Bruder Ayhan aus Haft entlassen - Sürücü-Mörder in die Türkei abgeschoben

Fr 04.07.14 | 12:41 Uhr
Video: Abendschau | 04.07.2014 | Matthias Deiß

Am 7. Februar 2005 wurde Hatun Sürücü auf offener Straße erschossen - von ihrem eigenen Bruder Ayhan. Dieser "Ehrenmord" löste eine Debatte über verfehlte Integration und Parallelgesellschaften aus. Nach über neun Jahren im Gefängnis wurde Ayhan Sürücü am Freitagmorgen entlassen - und sofort abgeschoben.

Der Mörder von Hatun Sürücü, ihr Bruder Ayhan, ist nach Informationen des rbb am Freitagmorgen aus der Haft entlassen und sofort in die Türkei abgeschoben worden.

Nach 9 Jahren und 3 Monaten Haft wurde er in den frühen Morgenstunden aus der Berliner Justizvollzugsanstalt Plötzensee direkt zum Flughafen Tegel gebracht. Dort bestieg er in Begleitung von zwei Beamten der Bundespolizei eine Maschine der Türkish Airlines, die am Vormittag in Richtung Istanbul abhob.

Am 7. Februar 2005 hatte der damals 18-Jährige seine älteste Schwester Hatun mit drei Kopfschüssen getötet. Als Motiv gab er verletzte Familienehre und den westlichen Lebensstil seiner Schwester an. Ayhan wurde 1986 in Berlin geboren und besitzt bis heute keinen deutschen Pass.

Der Tod der 23-jährigen Hatun Sürücü hatte bundesweit Entsetzen und eine bis heute andauernde Debatte über gescheiterte Integration, Parallelgesellschaften und sogenannte Ehrenmorde ausgelöst.

Türkische Justiz nicht an Strafverfolgung interessiert

Noch während der Haft hatte die Berliner Ausländerbehörde die Ausweisung von Ayhan Sürücü verfügt. Er habe auch hinter Gittern keine "plausible Reue" gezeigt, heißt es in dem Ausweisungsbescheid, der dem rbb vorliegt: "Ihr Verhalten führt zu dem Schluss, dass Sie auch zukünftig nicht willens und bereit sind, sich in die hiesige gesellschaftliche und verfassungsmäßige Ordnung zu integrieren."

Im Prozess hatte Ayhan Sürücü erklärt, Einzeltäter gewesen zu sein. Trotz Zeugenaussagen, die eine Tatbeteiligung von weiteren Familienmitgliedern nahe legten, folgte ihm das Gericht und sprach seine beiden mitangeklagten Brüder Mutlu und Alpaslan frei. Im August 2007 hob der Bundesgerichtshof die Freisprüche für Mutlu und Alpaslan Sürücü wieder auf. Die beiden Beschuldigten leben aber mittlerweile in Istanbul und dürfen nicht ausgeliefert werden. Bislang zeigt die türkische Justiz kein echtes Interesse an einer Strafverfolgung.

Ayhan wurde 1986 in Berlin geboren

Im Gespräch mit den beiden rbb-Reportern Jo Goll und Matthias Deiß, die 2011 in der ARD-Dokumentation "Verlorene Ehre" die Hintergründe über den Tod von Hatun Sürücü beleuchteten, gab Ayhan Sürücü an, zunächst im Haus seines Bruders Mutlu in Istanbul unterkommen zu wollen. Dort könne er eine eigene Wohnung beziehen und sich in Ruhe Gedanken über seine Zukunft machen.

Mit Deutschland habe er abgeschlossen, so der heute 27-Jährige weiter. Trotz einer in der Haft absolvierten Psychotherapie und einer dreijährigen Lehre zum Tischler habe man ihm keinerlei Hafterleichterungen zugestanden.

Die Ehre der Eltern beschmutzt

Hatun kommt im Januar 1982 als Tochter eines kurdischen Paares in Berlin-Kreuzberg zur Welt. Ihre Eltern sind Anfang der 70er-Jahre aus der Türkei nach West-Berlin übergesiedelt. Hatun ist das fünfte von neun Kindern und das erste Mädchen in der Familie. Mit ihren streng traditionellen Eltern gerät sie in der Pubertät in Konflikt: Ihr Vater meldet sie vom Gymnasium ab, mit 16 wird sie mit einem Cousin in der Türkei verheiratet. Mit ihm zerstreitet sie sich, kehrt 1999 schwanger nach Berlin zurück.

Sie verlässt die Eltern, zieht mit Sohn Can in ein Heim für junge Mütter. Jetzt pflegt sie den westlichen Lebensstil: kein Kopftuch, dafür Jeans, Turnschuhe, Beziehungen zu Männern, Lehre als Elektroinstallateurin. Aus Sicht ihrer Eltern beschmutzt sie die Ehre der Familie.

Der Fall Hatun Sürücü

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"Verlorene Ehre - der Irrweg der Familie Sürücü": Die Dokumentation aus dem Jahr 2011 widmet sich den Hintergründen des Mordes an der Deutsch-Türkin Hatun Sürücü im Jahr 2005. Matthias Deiß und Jo Goll machten sich sechs Jahre nach der Tat auf die Suche nach den Sürücüs und Freunden der Familie. Der Täter Ayhan redet darin zum ersten Mal vor der Kamera. Der Film wurde 2012 mit dem "Prix Europa" ausgezeichnet und ist eine Koproduktion des rbb und des WDR.