Aktuelle Stunde im Abgeordnetenhaus - Innensenator Geisel sagt rückhaltlose Aufklärung zu

Do 18.05.17 | 21:39 Uhr
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Innensenator Andreas Geisel (SPD) im Berliner Abgeordnetenhaus (Quelle: imago/Maurizio Gambarini)
Video: Abendschau | 18.05.2017 | Dorit Knieling | Bild: dpa

Der Innensenator steht unter Druck: Mitarbeiter des Landeskriminalamtes sollen im Fall Amri Akten manipuliert haben. Zwar sagte Geisel am Donnerstag Aufklärung zu, aber der Stuhl des LKA-Chefs scheint zu wackeln. Und ein Untersuchungsausschuss wird immer wahrscheinlicher.

Im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den Attentäter Amri wird es nun möglicherweise doch einen Untersuchungsausschuss geben. Das wurde in einer aktuellen Stunde des Berliner Abgeordnetenhauses deutlich, in der am Donnerstag über Manipulationsvorwürfe gegen das Landeskriminalamt debattiert wurde.

Die innenpolitischen Sprecher von SPD- und CDU-Fraktion, Frank Zimmermann und Stephan Lenz, schlossen die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses nicht mehr aus. Gleichzeitig lobten beide Politiker die gute Arbeit des Sonderermittlers Bruno Jost, der innerhalb kürzester Zeit neue Verdachtsmomente zu Tage gefördert habe. Sowohl Lenz als auch Zimmermann plädierten auch für eine baldige Sondersitzung des Innenausschusses, um die Vorwürfe zu klären.

Geisel kündigt Aufklärung an

Bisher waren die Ermittler davon ausgegangen, dass Amri nicht festgenommen werden konnte, weil er nur mit kleinen Mengen von Drogen handelte. Aus Sicht des Sonderermittlers stellt sich das aber anders dar. Am Mittwoch hatte Innensenator Andreas Geisel (SPD) bekanntgegeben, dass es einen Sachstandsbericht des Polizeilichen Staatsschutzes vom 1. November 2016 gebe, aus dem hervorgeht, dass Amri in großem Stil Drogenhandel betrieb. Diese Erkenntnisse beruhten auf der Telekommunikationsüberwachung des Tunesiers.

Laut Geisel hätte der Bericht ausgereicht, um Amri zu verhaften. Doch der Bericht wurde nicht weitergeleitet. Stattdessen, so der Verdacht, wurde am 17. Januar, also gut einen Monat nach dem Terroanschlag, ein neuer Bericht erstellt - und auf November zurückdatiert. In diesem war nur noch von geringfügigem Handel mit Betäubungsmitteln die Rede.

Generalstaatsanwalt leitete am 20. Oktober neue Ermittlungen ein

Auch die Berliner Generalstaatsanwaltschaft hat sich am Donnerstag zum Ablauf der Ermittlungen geäußert. Aufgrund der Telefonüberwachung habe es Anhaltspunkte dafür gegeben, "dass Amri zwar in kleinem Umfang, aber wiederkehrend Betübungsmittel-Geschäfte tätigte", teilte der Pressesprecher des Generalstaatsanwalts, Martin Steltner, mit. Daraufhin habe die Behörde die Polizei aufgefordert, erneut zu ermitteln, "und zwar auch deswegen, weil der Verdacht eines gewerbsmäßigen Betäubungsmittel-Handels Grundlage für verdeckte Maßnahmen hätte sein können", schreibt Steltner in einer Pressemitteilung. Wegen eines Verstoßes gegen Paragraph 29 des Betäubungsmittelgesetzes seien am 20. Oktober 2016 solche Ermittlungen auch eingeleitet worden.

