Eine junge Frau während einer Mammographie. (Bild: dpa)
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Experteninterview - Brustkrebsbehandlung – ist weniger mehr?

Brustkrebs ist zu einer gut behandelbaren und häufig auch heilbaren Erkrankung geworden. Rund 80 bis 90 Prozent der Patientinnen gelten nach fünf Jahren als geheilt. Dafür sorgen auch eine bessere Früherkennung und gezielte Therapien. Gerade letztere verbessern die Lebensqualität von Brustkrebspatientinnen enorm.

Welche neuen Formen der Früherkennung es gibt und welche Vorteile gezieltere Therapien für Patientinnen bringen, darüber sprach rbb Praxis mit Prof. Dr. Bernd Gerber, Direktor der Universitätsfrauenklinik am Klinikum Südstadt in Rostock. Er ist auch Kongresspräsident der 37. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie in Berlin.

Herr Prof. Gerber, welche Rolle spielt die Früherkennung bei der verbesserten Behandlung von Brustkrebs?

Der überwiegende Teil der Knoten in der Brust wird immer noch von den Frauen selbst getastet und zwar zu mehr als fünfzig Prozent. Seit 2005 gibt es das Mammographie-Screening, welches Frauen ab 50 alle zwei Jahre in ein spezialisiertes Untersuchungszentrum einlädt. Ob die Überlebensraten derjenigen Frauen, die daran teilnehmen, tatsächlich höher sind, dafür gibt es bislang noch keine belastbaren Daten, nur "vorsichtige Hinweise".
 
Eine Gefahr des Screenings ist, dass viele Frauen "übertherapiert" werden, d.h. es werden Befunde im Screening entdeckt, die dann so behandelt werden wie ein größeres Karzinom, obwohl das gar nicht notwendig gewesen wäre. Das gilt vor allem für Karzinomvorstufen, die sogenannten Duktalen Carcinoma in Situ (DCIS), die zum Teil sehr langsam wachsen und niemals lebensbedrohlich werden. DCIS-Fälle machen rund 15 bis 20 Prozent der Befunde im Mammographie-Screening aus. Trotzdem würde ich den Frauen raten, am Mammographie-Screening teilzunehmen. Zeigt sich ein auffälliger Befund sollte sich jede Frau sehr gründlich informieren, welche Therapie für sie unbedingt notwendig ist. Die Therapieempfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie sind in diesem Jahr dahingehend verändert worden, dass man nicht jedes DCIS bestrahlen oder mit Hormontherapie behandeln muss. Das starre Schema von Operation, Chemotherapie, Bestrahlung und Hormontherapie für jede Frau ist damit aufgebrochen, ohne dass die Frauen schlechter behandelt werden. 

Wonach entscheiden Ärzte, welche Therapie eine Frau mit Brustkrebs tatsächlich braucht?

Das hängt von der Art des Tumors, vom Alter der Patientin und von der Beurteilbarkeit der Brust ab, was wiederum mit der Brustdichte zusammenhängt. Etwa die Hälfte aller Karzinome entsteht aus der frühen Vorstufe DCIS, die zum Teil sehr langsam wachsen und nicht mit der vollen Breite der Therapiemöglichkeiten behandelt werden muss. Der Goldstandard bei der Behandlung eines DCIS ist die operative Entfernung, nachdem im Vorfeld durch eine Stanzbiopsie die Diagnose gesichert worden ist. Wenn das DCIS lokal begrenzt und nicht sehr bösartig ist, kann bei älteren Frauen in Abhängigkeit von der Lebenserwartung auf eine Bestrahlung und Hormontherapie verzichtet werden. Es gibt aber auch schnell wachsende aggressive Tumoren, die sehr zügig mit der jeweils geeigneten Therapie behandelt werden müssen.

Welche neuen und personalisierten Therapieansätze gibt es bei der Behandlung von Brustkrebs?

Die bei anderen Tumorarten, wie zum Beispiel dem Melanom, recht erfolgreiche Immuntherapie spielt beim Brustkrebs nur eine sehr untergeordnete Rolle. Hier geht es vielmehr darum, den Tumortyp zu bestimmen, um danach zu entscheiden, welche Therapie nach der Operation sinnvoll ist. Man unterscheidet grob vier Gruppen: die Luminal A-Tumoren, die sehr stark hormonabhängig wachsen und bei denen meist keine Chemotherapie notwendig ist. Die zweite Gruppe sind die Luminal B-Tumoren, die sowohl hormonabhängig sind als auch mit Chemotherapie behandelt werden. Dann die triple-negativen Mammakarzinome, die eher bösartig sind; für diese Tumoren haben wir keine zielgerichtete Therapie, außer der Chemotherapie. Und die letzte Gruppe bilden die HER2 positiven Karzinome, die sehr gut mit speziellen Antikörpern wie zum Beispiel Herceptin und Pertuzumab sowie Chemotherapie behandelt werden können. Die größte Gruppe bilden die Luminal B-Tumoren, bei denen wir nicht wissen, ob Frauen von einer Chemotherapie nach der Operation profitieren oder nicht. Für diese Gruppe von Brustkrebspatientinnen gibt es inzwischen Tests, wie Oncotype, EndoPredict oder MammaPrint. Das sind sogenannte Multigenassays, mit denen festgestellt werden kann, ob eine Frau von der Chemotherapie profitiert oder nicht. Man kann davon ausgehen, dass etwa 50 Prozent aller Frauen, mit Luminal B-Tumor ohne diese Differenzierung übertherapiert werden, d.h. sie bekommen eine Chemotherapie, ohne dass diese ihnen nützt.

