Bürgermeisterwahlen in Brandenburg - Wahlkampf am Gartenzaun

Fr 22.09.17 | 18:33 Uhr | Von Antonia Märzhäuser, Anton Stanislawski
Martina Mieritz im Gespräch mit einem Anwohner (Quelle: rbb/Anton Stanislawski)
Bild: rbb24/ Anton Stanislawski

Während Bundespolitiker große Hallen und Plätze füllen, geht es bei der Bürgermeisterwahl weitaus beschaulicher zu. Ein Plausch am Gartenzaun kann wahlentscheidend sein, wie ein Besuch in Zeuthen zeigt. Von Antonia Märzhäuser und Anton Stanislawski

"Ick such mir immer die Hübscheste aus", ruft der Mann im blauen Overall Martina Mieritz über den Gartenzaun zu. Gemeint ist: Wem er seine Stimme für den Bürgermeisterposten gibt. Jetzt hat er eine Anwärterin vor der Tür stehen: Mieritz. Die 52-Jährige ist Bürgermeisterkandidatin und mittendrin im Haustürwahlkampf. "In vier Wochen habe ich an 1.000 Haustüren geklopft", sagt sie. Mieritz, die für die SPD antritt, erklärt: "An der Tür geht es um Vertrauen". Sie habe sogar mal eine Schulung dazu gemacht, "weil man da auch viel falsch machen kann". Für Mieritz ist dieser direkte Kontakt enorm wichtig: "Schließlich wählen die Leute kein Plakat sondern einen Menschen".

Plakate gibt es dieser Tage in Zeuthen eine ganze Menge. Im Bundestagswahlkampf will Jana Schimke ihr Direktmandat gegen Sylvia Lehmann verteidigen. Von den anderen Bäumen und Laternenpfählen lächeln die Bürgermeisterkandidaten herunter. Martina Mieritz joggt einem in SPD-roter Windjacke, lebensgroß auf Pappe entgegen. Apropos Joggen. Mieritz zeigt auf den unbefestigten Gehweg auf der anderen Straßenseite. "Eine Katastrophe. Mit Rollator ist da kein Durchkommen."

Sven Herzberger im Gespräch mit einem Bürger (Quelle: rbb/Anton Stanislawski)
Bild: rbb24/ Anton Stanislawski

Auf einmal ist hier Wahlkampf

Mieritz ist seit 2014 Mitglied des Kreistages. Sie kennt die Landes- und Kommunalpolitik. Trotzdem sagt sie, dass dieser Bürgermeisterwahlkampf anders sei. Umkämpfter. Schuld daran ist auch Sven Herzberger. Herzberger ist politischer Newcomer. Unterstützt wird der 48-Jährige von einer illustren Allianz aus Linken, FDP und der Wählergemeinschaft "Bürger für Zeuthen".

Für seinen Wahlkampf hat er sich eine Marketingspezialistin dazu geholt. Herzberger sei ihre erste "Menschenmarke". Statt Häuserwahlkampf stehen sie an diesem Morgen vor dem Bahnhof und verschenken Kaffee an Pendler. Mit der S-Bahn ist man in 45 Minuten am Alexanderplatz. Auch deswegen ist Zeuthen beliebt - gerade bei Berlinern, die etwas Ruhe suchen. Eine "Schlafgemeinde" sei Zeuthen geworden, sagen viele.

Steg am Zeuthener See (rbb/Anton Stanislawski)
Bild: rbb24/ Anton Stanislawski

Der Zuzug aus der Stadt ist nicht neu. Die Villen am Seeufer zeugen davon. Waren es Anfang des 20. Jahrhunderts Industrielle aus Berlin, kamen später die Kader der DDR, um sich zu erholen. Heute teilen die Bahnschienen Zeuthen in zwei Teile. Auf der einen Seite das Wasser und die Villen, auf der anderen Seite geht es ruhiger zu. Am Waldrand stehen die meisten der kommunalen Sozialwohnungen.

Ein politischer Neustart

Vor dem Bahnhof versichert eine junge Frau Herzberger: "Meine Stimme haben Sie". Auch sie will, dass etwas mit den Bürgersteigen passiert. Ihr Vater könne mit dem Rollstuhl nicht mehr aus dem Haus, so schlimm sei die Situation in ihrer Straße. Eigentlich hatte Herzberger nicht vor, Bürgermeister zu werden. Als er letztes Jahr von einigen Gemeindevertretern gefragt wurde, musste er trotzdem nicht lange überlegen. Zuvor war es zwischen Gemeindevertretung und der amtierenden SPD-Bürgermeisterin Beate Burgschweiger immer wieder zu Unstimmigkeiten gekommen. Sie tritt nicht mehr an. Stattdessen soll es jetzt einen politischen Neustart geben. Und den verkörpert Sven Herzberger ziemlich siegessicher.

Mit seinem weißen SUV fährt er die neuralgischen Punkte im Ort ab. Bahnhof, Bahnschranke und das Seeufer. Anhand dieser Orte lässt sich sein Wahlprogramm gut abarbeiten. Am Bahnhof fehlt eine öffentliche Toilette, unter den Bahnschienen soll ein Tunnel entstehen, am Seeufer eine Badestelle, außerdem soll die Fährverbindung zur anderen Seeseite mit dem Miersdorfer Werder wieder aufgenommen werden. Herzberger will Touristen in den Ort holen. Immer wieder wird er von den Zeuthenern erkannt und angesprochen. Was ihn sichtlich stolz macht. Er hat sich angefreundet mit seiner Rolle als Bürgermeisterkandidat.