Geisel dementiert bevorstehende Entlassung von LKA-Chef Steiof

Geisel kündigte im Abgeordnetenhaus eine rückhaltslose Aufklärung an. Die Polizei dürfe Fehler nicht verschleiern, betonte er in seiner Rede vor dem Abgeordnetenhaus. Gegen mehrere Mitarbeiter seien disziplinarrechtliche Maßnahmen ergriffen worden, sagte Geisel. Außerdem hat die Berliner Landesregierung Anzeige gegen Mitarbeiter des LKA wegen Verdachts auf Strafvereitelung und Falschbeurkundung gestellt. Insgesamt sei sein Vertrauen in die Polizeibehörde aber ungebrochen, sagte der SPD-Politiker am Donnerstagabend dem rbb. Die Umstände würden zunächst ordentlich untersucht, analysiert und bewertet, sagte Geisel der rbb-Abendschau. Man sei klug beraten, besonnen vorzugehen.

Einen Bericht der "Berliner Morgenpost", wonach der Chef des LKA, Christian Steiof, kurz vor der Ablösung stünde, dementierte Geisel. Auch Rücktrittsforderungen an Polizeipräsident Klaus Kandt wies Geisel zurück. Jetzt Schnellschüsse zu fordern, sei im Hinblick auf die Sicherheitssituation in der Stadt nicht klug, sagte Geisel dem rbb. Für die Gefährdung der Sicherheitslage seien Terroristen verantwortlich, nicht die Polizei.

Bund Deutscher Kriminalbeamter kritisiert Informationspolitik

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Landesverband Berlin, wirft Geisel in diesem Zusammenhang eine Vorverurteilung des polizeilichen Staatsschutzes vor. Der Senator hätte zunächst die Ermittlungen abwarten müssen, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Carsten Milius am Donnerstag dem rbb. Allein die Begründung eines Tatverdachts, "auch wenn es sich tatsächlich um gewerbsmäßigen Rauschgifthandel gehandelt haben sollte", rechtfertige nicht notwendigerweise die Festnahme eines Verdächtigen, heißt es dazu in einer Pressemitteilung, die der BDK am Donnerstag parallel verbreitete.

Linke, FDP und AfD fordern Ex-Senator Henkel zu Stellungnahme auf

Redner der Linken, sowie von FDP und AfD forderten in diesem Zusammenhang, die Rolle des ehemaligen Innensenator Frank Henkel (CDU) genauer zu untersuchen. Der Abgeordnete der Linken, Hakan Tas, erklärte, es müsse die Frage gestellt werden, ob der damalige Innensenator seine Behörde im Griff gehabt habe: "Herr Henkel, ich fordere Sie auf, jetzt Stellung zu beziehen."

Der FDP-Abgeordnete Marcel Luthe und AfD-Fraktionsvize Karsten Woldeit kritisierten auch den amtierenden Innensenator Geisel. Woldeit sprach von einem Bauernopfer: Die Verantwortung solle jetzt auf einen Beamten niedergedrückt werden, so der AfD-Mann. Luthe erklärte, es dränge sich der Verdacht auf, dass Geisel bereits seit Längerem von der möglichen Manipulation gewusst habe. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux, nahm den Senator in Schutz: Geisel habe nichts zu verbergen, erklärte er in seiner Rede.

Anschlag mit zwölf Toten

Der Anschlag auf dem Breitscheidplatz am 19. Dezember mit zwölf Toten "hätte womöglich verhindert werden können", sagte Geisel am Mittwoch. Der Tunesier Amri war am 19. Dezember mit einem zuvor gekaperten Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gerast. Er tötete zwölf Menschen, weitere 67 wurden bei dem bislang folgenschwersten islamistischen Terroranschlag in Deutschland verletzt. Wenige Tage später wurde Amri auf der Flucht in Italien von der Polizei erschossen.

Sendung: Abendschau, 18.05.2017, 19:30 Uhr

19 Kommentare

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  1. 19.

    Wenn das so ist ,dass man Dealer die im großen Stil Handel betreiben ,dann
    nicht auch festnimmt ?
    Und falls es Ausländer sind abschiebt.
    Deutsche Dealer müssten natürlich auch mit
    Gefängnis Aufenthalt bestraft werden.

