70 Jahre Kriegsende in Ost-Brandenburg - Gesprengte Türme, zerstörte Innenstädte

Do 30.04.15 | 13:56 Uhr | Von Anne Schmidt
Kirchenruine von Mallnow (Quelle: rbb/Anne Schmidt)

In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs erreichte die Kriegsfront die Dörfer und kleinen Städte Ost-Brandenburgs. Den finalen Gefechten und Truppenbewegungen fielen Türme und ganze Innenstädte zum Opfer - wegen Hitlers sinnlosem "Nero-Befehl". Von Anne Schmidt

In den letzten Kriegswochen 1945 rückte die Kriegsfront in die Gemeinden und Dörfern Ost-Brandenburgs vor - mit fatalen Folgen. Die Sowjetischen Truppen hatten an den Seelower Höhen gesiegt und marschierten auf Berlin zu. Die Wehrmacht war auf dem Rückzug, sie sollte sich in Halbe sammeln und neu formieren. So kam die Front auch in die Nähe von Mallnow, ein Ortsteil der Stadt Lebus im heutigen Landkreis Märkisch-Oderland.

Annemarie Bader (Quelle: rbb/Anne Schmidt)Annemarie Bader kletterte als Kind auf den Kirchturm von Mallnow

Von deutschen Truppen heruntergeschossen

Der Geschützdonner war allgegenwärtig, ebenso die deutschen Soldaten, die die Oderlinie unbedingt halten sollten. In Mallnow stand eine der schönsten und ältesten Kirchen des Oderbruchs. Im Inneren schmückten sie ein Holzaltar und viele alte Schnitzereien. Ihr hoher Kirchturm war für die Kinder mit seinem weiten Blick über das Land ein Anziehungspunkt. "Wir waren oft dort oben. Weil wir neugierig waren!", erinnert sich die Mallnowerin Annemarie Bader.

Am 20. März 1945 dann der Schock: Der Kirchturm der Mallnower Kirche wurde aus taktischen Gründen von einem Pionierkommando der Wehrmacht, den eigenen Truppen also, gesprengt. Noch Jahre nach Kriegsende lagen die Trümmer des Turmes einfach herum, erinnert sich Annemarie Bader. Denn die Mallnower mussten zunächst ihr stark zerstörtes Dorf wiederaufbauen: "Jeder hat sich um sich selbst gekümmert", erinnert sie sich.

Kirchenruine von Reitwein (Quelle: rbb/Anne Schmidt)
Auch die Kirche in Reitwein ist heute eine Ruine


Wie Mallnow erging es vielen Dörfern in Ostbrandenburg: Sie verloren in den letzten Kriegswochen Kirchtürme, Wassertürme oder andere hohe Gebäude. Diese wurden entweder von den zurückweichenden deutschen Truppen oder von den angreifenden sowjetischen Truppen zerstört.

Der Kirchturm von Reitwein zum Beispiel, ein paar Kilometer oderabwärts von Mallnow, geriet unmittelbar ins Visier der Soldaten. "Als die Rote Armee den Ort besetzte, haben die Russen gleich sich auf dem Kirchturm verschanzt und von dort aus ihr Artillerie-Feuer geleitet. Daraufhin zerstörten Wehrmacht-Soldaten den Turm", erklärt Pfarrer Martin Müller. Er arbeitet heute in den Gemeinden in Mallnow und Reitwein. In beiden Orten sind die Kirchen bis heute größtenteils Ruinen.

Bleibende Erinnerungen

In Lebus, wieder ein paar Kilometer die Oder hinunter, traf es den Wasserturm. Er wurde von einem russischen Kommando gesprengt, denn die deutschen Soldaten nutzten das hohe Gebäude, um von ihren Stellungen hinter den Oderhängen auf die gerade übersetzenden sowjetischen Truppen am Oder-Ufer zu zielen. Der Lebuser Orts-Chronist Manfred Hunger hat den Verlauf der Gefechte in seinem Ort recherchiert: "Die Artillerie konnte das Ufer, das sie beschießen sollte, nicht einsehen. Sie bekam Hinweise von einem Artillerie-Beobachter, der den Wasserturm als Navigationshilfe benutzt hat. Das wurde natürlich irgendwann entdeckt und dann wurde der Turm gesprengt."

