Koalitionspoker beginnt - "Ich stand zur Wahl und bin gewählt worden"

Di 20.09.16 | 10:21 Uhr
Der stellvertretende Landesvorsitzende, Andreas Geisel (SPD) (l-r), die stellvertretende Landesvorsitzend, Iris Spranger, Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), der stellvertretende Landesvorsitzende Mark Rackles (SPD) und die stellvertretende Landesvorsitzende Angelika Schöttler unterhalten sich am 19.09.2016 im Kurt-Schumacher-Haus in Berlin bei einem Treffen des SPD Landesvorstands (Quelle: Britta Pedersen/dpa).
Video: Berlin nach der Wahl | 19.09.16 | Bild: dpa-Zentralbild

Rot-Rot-Grün ist nach der Berlin-Wahl am wahrscheinlichsten - auch wenn rechnerisch auch andere Bündnisse möglich wären. Michael Müller will trotz der SPD-Verluste Bürgermeister bleiben und in Kürze Sondierungsgespräche beginnen. Der Linken-Chef Klaus Lederer gab sich vor den Gesprächen schon mal selbstbewusst.

Einen Tag nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus haben die Berliner Spitzenpolitiker sich für die anstehenden Sondierungsgespräche in Position gebracht. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) kündigte am Montag an, nach diese Woche mit potentiellen Partnern reden zu wollen. Nach rbb-Informationen starten die Gespräche am Mittwoch.

Müller lehnte ab, persönliche Konsequenzen aus dem schwachen Wahlergebnis seiner Partei zu ziehen. "Ich stand zur Wahl und bin gewählt worden", sagte Müller der rbb-Abendschau. Es gebe aber überhaupt keinen Grund, mit diesem Ergebnis zufrieden zu sein.

Zuerst wolle er mit der CDU sprechen, das sei aber nicht als Präferenz zu verstehen, sondern richte sich nach der Stärke der Parteien bei der Wahl, sagte Müller. Die wahrscheinlichste Variante ist momentan ein rot-rot-grünes Bündnis, mit einer geschwächten SPD, vergleichsweise stabilen Grünen und einer erstarkten Linken.

Deren Landeschef und Spitzenkandidat Klaus Lederer sagte am Montag dem rbb, die Ausgangslage für eine Beteiligung der Linken an einer Regierung sei besser, als beim letzten Mal vor fünf Jahren. "Wir haben damals einen Scherbenhaufen hinterlassen bekommen: Korruption und Filz, den Bankenskandal, schwere Milliardendefizite im Haushalt – da waren Aufräumarbeiten angesagt. Inzwischen hat durchaus auch unsere damalige Arbeit dazu beigetragen, dass Spielräume für politische Veränderungen in der Stadt da sind", sagte Lederer im rbb-Inforadio.

"Uns nicht gegenseitig beim Scheitern zugucken und dann noch hämisch lachen"

Seine Partei wolle den Schwerpunkt auf soziale Fragen legen. "Was machen wir mit denen, die hier permanent Probleme haben, trotz zwei oder drei Jobs, als Alleinerziehende, Freiberufler, Mindestrentner, Hartz-IV-Bezieher, über Wasser zu bleiben?"  

Auf die Frage nach Wunschressorts der Linken in einer möglichen Regierung und seinen persönlichen Zielen hin wich Lederer aus. "Ich hoffe, dass wir endlich zum ressortübergreifenden Handeln kommen, ob das die Flüchtlingspolitik ist, das Fitmachen des Personals im öffentlichen Dienst – das können keine Senatorinnen und Senatoren alleine in ihren jeweiligen Verwaltungen. Das ist am Ende viel entscheidender, als wer welches Ressort besetzt", sagte Lederer.

Die Linke wolle sich mit ihren möglichen Koalitionspartnern zusammenraufen "und nicht, so wie es CDU und SPD die letzten fünf Jahre lang vorgeführt haben, uns gegenseitig beim Scheitern zugucken und dann noch hämisch darüber lachen."

"Wir verhelfen dieser Berliner CDU nicht in den Senat"

Die Berliner Grünen wiederholten ebenfalls ihre Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit mit der SPD - und kündigten zugleich an, in keinem Fall für eine sogenannte Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen bereitzustehen. "Wir haben vor der Wahl gesagt, wir verhelfen dieser Berliner CDU nicht in den Senat, und dabei bleibt es", sagte der Grünen-Chef Daniel Wesener am Montag.

Die SPD ist zwar Wahlsieger - mit 21,6 Prozent Stimmanteil benötigt sie jetzt jedoch zwei Partner. Zur Auswahl stehen der bisherige Koalitionspartner CDU (17,6 Prozent), die Linke (15,6), die Grünen (15,2) und die FDP (6,7). Auch die AfD, die aus dem Stand auf 14,2 Prozent kam, ist im Parlament vertreten, kommt als Koalitionspartner für die SPD allerdings nicht in Frage.

