- Dumpinglöhne im Briefgeschäft

Während die Politik noch über die Einführung eines Mindestlohns streitet, zeigt ein Blick ins umkämpfte Briefgeschäft, welch haarsträubende Zustände auf dem Arbeitsmarkt herrschen. Geringverdiener sortieren Briefe auf dem Küchentisch und fahren sie im Privatauto aus - für einen Stundenlohn von teilweise unter 5 Euro. Auch die Deutsche Post greift auf externe Dienstleister zurück.

Ärger mit der Postzustellung, meine Damen und Herren: Briefe, die den Empfänger nicht erreichen, Post, die verspätet ankommt oder an eine falsche Adresse abgeliefert wird? Kennen Sie? Dann sind Sie bei weitem keine Ausnahme. Das Internet ist inzwischen voll von Foren, in denen sich verärgerte Postkunden beschweren. Doch die mangelnde Zuverlässigkeit der Post hat am wenigsten mit den Briefzustellern selbst zu tun! Im Gegenteil: Sie sind die Leidtragenden des inzwischen nur noch profitorientierten Briefgeschäfts und müssen für Dumpinglöhne schuften. Sascha Adamek und Markus Pohl.

Es ist kaum zu glauben, aber hier werden fremde Briefe auf einem Küchentisch sortiert. Heidrun K. ist Briefzustellerin und möchte unerkannt bleiben. Die heimische Wohnung ist ihr Arbeitsplatz. Die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern ist Minijobberin. Und ihre Arbeit Vertrauenssache.

Heidrun K. (Stimme nachgesprochen)
„Also hier das sind Telefonrechnungen, Handyrechnungen. Sachen die die Leute wahrscheinlich im Internet bestellt haben.“
KONTRASTE
„Also schon sehr vertrauliche Daten?“
Heidrun K. (Stimme nachgesprochen)
„Ja! Gerade die Kontoauszüge find ich … Wer möchte schon als Privatmensch seine Post bei fremden Leuten in der Wohnung auf dem Tisch sehen oder auf dem Fußboden oder sonst wo.“

Meistens sind es zwischen 100 und 200 Briefe pro Schicht. Ihr Arbeitgeber ist ein Subunternehmen des privaten Postversenders TNT. Er zahlt keinen festen Stundenlohn. Heidrun K. wird für jeden Brief einzeln bezahlt. 11 Cent sind es pro Stück. Von einem Mindestlohn von 8 Euro 50, wie er jetzt diskutiert wird, kann sie nur träumen:

Heidrun K. (Stimme nachgesprochen)
„Wenn ich jetzt z.B. Mehrfachzustellungen habe, dann bin ich schnell fertig. Aber wenn ich an jede Tür muss, dann brauch ich länger. Also unter 2 Stunden schaff ich das nicht. Das geht nie.“
KONTRASTE
„Bei 100 Briefen verdienen Sie 11 Euro.“
Heidrun K. (Stimme nachgesprochen)
„Ja.“
KONTRASTE
„Das heißt pro Stunde 5,50€.“
Heidrun K. (Stimme nachgesprochen)
„Ja.“

Für die Fahrten mit ihrem eigenen PKW erhält sie ein Kilometergeld von 10 Cent - gerade mal ein Viertel des üblichen Satzes. Eine Arbeit, die sich kaum lohnt. Doch Heidrun K. mag nicht zu Hause sitzen. Aber die bisherigen Gesetze schützen sie nur unzureichend vor Ausbeutung durch den Arbeitgeber. Trotz Nachfrage hat sie nicht einmal einen Arbeitsvertrag erhalten. Der Arbeitsrechtler Professor Peter Schüren hält es für ein Alarmzeichen, wenn ein Unternehmen zu solchen Methoden greift.

Prof. Peter Schüren
Arbeitsrechtler, Universität Münster

„Dann zeigt das, dass man böse Sachen vorhat. Denn natürlich hat der Arbeitnehmer Anspruch auf einen Arbeitsvertrag, weil er wissen muss, wie seine Arbeitsbedingungen sind. Das ist also schon ein ganz klares Zeichen dafür, dass hier ein faules Spiel betrieben wird.“

Was uns Heidrun K. mit ihren Abrechnungen belegen konnte, bestreitet ihr Arbeitgeber energisch. Jeder komme hier auf 10 Euro Lohn in der Stunde und erhalte für jeden Kilometer 20 Cent, behauptet er, und selbstverständlich gebe es auch einen Arbeitsvertrag.

KONTRASTE
„Haben Sie mal einen Musterarbeitsvertrag, den Sie uns geben könnten?“
Arbeitgeber
„Kann ich ihnen gern heute Nachmittag machen.“
KONTRASTE
„O.K.“
Arbeitgeber
„Das ist kein Problem, können Sie gerne haben.“
KONTRASTE
„Dann schicke ich Ihnen eine Mail, dann können Sie das rübermailen.“
Arbeitgeber
„Wir haben nämlich nichts zu verbergen.“

Die versprochene Email hat das Unternehmen bis heute nicht geschickt.

Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten. Wie ist das beim größten Unternehmen am Markt? Ein Briefkasten der Deutschen Post AG. Der ehemalige Staatskonzern rühmt sich sauberer Arbeitsbedingungen und bezahlt seine eigenen Mitarbeiter nach Tarif. Dieser Mann in Post-Uniform leert Briefkästen. Seltsam nur: Er tut dies mit einem Privat-Auto mit polnischem Kennzeichen.

Der Mann hat täglich eine feste Tour. Aber wer hat ihn beauftragt? Und wie gut wird er bezahlt? Es stellt sich heraus: Sein Arbeitgeber ist ein Subunternehmer der Deutschen Post, den wir an dieser unscheinbaren Adresse in Berlin finden. Dort geben wir uns als Jobsuchende aus. Wir fragen mit versteckter Kamera nach den Arbeitsbedingungen:

Gedächtnisprotokoll:
KONTRASTE

„Was verdiene ich denn da?“
Subunternehmer
„Kommt drauf an. Wir rechnen immer die komplette Fuhre für das ganze Jahr aus. Wenn wir das ausgerechnet haben, kommen wir auf einen monatlichen Schnitt und dann bekommen Sie das Geld pauschal. Es kommt drauf an, wie viel Sie arbeiten, die einen machen 160 Stunden, die anderen 80 Stunden. Es gibt Fuhren wo wir sechs Euro zahlen, es gibt welche, wo es sieben Euro sind.“
KONTRASTE
„Brutto?“
Subunternehmer
„Ja, brutto.“

6 Euro Brutto Stundenlohn also. Tags darauf wollen wir die Firma in einem Interview mit der Kamera konfrontieren:

KONTRASTE
„Wenn Sie sagen sechs Euro. Das ist doch ein Dumpinglohn. Das ist deutlich unter den Postlöhnen.“

Doch der Firmen-Chef bricht das Interview ab. Ob der polnische Briefkastenleerer überhaupt angemeldet ist, erfahren wir nicht.

Gibt es womöglich noch mehr solcher privaten Dienstleister bei der Post AG? Das Briefverteilzentrum in Stahnsdorf bei Berlin. Private Kleintransporter mit deutschem und polnischen Kennzeichen, einer nach dem anderen. Am Abend treffen wir hier auch wieder auf unseren Briefkasten-Entleerer. Wie alle anderen möchte auch er besser nicht über seinen Lohn mit uns reden:

Postfahrer
„Entschuldigen, Sie sprechen mit Chef aus Post?“

Natürlich haben wir die „Chefs" der deutschen Post AG nach den Dumpinglöhnen gefragt. In ihrer Antwort schieben sie die Schuld auf die Subunternehmer ab:

„Die Verantwortung für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen inkl. der Höhe der Vergütung der Mitarbeiter liegt beim Servicepartner und seiner Zuständigkeit als Arbeitgeber."

Der Experte hält das für rechtlich unzulässig.

Prof. Peter Schüren
Arbeitsrechtler, Universität Münster

„Die Post kann nicht beliebig Subunternehmer beauftragen, die also gruselige Arbeitsbedingungen fahren. Die Post muss auch darauf achten, dass ihre Subunternehmer sich mit auskömmlichen Arbeitsbedingungen am Markt bedienen.“

Aber eine effektive Kontrolle der Arbeitsbedingungen ist kaum möglich. Mehr als 850 Unternehmen in Deutschland haben eine Lizenz zur Briefbeförderung. Wie viele von diesen wiederum Subunternehmer beauftragen, ist unbekannt.

Der Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel sitzt im Beirat der Deutschen Netzagentur, die den Postmarkt regulieren soll. Er setzt auf einen gesetzlichen Mindestlohn, denn Tarifverträge zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften allein könnten das Problem nicht lösen.

Klaus Barthel (SPD)
Bundestagsabgeordneter

„Wir sehen im Briefsektor, dass eben das, was durch Tarifautonomie geregelt werden kann, immer mehr weg bricht, weil bei den Wettbewerbern aber auch bei der Deutschen Post AG selber mit Outsourcing, mit Subunternehmen, mit Werkverträgen, mit Stücklöhnen, mit all diesen Praktiken die Tarifautonomie ausgehebelt wird.“

Ein gesetzlicher Mindestlohn würde immerhin die gröbsten Auswüchse von Lohndumping auf dem Briefmarkt stoppen.

Die Deutsche Post hat übrigens auf unsere Recherchen reagiert. Sie will die Vorwürfe gegen den Berliner Subunternehmer jetzt vor Ort klären.

 

Bietrag von Sascha Adamek und Markus Pohl