  2. 18.

    Ähm: 1. Das die von Ihenn genannten Organisationen von Perosnen aufgebaut wurden, die ggf. eine nationalsozialistische Vergangenheit hatten, liegt vor allem daran, dass dort das Fachwissen lag. Oder wollen Sie die angesprochenen Organisationen von Schustern oder ähnlich unqualifizierten Berufsgruppen aufbauen lassen? Es hat also schlicht mit know-how zu tun und gewiss nichts mit den bei Ihnen anklingenden Verschwörungstheorien.
    2. Ich weiß nicht, was Sie mit Nachlässigkeiten meinen. Ich ahbe vielmehr den Eidnruck, dass immer, wenn eine rechtsradikale Gesinnung zu tage Tritt, konsequent dagegen vorgegangen wird. Wenn das nicht der Fall ist, wie beim NSU oder beim jüngsten Bundeswehrfall, können Sie ja quasi live verfolgen, was dann passiert: nämlich Entlassungen, Öffentlichkeit, Reformen.

  3. 17.

    Wie man wissen kann, sind alle von mir genannten Organisationen nach dem 2.WK von alten Nazis aufgebaut worden. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Und 68 Jahre lang extremste Nachlässigkeiten beim verfolgen von Nazitätern, denen fast 1000 Menschen zum Opfer gefallen sind, sprechen ein Übriges. Von der finanziellen Unterstützung von Naziorganisationen durch den Verfassungsschutz gar nicht zu reden. Wenn man 1 und 1 zusammenzählen kann, könnte man Methode hinter diesem Wahnsinn erkennen.

  4. 16.

    Lückenlose Aufklärung? Gelächter ... Das LKA ist geübt mit Bauernopfern ... So wird es auch diesmal wieder sein und die Politik an der Nase herumgeführt ... !

  5. 14.

    Ja, das ist ein plausibler Ansatz. Ein Delikt "laufen lassen" um die Ermittlung für ein schwereres nicht zu gefährden. Vermutlich ein sehr schmaler Grat. Hätte Amri aufgrund dieser Taktik unter Aufdeckung einer Zelle dingsfest gemacht werden können wäre allseits Applaus aufgebrandet. Was aber nicht hinein passt in das Bild: Wenn ich Anlass habe eine terroristische Tat zu vermuten und deswegen nicht inhaftiere bei Begehung eines "gewöhnlichen" Deliktes, dann kann man doch nicht die Überwachung einstellen. Merkwürdig alles.

  6. 13.

    "Ob sie leben oder sterbend auf der Straße liegen interresiert auch niemanden. Sollte man ihnen helfen oder nicht ist völlig egal!"(sarkasmus off) Es gibt wichtigeres wie sie und ihre Meinung.

  7. 12.

    Vielleicht wollte das rechtsradikale Netzwerk aus BW, Geheimdiensten, BKA und LKA's und Polizei ja auch das Amri das tut, was er getan hat. Das ist ja offensichtlich einfacher als eigene Leute zu gefährden, die sich als Asylbewerber ausgeben müssen.

  8. 11.

    Meine Theorie: Das LKA, oder welche Polizeibehörde auch immer, ahnte zwar, das Amri irgendwas vorhaben könnte. Nur nicht was. Also ließ man ihn unbehelligt, um noch mehr Erkenntnisse über ihn und aus der Szene zu gewinnen. Nach dem Anschlag herrschte erst große Bestürzung und dann folgte die mutmaßliche Vertuschungsaktion. Klingt zwar ein wenig nach Tatort und Co, scheint aber plausibel. Und erinnert irgendwie auch an die zahllosen "Pannen" in Sachen NSU.

  9. 10.

