Techno, marsch: die Berliner Love Parade - "Wir waren eine musikalische Familie"

Di 01.07.14 | 15:19 Uhr

Ohrenbetäubende Technomusik, schrille Outfits und tausende Menschen in Ekstase. So kannte man die Love Parade in ihren besten Zeiten. Dabei hat die erste Parade in Berlin vor 25 Jahren ganz klein angefangen. Neben Hauptinitiator Dr. Motte gehörte auch Helge Birkelbach zum Gründungsteam der Technoparade. Anna Tschöpe hat ihn getroffen.

Die erste Love Parade wurde als Demonstration mit dem Motto "Friede, Freude, Eierkuchen" angemeldet?

Helge Birkelbach: Das war im Grunde genommen ein Sponti-Spruch von Motte. Also einfach so locker rausgeworfen. Anscheinend fragte man bei der behördlichen Anmeldung nach einem offiziellen Motto. Und dann hat Motte einfach "Friede, Freude, Eierkuchen" gesagt, weil es lustig klang. Aber den meisten Teilnehmern war das total egal. Hauptsache, wir konnten unser Lebensgefühl raus auf die Straße tragen.

Was war das für ein Lebensgefühl?

In dieser neuen Szene rund um das UFO herrschte eine Offenheit gegenüber allen Lebensweisen und gegenseitiger Respekt. Wir hatten einfach irren Spaß an dieser neuen elektronischen Musik – einen Spaß, den wir aber auch reflektiert haben. Das war nicht nur purer Hedonismus, sondern da keimte etwas und wir merkten, dass diese Musik eine unheimlich starke Kraft hatte. Und diese Kraft wollten wir aus unserem abgezirkelten Bereich heraustragen in die Öffentlichkeit.

Deswegen die erste Love Parade?
Genau. Das Ventil musste geöffnet werden.

Dann sind Sie mit einer Gruppe von ungefähr 150 Leuten im gediegenen Charlottenburg über den Ku'damm marschiert – das war schon ungewöhnlich, oder?

Auf jeden Fall. Wir waren Underground und gingen in den absoluten Overground, tanzten und demonstrierten auf der  Flaniermeile schlechthin. Damit wollten wir zeigen: 'Leute, es gibt auch etwas anderes als materiellen Konsum.' Kultur kann etwas sehr Beglückendes sein. 

Wie haben die Passanten auf die Parade reagiert?

Ich erinnere mich zum Beispiel an eine ältere Dame, die dann sagte: 'Ach, das ist ja lustig, was Sie da machen.' Die meisten Passanten reagierten eher positiv, manche irritiert, einige natürlich auch desinteressiert. Wieder so eine komische Demo, dachten die wahrscheinlich. Einige schlossen sich auch an und gingen einfach mit.

Die Technomusik spielte dabei eine tragende Rolle?

Die elektronische Musik war für uns das verbindende Element. Wir waren eine musikalische Familie und hatten einen gemeinsamen Beat: 120 bpm - Herzfrequenz. Das hat schon etwas Magisches, man kann sich richtig in Trance tanzen. Ethnologisch gesehen hatte es etwas von alten Stammestänzen rund um das Lagerfeuer. Unser Tanz war Techno, das Lagerfeuer, die blitzenden Stroboskope. Und einen Zeremonienmeister hatten wir auch:  der DJ, den alle kannten. Und der DJ kannte uns.

Was waren das damals für Leute auf der ersten Parade?

Ganz unterschiedliche Menschen. Es  kamen viele Kreative und Künstler zur Parade. Danielle de Picciotto zum Beispiel, die damals mit Motte zusammen war. Natürlich auch Musiker wie Inga Humpe, die ja eigentlich eher Pop produzierte. Aus der Gay-Szene stießen auch einige schrille Typen dazu, die dann mit ihren Outfits Farbe in die Parade brachten.

Hätten Sie damals damit gerechnet, dass sich die Love-Parade so entwickelt?

Nein, damit gerechnet habe ich nicht, aber gewünscht und gehofft. Und dass sich dann ein Jahr später schon 2.000 Menschen auf dem Ku'damm trafen, war natürlich beglückend für uns alle. Aber irgendwann hat es Dimensionen angenommen, die ich nicht mehr so toll fand. Da setzte leider auch ein unkontrollierter Drogen- und Alkoholkonsum ein. Konsum statt Innovation. Aus dieser Techno-Kirmes habe ich mich dann eher zurückgezogen. 

Wann kam für Sie dieser Punkt?

Die Zäsur erlebte ich bei der letzte Parade auf dem Ku'damm 1995. Das entscheidende Erlebnis war, dass ich eine Schlägerei mitansehen musste. Die erste Schlägerei auf einer Love Parade! Das ist natürlich ein Widerspruch in sich: Menschen, die sich gegenseitig die Fresse polieren bei einer fröhlichen Demonstration für Liebe und Respekt – das geht gar nicht.

Vermissen Sie die Love Parade?

Nein. Ich denke, dass jedes popkulturelle Phänomen seine Zeit hat, und diese Zeit ist jetzt vorbei. Die Menschen entwickeln sich, entdecken Neues. Die Musik entwickelt sich, die Welt dreht sich weiter. Und das ist auch in Ordnung so.

Das Interview mit Helge Birkelbach führte Anna Tschoepe

Kleine Geschichte der Love Parade

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