Gerhard Brückner erinnert sich - Hochzeit ließ Flucht und Lager vergessen

| Von Dominik Lenz, rbb-Inforadio

Rund 1,35 Millionen DDR-Flüchtlinge und Übersiedler passierten zwischen 1953 und 1990 das Notaufnahmelager Marienfelde. Einer von ihnen war der Grenzgänger Gerhard Brückner. Er arbeitete in Westberlin und wohnte bis zum Bau der Mauer im Ostteil der Stadt - dann beschloss er zu fliehen.

Gerhard Brückner kommen immer wieder die Tränen beim Gang durch die Räume der Erinnerungsstätte. Er macht kein Geheimnis daraus, wie sehr ihn dieser Ort nach wie vor berührt. Hier, wo er ein dreiviertel Jahr mit seiner Frau verbracht hat, um die Weichen für ein neues Leben zu stellen.

Sein Beschluss stand kurz nach dem Mauerbau fest, denn er wollte nicht in einem totalitären System leben, sagt Gerhard Brückner. Am 14. September 1962 setzte er alles auf eine Karte und floh mit seiner schwangeren Verlobten mit dem Schiff von Rummelsburg nach Spandau. Dort rief er einen Westberliner Freund an, der die beiden direkt ins Notaufnahmelager Marienfelde brachte.

Gerhard Brückners Hochzeitsfoto ist mittlerweile ein Ausstellungsstück (Quelle: rbb Inforadio / Dominik Lenz)
Gerhard Brückners Hochzeitsfoto ist mittlerweile ein Ausstellungsstück

Hochzeitsreise unterbricht das Lagerleben

Noch heute spricht er voll Dankbarkeit von der Hilfe, die ihm im Notaufnahmelager zuteil wurde. Wenn er die spartanischen kleinen Wohnräume in der Erinnerungsstätte betritt, dann spricht er nicht von der Enge, den schmalen, harten Stockbetten und dem kleinen Schreibtisch, der für vier bis sechs Menschen ausreichen musste. Gerhard Brückner erzählt lieber davon, wie gut er verpflegt wurde, dass er sich in Zehlendorf komplett einkleiden durfte, dass er am ersten Abend einen Kulturbeutel mit Zahnpasta in die Hand gedrückt bekam und natürlich, dass er hier seine Verlobte heiratete.

Wenige Wochen nach ihrer Flucht gaben sich die beiden im Notaufnahmelager das Ja-Wort. Die Trauung wurde von der evangelischen Kirche organisiert, sechswöchige Hochzeitsreise nach Bayern inklusive. Das Hochzeitsfoto, ein Stück vom Brautschleier und der Ehering sind heute Bestandteil der Ausstellung in der Erinnerungsstätte.

"Tor zur Freiheit" entzürnt Machthaber der DDR

Kopfschüttelnd steht Gerhard Brückner vor den Bildern, auf denen hunderte Flüchtlinge vor den Türen des Aufnahmelagers warten. Die Fotos stammen aus der Zeit der fünfziger Jahre und aus dem Jahr 1989. Brückner kam in den stillen Mauerjahren hier her und musste nicht anstehen. Als politischer Flüchtling bekam er den begehrten C-Ausweis, mit dem ihm auch eine Wohnung zustand.

Er spricht vom „Goldenen Westen“, der für ihn hielt, was er versprach. Dass auch das Teil des Propaganda-Krieges im West-Ost-Konflikt war, ist ihm bewusst. Das Notaufnahmelager sollte ja nicht nur das drängende Problem der DDR-Flüchtlinge nach Westberlin lösen. Für die Bundesrepublik war das „Tor zur Freiheit“ auch Mittel zum Zweck: hier konnte man den Flüchtlingen Fragen stellen zu den Zuständen hinter der Mauer, man konnte sich großzügig zeigen und die Hemmschwelle für eine Flucht senken, denn hier bot man den Menschen einen Ort, an dem zunächst alles geregelt wurde von ärztlicher Versorgung über die polizeiliche Erfassung bis hin zur Weiterleitung in die einzelnen Bundesländer. Ein Dorn im Auge der DDR-Regierung.

Wie viele andere Zeitzeugen kommt auch Gerhard Brückner immer wieder in die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde. Bei einem seiner letzten Besuche hat er seine Enkelin mitgenommen, denn die Ausstellung, von der er selbst ein Teil ist, findet er wichtig, um dieses Stück deutsch-deutscher Geschichte auch für die nachfolgenden Generationen zu erhalten.

Beitrag von Dominik Lenz, rbb-Inforadio

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