Auch der Wasserturm von Lebus wurde nicht wieder aufgebaut. Die Dörfer und Gemeinden ohne Türme oder Kirchen erinnern bis heute an die letzten Gefechte des Zweiten Weltkriegs - die auch deshalb so viele Opfer forderten, weil Hitler den so genannten "Nero-Befehl" ausgab: obwohl die Niederlage lange absehbar war, mussten die Soldaten um jede deutschen Stadt erbittert kämpfen.

Marktplatz von Storkow heute (Quelle: rbb/Anne Schmidt)
Viele sehr alte Gebäude um den Storkower Marktplatz wurden völlig zerstört

Haus für Haus zerstört in Storkow

Dieser Befehl bedeutete für viele Städte Ost-Brandenburg eine Katastrophe – in Storkow zum Beispiel: Nachdem Frankfurt bereits von den sowjetischen Truppen eingenommen worden war, wurde die Stadt zur Festung erklärt. Bis zum letzten sollte Storkow gehalten werden, darin waren sich der Bürgermeister und der örtliche Kommandeur einig. Volkssturm-Einheiten hoben auf den Grundstücken am Stadtrand Schützengräben aus und spengten die kleine Kanalbrücke vor der Innenstadt.

Gerd Tschechner hat die letzten Kriegstage seiner Heimatstadt recherchiert: "Die Russen kamen aus Fürstenwalde und wollten in Richtung Marktplatz nach Storkow. Auf diesem Weg sind sie aber auf sehr heftigen Widerstand gestoßen. Daraufhin haben sie einen Umweg gemacht über die Gartenstraße, also eine Parallelstraße, und dann hat es geklappt. Sie haben mit einem Floß über den Kanal gesetzt und dann waren sie im Zentrum."

Bei den Gefechten um die Stadt wurden viele, zum Teil sehr alte, Gebäude der Altstadt rund um den Marktplatz zerstört. "Vorwiegend durch Artillerie-Feuer", weiß Gerd Tschechner. "Auch die so genannte Stalin-Orgel feuerte hier rein. Mit Panzern sind sie aber nicht gekommen. Es war mehr ein Kampf "Haus für Haus". So sind die hier durchgegangen." Dutzende Einwohner kamen bei diesen Kämpfen ums Leben. Oder sie töteten sich aus Furcht vor den Besatzern selbst.

Sinnloser Widerstand und Grausamkeiten

Doch es gab auch Stadtkommandanten, die sich Hitlers Befehl widersetzten. In Neuzelle zum Beispiel verzichtete die militärische Führung auf eine Verteidigung. Dadurch wurden die Altstadt und das berühmte Barock-Kloster verschont.

Doch das war eher die Ausnahme - anderswo kam es sogar noch Schlimmer: In Hartmannsdorf, nur ein paar Kilometer entfernt von Storkow, vertraute der damalige Bürgermeister des Ortes dem Offizier eines sowjetischen Spähkommandos. Er sorgte dafür, dass an möglichst vielen Häusern im Dorf weiße Fahnen hingen. In der folgenden Nacht, vom 21. auf den 22. April 1945, kamen aber keine sowjetischen Soldaten ins Dorf, sondern deutsche SS-Soldaten. Auf brutale Weise töteten sie all jene 16 Hartmannsdorfer in den Häusern, die eine weiße Flagge zeigten. Auch die Frau des Bürgermeisters und sein 11-jähriger Sohn Kurt wurden erschossen. Bis heute ist dieses Verbrechen der letzten Kriegstage nicht aufgeklärt.

Beitrag von Anne Schmidt

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