Ein anderes Beispiel für die "Übertherapie" ist die Entfernung des sogenannten "Wächter-Lymphknotens". Bislang ist es so, dass im Rahmen einer brusterhaltenden Operation, routinemäßig auch der Wächter-Lymphknoten entfernt wird – selbst wenn sich beim Abtasten oder im Ultraschall keine auffälligen Lymphknoten zeigen. Wir untersuchen im Rahmen der INSEMA- Studie, einer deutschlandweiten Studie unter der Leitung der Rostocker-Frauenklinik, ob das überhaupt sinnvoll ist. Dazu wurde bei bislang 2.500 Frauen ohne auffälligen Lymphknotenbefund eine Biopsie des Wächter-Lymphknotens durchgeführt. Es zeigte sich, dass bei 85 Prozent der Frauen der Wächter-Lymphknoten nicht bösartig verändert war. Das heißt, eine routinemäßige Entfernung wäre bei diesen Frauen überflüssig gewesen. Das ist vor allem deshalb eine wichtige Erkenntnis, weil die Entfernung der Lymphknoten aus der Achselhöhle bei vielen Frauen zu einem schmerzhaften Lymphstau führen kann.

Wie wirkt sich das Behandlungsmotto "weniger ist mehr" auf die Lebensqualität der Patientinnen aus?

Die Lebensqualität der Patientinnen hat sich dadurch, dass nicht mehr bei allen alles gemacht wird, deutlich verbessert. Da wir häufiger Karzinome in einem frühen Stadium entdecken, können T1 Karzinome, die bis zu zwei Zentimeter groß sind, in bis zu 80 Prozent der Fälle brusterhaltend operiert werden. Bei der nächstgrößeren Stufe (2-5 cm)sind es immerhin noch 60 Prozent. Dadurch, dass insgesamt weniger Lymphknoten entfernt werden als früher, entstehen seltener Lymphödeme, also dicke Arme durch Lymphstau und Gefühlsstörungen. Bei manchen Frauen führen wir eine Chemotherapie vor der Operation durch, die die Tumoren schrumpfen lässt, wodurch sie schonender entfernt werden können. Wir wissen inzwischen genauer, welcher Tumortyp von einer Chemotherapie profitiert und können daher bei manchen Frauen auch darauf verzichten. 

Welche Rolle spielen die zertifizierten der Brustzentren bei der Behandlung?

Die Behandlung in einem zertifizierten Brustzentrum liefert den Patientinnen eine qualitativ hochwertige Betreuung. In Mecklenburg-Vorpommern, wo unsere Klinik angesiedelt ist, gibt es fünf zertifizierte Brustzentren für 1,6 Millionen Einwohner. Im Rostocker Brustzentrum werden jedes Jahr etwa 450 Neuerkrankungen von Brustkrebs betreut. Hier gilt, je häufiger sie etwas machen, desto routinierter und sicherer ist die Behandlung. Hinzu kommt, dass in Brustzentren viele Fachdisziplinen an der Behandlung beteiligt sind, wodurch dieser Prozess besser begleitet und kontrolliert werden kann.

Sollten Frauen mit einem familiär bedingten Brustkrebs sich vorsorglich die Brust entfernen lassen?

Bei diesem Thema wird viel mit den Ängsten der Frauen gespielt. Es gibt aber klare Vorgaben, welche Frauen besonders gefährdet sind. Und zwar sind das diejenigen, die mindestens zwei Verwandte ersten Grades – zum Beispiel Mutter oder Schwester – haben, die in einem früher Alter, unter 50 Jahren, an Brust- oder Eierstockkrebs erkrankt sind. Bei diesen Patientinnen sollte ein Gentest auf BRCA1 und BRCA2 gemacht werden. Haben sie dieses "familiäre Brustkrebsgen", ist es natürlich nach wie vor eine individuelle Entscheidung, ob sie sich operieren lassen. Allerdings haben sie ein Erkrankungsrisiko für Brustkrebs vor dem 70. Lebensjahr von 55 bis 60 Prozent. In Deutschland sind das aber nicht mehr als drei bis fünf Prozent der Frauen. Ob eine operative Entfernung von Brust und Eierstöcken diese Frauen am sichersten vor einer Krebserkrankung schützt oder ob intensivierte Früherkennungsuntersuchungen genauso gut sind, muss mit den betroffenen Frauen im Einzelfall besprochen werden.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Gerber.

Das Interview führte Ursula Stamm

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