Kapek: Große Schnittmengen mit SPD und Linken

Die grüne Fraktionschefin Ramona Pop sagte am Montag im Inforadio: "An uns vorbei wird eine Regierungsbildung schwierig werden." Dennoch haben die Grünen gut zwei Prozentpunkte schlechter abgeschnitten, als noch 2011. Pop führte das auf eine stärkere Zersplitterung der Parteienlandschaft zurück.  "Wir sehen, dass in Zeiten von Populismus und Parolen gerade eine Themen- und Programmpartei, wie es die Grünen sind, nicht immer durchdringt mit ihren Konzepten", sagte sie.

Die grüne Spitzenkandidatin Antje Kapek zeigte sich ebenfalls zuversichtlich für eine Koalition mit SPD und Linken: "Es gibt große Schnittmengen zwischen den Parteien", sagte sie.

Müller: Regieren mit drei Parteien werde "deutlich komplizierter"

Die Sondierungsgespräche sind Aufgabe von Michael Müller - aber die SPD wäre in einer Rot-Rot-Grünen-Regierung fast auf Augenhöhe mit ihren Koalitionspartnern gesunken. Müller stellte am Montag im rbb-Inforadio trotz der Verluste fest: "Das ist ein klarer Regierungsauftrag, weil es fünf, sechs Prozent vor allen anderen Parteien ist." Natürlich werde die Parteispitze über die Verluste sprechen. Dennoch hätten die Bürger mit der Wahl einen Auftrag erteilt, die begonnenen Reformen auf dem Bereich Mieten, Bildung oder Verwaltungsreform weiter umzusetzen.

Müller räumte zugleich ein, eine Regierung mit drei Parteien werde mehr Abstimmungsarbeit erfordern. "Das wird überhaupt nicht leichter, ganz im Gegenteil." Er habe im Wahlkampf immer für eine "stabile Zweierkoalition" geworben. "Es ist natürlich einfacher sich mit einem Partner abzustimmen als mit zweien. Da geht es ja nicht nur um Befindlichkeiten der SPD: Auch zwischen Grünen und Linken - wenn es dazu kommen sollte - muss es ja stimmen."

"Seltsames demokratisches Verständnis"

Zu den Gesprächen werde man jetzt "alle demokratischen Parteien einladen, die dafür in Frage kommen", so Müller. Die AfD wolle er allerdings nicht einbeziehen, sagte Müller am Sonntagabend.

Der Berliner AfD-Vorsitzende und Spitzenkandidat Georg Pazderski bescheinigte Müller am Montag auf radioBerlin 88,8 vom rbb ein "seltsames demokratisches Verständnis", wenn er "mehrere hunderttausend Bürger bei der Regierungsbildung abstrafen möchte, weil die angeblich falsch gewählt hätten". Die AfD werde im Abgeordnetenhaus in die Opposition gehen, kündigte Pazderski an - und dort nicht als "Fundamentalopposition" agieren, sondern "konstruktiv" mitarbeiten. Auf lange Sicht sei er zuversichtlich, dass die AfD auch Bündnisse mit anderen Parteien eingehen werde, sagte Pazderski. "Wir werden zeigen, dass wir es können. Die anderen werden sehen, dass wir es können. Und dann werden wir auch mit Sicherheit zusammenarbeiten."

Auch die CDU bot sich der SPD noch am Wahlabend als Partner an: "Wir stehen zu Sondierungsgesprächen bereit", sagte der CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel. Die CDU habe eine "gute Bilanz" vorzuweisen. Einen Rücktritt hatte Henkel noch am Sonntagabend ausgeschlossen.

Am Montagabend allerdings stellte der Noch-Innensenator sein Amt zur Verfügung, er soll auf Wunsch des CDU-Landesverbandes bis zum Landesparteitag 2017 weitermachen. Michael Müller hatte bereits vor der Wahl mehrfach betont, er bevorzuge ein Bündnis mit den Grünen, statt wie bisher mit der CDU. Eine Zusammenarbeit mit dem bisherigen Koalitionspartner schloss er aber auch nach dem Wahlsonntag nicht aus.

FDP sieht neue Hoffnungen für Weiterbetrieb von TXL

Genausowenig wie mit der wiedererstarkten FDP: Sie kehrte mit 6,7 Prozent ins Parlament zurück. Der Spitzenkandidat Sebastian Czaja sagte am Montag dem rbb, das sei ein "klares Votum" für die Ziele der FDP, vor allem den Flughafen Tegel offen zu halten. "Alle anderen Parteien, die im Berliner Parlament vertreten sind, müssen sich jetzt mit dieser Frage beschäftigen." Theoretisch also ist auch eine Rot-Schwarz-Gelbe-Koalition möglich.

Eine positive Bilanz des Ablaufs der Wahl zog derweil die Landeswahlleiterin von Berlin, Petra Michaelis-Merzbach. Ein Betrugsverdacht liege nicht vor, berichtete sie. In einigen Bezirken solle es allerdings zu Nachzählungen kommen, denn am Wahltag gehe Schnelligkeit vor Gründlichkeit. Nach rbb-Informationen werden in den Bezirken Mitte und Treptow-Köpenick einzelne Wahlbezirke oder Ergebnisse noch einmal nachgezählt.

 

 

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