    Von einer aktiven Verhinderung gehe ich persönlich erst einmal nicht aus, aber von einer bewussten Nichtverfolgung aus so bezeichneten Opportinitätsgründen. Will sagen: Weil Drogendealer sowieso am altbekannten Ort stehen werden und das Ganze einer Sysiphus-Arbeit gleicht, wird schon gleich davon gelassen. Insofern teile ich die Einschätzung mehrerer Einträger hier.

  10. 9.

    Ich lebe seit Jahren im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und seit Längeren kommt es mir schon so vor, als ob bei bestimmten Verbrechen ganz großzügig und vor allem prinzipiell weggeschaut wird. Anders kann ich mir manche meiner Erlebnisse und Beobachtungen nicht erklären...

  11. 8.

    Hätte, Hätte, Fahradkette.
    Jetzt hat ja die Politik ja jemand gefunden der Schuld ist.
    Seit wann wir in Deutschland aufgrund von Verdächtigungen und Vermerken verhaftet. Hätte
    die Tat auch verhindert werden können wenn NRW abgeschoben hätte, wenn Amri nicht ins Land
    gelassenworden wäre, wenn Italien abgeschoben hätte?

  12. 7.

    Nur zur Info : Der Täter ist tot .was war oder ist ist egal .Klärt das intern es interessiert keinen und den Angehörigen tut ihr keinen gefallen. Es gibt andere wichtige Dinge

  13. 6.

    Da haben Sie es auf den Punkt gebracht.
    Vielleicht liege ich auch falsch ,aber
    das Ganze kam mir schon bei den Ermittlungen von Anfang an komisch
    vor. Wer weiß wer da noch mit drinsteckt.Irgend wer wird schon das
    Bauernopfer werden
    Was ist das bloß für ein Senat.

  14. 5.

    Wenn Dealer am Kotti oder Görlitzer Park erwischt werden, stehen Sie ein paar Tage später wieder am gleichen Platz. Darüber hat sich die Polizei schon mehrfach beschwert. Das weis auch der neue RRG Senat und er hat schon vor seiner Wahl eine einfache Lösung für derartige Straftaten angeboten: den offenen Strafvollzug . Quelle1: die Welt vom 24.11.2016: 'Koalitionäre verteidigen offenen Strafvollzug gegen AfD'.
    Quelle 2: Die welt : vom 09.03.2017 ' Berlin kapituliert vor Drogendealern im Görlitzer Park.'
    Da fällt meiner Meinung nach der im Artikel genannte Vorwurf des Berliner Senats gegen das LKA auf ihn selbst zurück. Ich bin gespannt, ob es eine Gegenanzeige gibt.

  15. 4.

    Da man davon ausgehen kann, dass Anis Amri, schon mit einem Terrorauftrag nach Deutschland kam { 27.10.2015 erfolgte erster Hinweis durch Zimmernachbarn, 28.10.2015 leitete die Polizei Krefeld den Prüffall Islamismus ein; seit Februar 2016 intensive Kontakte mit IS-Mietgliedern in Libyen(Familienangehörige)} - Quelle-Welt-Artikel "Warum-Amri-eben-doch-ein-typischer-Terrorist-war" und "Was das LKA bei Amris Terror-Chat mitlas" ist wohl davon auszugehen, dass sich die Sicherheitsbehörden, von der verdeckten Ermittlung Anis Amris, weitere Aufschlüsse über die internationale Verflechtung des IS und seines Unterstützungsnetzwerkes in Deutschland ( Ahmad Abdulaziz Abdullah A - Abu Waala) erhofften.

  16. 3.

    So etwas kennt man eigentlich nur aus failed states. Auch so, es geht ja um Berlin, na dann.

  17. 2.

    ich frage mich seit diesem Statement: Warum? Warum sollten Beamte des LKA eine Festnahme aktiv verhindern? Jemand Ideen?

  18. 1.

    Wenn hier etwas vertuscht worden ist, sind die Ermittler zur Verantwortung zu ziehen ohne Ansehen der Person. Wenn dieser Anschlag zu verhindern gewesen wäre, ist das ein weiterer Skandal.

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