Bewegende Feierstunde im Potsdamer Landtag - Brandenburg führt Gedenktag an Kriegsende ein

Do 30.04.15 | 15:09 Uhr
Dietmar Woidke spricht bei der Feierstunde zum 70. Jahrestag des Kriegsendes (Quelle: dpa)
Video: Brandenburg aktuell | 30.04.2015 | Ismahan Alboga | Bild: dpa-Zentralbild

Auch 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs darf kein Schlussstrich unter die historische Aufarbeitung der NS-Zeit gezogen werden, bekräftigen Politiker im Brandenburer Landtag. Der 8. Mai wird deshalb künftig als Gedenktag begangen. In einer Feierstunde fanden sowohl Politiker, als auch der Holocaust-Überlebende Juraj Herz bewegende Worte.  

Der Jahrestag des Kriegsendes wird in Brandenburg künftig als Gedenktag begangen. Der Potsdamer Landtag hat am Donnerstag eine entsprechende Änderung des Landes-Feiertagsgesetzes beschlossen. Nach dem von der rot-roten Regierungskoalition und der Grünen-Fraktion vorgelegten Gesetz soll der 8. Mai künftig an die Befreiung vom Nationalsozialismus und die Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Europa erinnern. Unmittelbare Auswirkungen auf Bürger und Wirtschaft ergeben sich daraus aber nicht, der Tag wird nicht arbeitsfrei.

Die Beendigung des Krieges sei "ein Segen für Deutschland, für Europa und für die ganze Welt" gewesen, unterstrich der Potsdamer Regierungschef Dietmar Woidke (SPD). Die Welt dürfe nie wieder von Deutschland aus mit Krieg, Leid und Tod überzogen werden. Der 8. Mai als Tag der Befreiung symbolisiere diesen Auftrag mehr als jeder andere Tag. Er stehe für das Ende der Nazi-Diktatur in Deutschland. Es sei daher eine folgerichtige Entscheidung, dass Brandenburg diesen Tag zum Gedenktag erklären wolle, "an dem wir die Erinnerung wach halten an die unvorstellbar große Zahl an Opfern aus vielen Ländern", sagte der Ministerpräsident weiter.

Schlussstrich darf niemals gezogen werden

Zuvor hatte der brandenburgische Landtag in einer bewegenden Feierstunde an die historischen Ereignisse beim Kriegsende vor 70 Jahren erinnert und Konsequenzen für die heutige Auseinandersetzung daraus abgeleitet. Gemeinsam mit Holocaust-Überlebenden und internationalen Gästen haben die Abgeordneten der Befreiung vom Nationalsozialismus gedacht. Der Ministerpräsident warnte in der Gedenkveranstaltung vor einem Ende der historischen Aufarbeitung. Einen Schlussstrich unter die historischen Ereignisse könne und dürfe es niemals geben, sagte Woidke unter Hinweis auf aktuelle Umfragen, wonach sich 42 Prozent der Deutschen einen solchen wünschen.

Starke: Demokratie beste Antwort auf Fremdenfeindlichkeit

Auch Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD) unterstrich, das Ende des Zweiten Weltkriegs sei eine Befreiung gewesen. Kein einziges der mehr als 50 Millionen Kriegsopfer dürfe vergessen werden. "Die Geschichten dieser Toten sind unsere Geschichten. Je aufrichtiger wir Nachgeborenen uns mit ihnen auseinandersetzen, umso freier sind wir, jene Verantwortung zu übernehmen, die unsere deutsche Geschichte von uns fordert", sagte Starke. Sie fügte hinzu, dass die beste Antwort gegen aktuelle Tendenzen von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus eine starke Demokratie sei.

CDU wollte Befreiung von Sachsenhausen als Gedenktag

Linken-Abgeordnete Volkmar Schöneburg sagte, mit dem Gedenktag solle vor allem auch in der jüngeren Generation die Erinnerung an die Gräuel des Nazi-Regimes und der Millionen Kriegstoten wachgehalten werden. Dies gelte umso mehr, weil bald keine Zeitzeugen mehr lebten, die von ihren schrecklichen Erfahrungen in den Konzentrationslagern berichten könnten.

Ab dem kommenden Jahr soll es dann in Städten und Gemeinden im ganzen Land Projekte der Erinnerung geben. Auch die CDU unterstützte die Festlegung eines Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus. Ihr Antrag, dafür den 23. April als Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen zu nehmen, fand jedoch keine Mehrheit.

Filmregisseur Juraj Herz aus Prag bei der Feierstunde zum 70. Jahrestag des Kriegsendes (Quelle: dpa)
Der Regisseur Juraj Herz aus Prag überlebte den Holocaust. | Bild: dpa-Zentralbild

Fünf Wochen zu Fuß nach Hause

Die Festansprache bei der 75-minütigen Gedenkveranstaltung hielt der 80-jährige Filmregisseur Juraj Herz aus Prag, der als Kind das Konzentrationslager Sachsenhausen überlebt hatte. Er erinnerte in seiner auf Deutsch gehaltenen Rede daran, wie er, seine Mutter und sein Vater auseinandergerissen und auf verschiedene Konzentrationslager verteilt wurden. Er war mit seinem Eltern ein halbes Jahr vor dem Kriegsende aus einem slowakischen Dorf verschleppt worden und erlebte als Kind die Befreiung im Konzentrationslager Sachsenhausen durch die Rote Armee.

"Ich hätte mir da nicht vorstellen können, dass ich hierherkommen und Ihnen diese Geschichte erzählen werde", sagte er. Nach fünf Wochen Fußmarsch inmitten der Kriegswirren sei er wieder in seinem Heimatdorf angekommen und dort wieder auf Vater und Mutter getroffen. Insgesamt 60 Verwandte, darunter Großeltern und Cousinen, hätten den Krieg indes nicht überlebt. Nach wie vor liebe er die deutsche Sprache, in der sein Vater ihm immer vorgelesen habe, sagte Herz. Und bis heute hat er die tschechische und deutsche Staatsbürgerschaft. "Weil ich mich auch als Deutscher fühle", sagte Herz.

Unterschiedlicher Umgang mit dem 8. Mai in BRD & DDR

Eine weitere Gedenkrede kam vom Direktor des Zentrums für zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), dem Historiker Martin Sabrow. Er lenkte den Blick darauf, wie unterschiedlich nach Kriegsende in den beiden deutschen Staaten mit der Erinnerung und der Einordnung der Ereignisse umgegangen wurde. Man habe sich vor allem in der alten Bundesrepublik "erlöst und vernichtet" zugleich gefühlt, der 8. Mai sei ein ambivalentes Datum gewesen.

Sabrow verneinte die Frage, ob Deutschland heute angesichts einer wachsenden Zahl von Gedenkzeichen und Mahnmalen an die Schrecken des Nationalsozialismus "zufrieden" sein könne. Vielmehr bestehe die Gefahr eines reflexhaften, ritualisierten sich selbst nicht einschließenden Erinnerns. Eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sei weiter nötig, so Sabrow.

Musikalisch umrahmt wurde die Gedenkveranstaltung von der Kammerakademie Potsdam. Anwesend waren auch der russische Botschafter Wladimir Grinin und diplomatische Vertreter Polens, der Ukraine, Tschechiens, Großbritanniens sowie Brandenburgs erster Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und zwei überlebende Frauen aus dem Konzentrationslager Ravensbrück.

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