Illustration: Krebs - Fresszelle greift nach einem Tumor (Bild: imago/imagebroker)
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Interview | Krebsimmuntherapie - Das eigene Abwehrsystem wieder aktivieren

Wenn Krebs den Körper befällt, ist das Abwehrsystem nicht mehr in der Lage die gefährlichen Zellen zu erkennen. Mittlerweile aber haben Forscher herausgefunden, warum sich Krebszellen dem Immunsystem entziehen – und sie haben Wege gefunden, die körpereigenen Abwehrzellen wieder zu mobilisieren. Doch was bedeutet das für den Kampf gegen Krebs, und wem kann diese Immuntherapie helfen? rbb Praxis sprach mit Dr. Anne Henschel.

Frau Dr. Henschel, Immuntherapie bei Krebs: Darf man hier von einer Revolution in der Onkologie sprechen?

Immuntherapien werden bei Krebserkrankungen schon lange eingesetzt, wie zum Beispiel Interferone und Interleukine. Bei den aktuellen Neuentwicklungen handelt es sich aber und eine völlig neue Generation von Medikamenten, die sehr spezifisch an bestimmten Kontrollpunkten, sogenannten Checkpoints, der Abwehrzellen andocken und damit gezielt das körpereigene Immunsystem aktivieren. Diese neuen Medikamente scheinen sehr viel effektiver in der Tumorabwehr zu funktionieren, sodass sich die Prognose für viele Patienten auch langfristig verbessern kann. Daher dürfen wir durchaus von einer Revolution in der Onkologie sprechen.

Welche Patienten bekommen in Deutschland eine Immuntherapie bzw. wofür ist sie zugelassen?

Zurzeit sind die neuen Immun-Checkpoint-Hemmer in Deutschland für die Behandlung von Metastasen beim schwarzen Hautkrebs (Melanom) und beim Lungenkrebs zugelassen. Es wird in Studien aber auch der Einsatz bei vielen anderen Tumorerkrankungen geprüft. Zudem wird die prophylaktische Behandlung in früheren Tumorstadien untersucht.

Inwieweit unterscheidet sich die Immuntherapie von einer Chemotherapie?

Eine herkömmliche Chemotherapie wirkt als Zellgift und zerstört die Tumorzellen direkt, aber leider auch einen Teil gesunder Zellen. Eine moderne Immuntherapie dagegen greift sehr spezifisch in die Regulation des menschlichen Immunsystems ein. Die Immun-Checkpoint-Hemmer lösen gewissermaßen die Bremse an den körpereigenen Abwehrzellen und bringen sie damit so richtig in Fahrt. Die Tumorzellen werden dadurch auf Zelltod programmiert.

Keine Wirkung ohne Nebenwirkung – wie sehen die bei den neuen Immun-Checkpoint-Hemmern aus?

Da die Abwehrzellen aktiviert werden, kann es passieren, dass diese sich nicht nur gegen den Tumor richten, sondern auch gegen eigenes gesundes Gewebe. Dieses Phänomen nennt man Autoimmunität. Es kann zu Entzündungen, zum Beispiel an der Haut, am Darm, an der Lunge, der Leber oder den Körperdrüsen kommen. Das sind spezifische Nebenwirkungen der Immuntherapie, die jedoch bei den sogenannten PD-1-Antikörpern moderat und gut behandelbar sind.

Die Behandlung ist "technisch einfach", die Infusion könnte auch ambulant z.B. bei einem Hausarzt gegeben werden. Wo liegen die Herausforderungen?

Die Gabe des Medikamentes als Infusionist ist tatsächlich technisch einfach. Sie sollte jedoch von onkologisch erfahrenen Ärzten durchgeführt werden. Die Patienten müssen während der Infusion betreut und auch zwischen den Behandlungen regelmäßig auf Nebenwirkungen überwacht werden. Eine weitere Herausforderung liegt darin, dass die Medikamente zurzeit noch sehr teuer sind. Wir hoffen, dass die Preise sich nach unten regulieren werden.

Warum sollten unterschiedliche Fachärzte den Patienten engmaschig betreuen?

Die Nebenwirkungen der Medikamente können verschiedene Organsysteme betreffen. Zudem werden in der Zukunft wahrscheinlich auch unterschiedliche Tumorerkrankungen mit den gleichen Medikamenten behandelt werden. Daher brauchen wir unbedingt die interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Fachdisziplinen, wie zum Beispiel, Dermatologie, Onkologie, Gastroenterologie, Endokrinologie.

Wie viele Patienten sprechen auf die Behandlung an?

Der schwarze Hautkrebs (Melanom) ist die erste Tumorerkrankung, bei der die neuen Immun-Checkpoint-Hemmer zugelassen worden sind. Hier erwarten wir ein Ansprechen auf die Behandlung bei 30 bis 40 Prozent der Patienten. Seit Sommer dieses Jahres sind die PD-1-Antikörper auch für die Behandlung des Lungenkrebses zugelassen. Hier finden sich ähnliche Ansprechraten in Abhängigkeit von bestimmten Prognosefaktoren. Wir wissen aber, dass die Patienten, die ansprechen, auch langfristig von der Behandlung profitieren, das heißt, unsere Patienten leben länger mit der Erkrankung. Ob wir Patienten heilen können, wird die Zukunft zeigen.

Für welche Erkrankungen wird die Therapie wahrscheinlich demnächst in Deutschland eingesetzt?

Wir warten gespannt auf die Studienergebnisse bezüglich anderer Tumorerkrankungen. Auf der diesjährigen wichtigsten Konferenz zur weltweiten Krebsforschung, ASCO, wurden Studien vorgestellt auch zum Magen-Darm-Krebs, Blutkrebs und Nierenkrebs. Wir bekommen in den nächsten Jahren möglicherweise die Zulassung der Immuntherapie auch bei diesen Krebserkrankungen.

Was finden sie am Faszinierendsten an den neuen Checkpoint-Hemmern?

Die neuen Checkpoint-Hemmer sind tatsächlich sehr faszinierend. Die Grundlagenforschung und die Entwicklung dieser neuen Medikamente haben uns noch tiefere Einblicke in die Funktionsweise unseres Immunsystems gegeben. Wir nutzen diese Kenntnisse, um die körpereigene Abwehr sehr spezifisch zu stärken, um die "Plage Krebs" besser in den Griff zu bekommen.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Henschel.

Das Interview führte Pia Kollonitsch