Reaktor wird immer heißer. Durch Reaktionen entsteht immer mehr Wasserstoff. Zudem steigt die Strahlung massiv an.

Um die Mitarbeiter zu schützen, wird evakuiert und der Reaktorkern sich selbst überlassen. Die Brennstäbe haben nach außen so gut wie keine Barriere. Kommt es zur Wasserstoffexplosion werden große Mengen hochradiaktive Partikel freigesetzt.

In Berlin bläst oft Westwind. Große Teile der Hauptstadt wären dann über Generationen kontaminiert. Das Berliner Olympiastadion wäre ebenso betroffen, wie der Ku-damm oder der Bundestag. Das alles wegen eines Risses, den der Betreiber und die Berliner Atomaufsicht für nicht so wichtig halten.

Lothar Hahn, ehem. Leiter Reaktorsicherheitskommission
„Das ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Wenn es einen Riss gibt in der Nähe des Reaktorkerns, dann muss man sich das anschauen, da ist ein gewisser Einfluss auf die Sicherheit gegeben.“
KONTRASTE
„Man macht es aber nicht.“
Lothar Hahn, ehem. Leiter Reaktorsicherheitskommission
„Da muss die Bundesaufsicht tätig werden.“

Zuständig hierfür ist Bundesumweltminister Röttgen. Es liegt nun an ihm und seiner Behörde, ob die Sicherheitsfragen bei Forschungsreaktoren ähnlich ernst genommen werden, wie bei den kommerziellen Atomkraftwerken.

Von all diesen Sicherheitsproblemen wissen die Anwohner des Reaktors in Berlin-Wannsee nichts.

Die Berliner Atomaufsicht hat noch einmal auf unsere Recherchen reagiert. Der Riss am Reaktor sei nicht "sicherheitsrelevant", das Material für das "konische Strahlrohr" sei geprüft und zertifiziert. Also angeblich alles sicher - unsere Zweifel bleiben.

 

Beitrag von Chris Humbs