Wohnhaus in Zeuthen (rbb/ Anton Stanislawski)
Bild: rbb24/ Anton Stanislawski

Berlin-Effekt in Zeuthen

Die Wahlprogramme der insgesamt drei Kandidaten zeichnen sich durch mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede aus. Auch Nadine Selch, die Kandidatin von der CDU, will eine Fährverbindung. Und sie findet, es sei ein unhaltbarer Zustand, dass Anwohner bereits mit Stirnlampe unterwegs sind, damit sie stolperfrei nach Hause kommen.

Unterschiede gibt es in der Frage, ob die Grundschule weiter ausgebaut werden soll oder eine neue Schule entstehen soll. Lediglich beim kommunalen Wohnungsbau gehen die Meinungen fundamental auseinander. Mieritz will Wohnungen, wo Zeuthener bevorzugt behandelt werden. "Ich will kein Ventil für den Berliner Wohnungsmarkt sein", sagt Mieritz fast trotzig. Herzberger hält das für Quatsch und verfassungswidrig.

Mehr Management, weniger Politik

Die Verwaltung zu modernisieren und besser zu führen, sind Ziele aller drei Kandidaten. Das hört sich nach mehr Management als Politik an. Eine Herangehensweise mit der sich Herzberger wohlfühlt. Dass er keiner Partei angehört empfindet er als Vorteil. Martina Mieritz setzt hingegen auf ihre gute Vernetzung und ihre Erfahrung. Die breit gefächerte Unterstützerbasis ihres Konkurrenten betrachtet sie eher als Zeichen für Richtungslosigkeit. Sie hingegen, wisse wer, wann anzurufen sei.

Einig sind sich beide darin, dass es darum geht, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Deswegen ist der Plausch über den Gartenzaun so wichtig. Deswegen der Kaffee am Morgen. Die Zeuthener seien engagiert und interessiert, man kann den Menschen mehr zutrauen, findet auch CDU-Kandidatin Nadine Selch. Sie will mehr politische Eigenverantwortung fördern. Das traut sie den Zeuthenern zu. "Man muss ihnen nur die Chance dazu geben".

Nadine Selch (Quelle: rbb/ Anton Stanislawski)
Bild: rbb24/ Anton Stanislawski

"Wählen, wozu denn?"

Dass die AfD keinen Bürgermeisterkandidaten aufgestellt hat, wird als positives Zeichen für den Zusammenhalt in der Stadt gewertet. Das Frustpotential würde in Zeuthen durch Wählergemeinschaften wie "Bürger für Zeuthen" niedrig gehalten. Hört man sich auf der Straße um, ergibt sich dann aber doch ein etwas anders Bild. Die Verkäuferin beim Bäcker, die das Interview mitgehört hat, sagt beim Herausgehen "Sind doch alle gleich die Politiker. Es gibt keine ehrlichen Menschen mehr" und auf die Frage, ob sie wählen gehe, winkt sie ab: "Wozu denn?"

Bismarckbrötchen und die AfD

Auf der anderen Seite der Fußgängerzone steht Ronny Strietzel und verkauft Forellenfilets. Sie überlege, dieses Mal die AfD zu wählen. "Ich hab immer Merkel unterstützt, aber was sie da mit den Ausländern gemacht hat, finde ich nicht gut. Die bekommen alles und unsere Leute finden keine Wohnung".

Bei diesem Thema wirkt der Ort wie ein Brennglas für ein Phänomen, das in ganz Deutschland zu beobachten ist: In Zeuthen geht es den Menschen gut. Der See, die frische Luft ziehen immer mehr Familien an, das Stadtbevölkerung verjüngt sich und die Probleme sind überschaubar. Steigende Mieten, zu kleine Schulen, zu wenig öffentliche Toiletten. Und trotzdem hat die AfD schon 2013 bei der Bundestagswahl 6 Prozent geholt. Dieses Mal werden es wohl deutlich mehr.

Fischverkäuferin in Zeuthen (Quelle: rbb/Anton Stanislawski)
Bild: rbb24/Anton Stanislawski

Angesprochen auf die AfD sagt eine andere Spaziergängerin, dass die Partei in ihrem Umfeld kein Thema sei. Niemand würde die wählen. Sie wohnt unten am See. Am Ende der Rundfahrt durch Zeuthen lässt sich Herzberger einmal zu einem Satz verleiten, der nachhallt. Er zeigt auf ein Stück freies Bauland und sagt: "Hier kommt meine Schule hin".  In der Politik gehört immer auch etwas Eitelkeit dazu. Dabei die viel betonte Augenhöhe zu bewahren, ist wohl die schwierigste Gradwanderung für einen Politiker. Zuhören ist da ein guter Anfang. Herzberger, Mieritz und Selch wollen beweisen, dass sie das können.

Beitrag von Antonia Märzhäuser, Anton Stanislawski

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