Scheidende Abgeordnete | Jochen Esser (Grüne) - Aus Anarcho wird Realo

Mi 22.06.16 | 15:19 Uhr | Von Ute Schuhmacher
Jochen Esser, der haushaltspolitische Sprecher der Partei Bündnis 90/Die Grünen, spricht am 01.11.2013 bei einer Pressekonferenz zum Thema "Jenseits der Haushaltsnotlage - in Berlins Zukunft investieren" in Berlin. (Quelle: dpa / Bernd von Jutrczenka)
Bild: dpa / Bernd von Jutrczenka

Jochen Esser war Anarchist in den 60ern, Maoist in den 70ern und er ist Gründungsmitglied der Grünen. Seit 1999 ist er ihr Fraktionssprecher für Haushalt und Finanzen im Abgeordnetenhaus - anerkannt bis gefürchtet von den anderen Fraktionen und den Finanzsenatoren. Denn Jochen Esser kann austeilen - aber nicht nur. Von Ute Schuhmacher

Um sich zu erden geht Jochen Esser manchmal vom Abgeordnetenhaus quer über die Straße auf das Gelände der Topographie des Terrors. Er schaut dann auf die früheren Keller der Gestapo, dahinter liegt das heutige Bundesfinanzministerium, das in der Nazizeit das Reichsluftfahrtministerium war. Sein Vater musste auf dem Dach dieses Hauses, gekettet an ein Flakgeschütz, im sogenannten Endkampf Berlin verteidigen, erzählt er. Direkt neben diesem Gebäude steht das Abgeordnetenhaus, in dem er selbst als frei gewählter Abgeordneter arbeitet.

Alle politischen Diskussionen schrumpfen für Esser mit diesem Blick auf Taschenformat. "Zu unserer Generation ist das Leben gut gewesen", sagt der sonst gern streitlustige Esser und freut sich über das Geschenk des Friedens und der Freiheit.

Jochen Esser, Finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, redet am 12.03.2015 bei der Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses in Berlin. (Quelle: dpa / Bernd Von Jutrczenka)
Mit Verve hielt Esser seine RedenBild: dpa / Bernd Von Jutrczenka

Oft schepperten die Mikrofonanlagen

Im Parlament ist der Grünen-Fraktionssprecher für Haushalt und Finanzen berüchtigter und wortgewaltiger Zwischenrufer, der sich regelmäßig so in Rage redete, dass er diverse Mikrofonanlagen lang und heftig zum Scheppern brachte. Mit Abstand auf die Berliner Politik blickend sagt Esser selbstkritisch, dass es in Berlin eher darum geht, Dinge, die einigermaßen gut sind, noch besser zu machen. "Es muss ja immer besser werden, aber das sollte in der Politik auch die Tonart sein", sagt Esser.

Im Eifer des Besser-mach-Gefechts ärgert er sich trotzdem ausgiebig über die S-Bahn, über das Bürgeramt, über die Schulen und noch sehr vieles mehr. Seine aufbrausende Art kostete ihn an manchen Stellen Kredit und doch war er über die Jahre anerkannt bis gefürchtet als Finanzpolitiker sowohl von Seiten der verschiedenen Fraktionen als auch der Finanzsenatoren.

Alice Ströver kam mit ihm aus

Eigentlich wollte Esser Sozialpolitik machen. Dass es die Finanzen wurden, bereut er keineswegs. Denn nur wer die Lücken im Haushalt kennt, kann Geld für politische Projekte freischaufeln, weiß Esser. "Über die Finanzentscheidungen wird ein erheblicher Teil der Politik gemacht", sagt er selbst. Esser fraß in den 17 Jahren seiner Abgeordnetenhaustätigkeit deshalb geradezu Dokumente, um genau diese Lücken zu finden.

Und er ersann nicht selten mit der Grünen Kulturexpertin Alice Ströver Ideen: Eine Kulturtax, erinnert sich Ströver beispielsweise. Sie sieht in der heutigen Citytax ein Nachahmerprodukt dieser Idee, entstanden im gemeinsamen Abgeordnetenbüro, dass sich Ströver und Esser viele Jahre teilten. Wie sie es mit Esser ausgehalten hat, wurde sie oft gefragt - denn dem Mitteilungsdrang des Jochen Esser sah sich sonst keiner gewachsen.

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Beitrag von Ute Schuhmacher

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