Auch wenn Menschen schon lange Auto fahren - für den menschlichen Körper ist die Erfahrung relativ neu: Obwohl wir gefühlt still sitzen, bewegen wir uns mit 120 km/h oder mehr durch die Welt. Das kann das Nervensystem verwirren, z.B. beim Blick aus dem Fenster: Augen und das Gleichgewichtsorgan im Ohr geben unterschiedliche Meldungen ans Gehirn. In der Wirkung ist dieses Phänomen ähnlich einer Vergiftung - darauf reagieren viele mit Übelkeit. 

Laut einer aktuellen Studie im Auftrag eines Autoherstellers ist rund 75 Prozent der Menschen im Auto schon einmal schlecht geworden. Jüngere Passagiere bis 12 Jahre sind besonders häufig betroffen. Wissenschaftler sind sich nicht einig, ob ihr Gleichgewichtssinn in diesem Alter noch nicht vollständig ausgeprägt oder schlicht empfindlich ist. Babys hingegen haben in der Regel keine Probleme.

Doch ob Groß oder Klein: Spätestens wenn es ans Lesen im fahrenden Auto geht, trifft viele die Reiseübelkeit. Grund: Die klaren optischen Eindrücke von schwarz auf weiß, relativ ruhig gehalten, verstärken den Eindruck von Stillstand für das Hirn. Ein Eindruck, dem der Gleichgewichtssinn dann sozusagen heftig widerspricht. Die Neigung des Kopfes nach unten zum Lesen bewirkt außerdem, dass wir die Bewegung "draußen" nicht mehr sehen können.

Wer nun auf die Idee kommt, ein Video könne weniger starke Auswirkungen auf den Sinneskonflikt haben als ein Buch: leider nein. Denn z.B. das unbewegliche Tablet gibt dieselbe Botschaft: Stillstand, nur ein Video spielt auf dem Schirm. Laut der aktuellen Studie wurde übrigens auch Erwachsenen beim Starren auf Bildschirme während einer Fahrt nach durchschnittlich zehn Minuten schlecht. Eine Verbesserung trat ein, wenn die Bildschirme auf einer Höhe montiert waren, die den Blick nach draußen, bestenfalls auf die Fahrbahn, gestattete. 

Das beste Mittel gegen den Konflikt der Sinneswahrnehmung von Auge und Ohr ist: Ausgleich schaffen, also den Blick auf die Fahrbahn ermöglichen. Das ist der Grund dafür, warum es Menschen auf dem Fahrer- und Beifahrersitz in Sachen Übelkeit in der Regel besser ergeht, als denen auf dem Rücksitz. Ein gerader Blick auf die Fahrbahn, zum Beispiel auch in der Mitte der Rückbank hilft mehr als der seitliche Blick aus dem Fenster, denn der lässt nur bedingt die nächste Bewegung erahnen. Und: Eine Studie an der Universität von Minnesota zeigte: Der Blick auf den Horizont wirkt übrigens (im Gegensatz zur Seereise) an Land nicht beruhigend.

Neben den unterschiedlichen Sinneseindrücken führen nämlich zwei weitere Faktoren laut Studien aus den USA am häufigsten zu Reiseübelkeit: 1. die Schwierigkeit, Bewegungen des Fahrzeugs abschätzen zu können und 2. die Unfähigkeit, die Bewegungsrichtung beeinflussen zu können. Je kurvenreicher die Strecke und je "wilder" der Fahrstil, desto stärker die Reiseübelkeit.

Schon bei der Reiseplanung lassen sich extrem kurvenreiche Strecken vermeiden. Besitzt ein Betroffener selber den Führerschein, hilft es, auf unumgänglichen kurvigen Strecken den Fahrer zu wechseln. Auf jeden Fall sollte er oder sie versuchen möglichst gleichmäßig zu fahren und Kurven langsam zu nehmen.

Lange Fahrten ohne Unterhaltung besonders für kleine Passagiere? Das kann schnell den Familienfrieden stören. Doch es gibt viele Alternativen z.B. zum Lesen oder Videos im Auto. Hörbücher oder Musik zum Beispiel - das Zuhören hat keinen negativen Einfluss auf den Gleichgewichtssinn. Auch klassische Spiele, wie "Kennzeichen raten" oder "Autos zählen" helfen - also Spiele, die den Blick nach draußen einschließen.  

Logisch, dass es bei Übelkeit auch um das geht, was man im Magen hat. Für Menschen mit Reiseübelkeit ist deshalb besonders wichtig, Schwerverdauliches, z.B. fetthaltige Lebensmittel zu vermeiden. Und: Alles was die Magensäure verstärkt auf den Plan ruft, ist ebenfalls keine gute Idee für Betroffene. Statt Kaffee also lieber einen beruhigenden Tee in die Thermoskanne füllen. Auch Ingwer oder Kardamom haben beruhigende Wirkung auf den Magen. Zum Knabbern eignen sich trockene, säurebindende Lebensmittel wie Zwieback, aber auch Salzstangen oder Kekse.

Bewegung ist nicht nur nach langem Sitzen wichtig, sondern führt auch zu einer schnelleren Linderung der Reiseübelkeit. Wer also einen Zwischenstopp einlegen muss oder will - dabei nicht nur Fenster oder Tür öffnen, sondern auch aussteigen und ein paar Schritte gehen. Das bringt das Gleichgewichtsorgan mit dem Sehorgan schneller wieder in Versöhnung.

Für alle, die sich von der Technik des autonom fahrenden Autos erhoffen, in Zukunft in Sachen Magen so entspannt wie im Zug unterwegs zu sein: leider nein. Erste Studien an der Universität Michigan zeigen: Die Wahrscheinlichkeit für Reiseübelkeit würde steigen. Einerseits durch eine stärkere Nutzung visueller Medien auf der Fahrt (Bücher, Tablets, Smartphones etc.). Außerdem sind für einige Modelle Sitze entgegen der Fahrtrichtung geplant - noch mehr Konfliktpotential für unsere Sinnesorgane.